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Wirtschaft: Wo hat Arafat die Millionen versteckt?

Die Glaubwürdigkeit der palästinensischen Führung wird davon abhängen, ob sie das Geld aufspürt

In der Nach-Arafat-Ära spielt Geld eine große Rolle, genauer: Arafats Millionen. Ob die neue palästinensische Führung im Volk und im Ausland an Glaubwürdigkeit gewinnt und ob die verschiedenen politischen Flügel aufeinander prallen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Jassir Arafats Geld gefunden wird. Denn der verstorbene Palästinenserpräsident soll Gerüchten zufolge ein sehr reicher Mann gewesen und zig Millionen Dollar beiseite geschafft haben.

Einige palästinensische Politiker haben bereits gefordert, dass Arafats engste Mitarbeiter und sein einstweiliger Nachfolger vernommen werden: Der neue Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Mahmud Abbas, der palästinensische Ministerpräsident Ahmed Kurei und Arafats Witwe Suha. Die palästinensische Führung hat öffentlich versprochen, den Betrag und den Aufbewahrungsort der Gelder ausfindig zu machen. Die palästinensiche Führung steht unter Druck: In der vergangenen Woche haben die militanten Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden einige Regierungsmitglieder der Korruption beschuldigt und angekündigt, selber für Recht zu sorgen, sollte die Regierung in der Geldangelegenheit nicht innerhalb eines Monats etwas unternehmen.

„Offiziell befindet sich das Geld beim Finanzministerium, aber es wurden Millionen Dollar weltweit investiert, und niemand weiß, wo sie sind“, sagt ein Sprecher des Parlaments, das schon einigen Korruptionsvorwürfen nachgegangen ist. „Das ist für jeden Palästinenser inakzeptabel.“

Im Laufe der Jahrzehnte, in denen Arafat die Galionsfigur des palästinensischen Widerstands war, häufte er Unmengen an Spendengeldern an. Länder, Unternehmen und Einzelpersonen gaben ihm Geld, um seine Bewegung zu unterstützen und dem palästinensischen Volk zu helfen. Größter Geldgeber waren lange Zeit die Golfstaaten. Den Erdölmonarchien war die palästinensische Sache jährlich Millionen Dollar wert; allein Saudi-Arabien hat jedes Jahr 50 Millionen Dollar an Arafat überwiesen. Mit dem Geld unterstützte der Palästinenserführer gleichermaßen palästinensische Flüchtlinge in arabischen Ländern als auch Sicherheitskräfte der PLO, der Dachorganisation palästinensischer Gruppen, an deren Spitze Arafat stand. Die Golfstaaten drehten den Geldhahn allerdings Anfang der 90er Jahre zu, als Arafat mit Saddam Husseins Kuwait-Invasion sympathisierte. Saddam glich die Einnahmen-Ausfälle aber aus.

Arafat und seine Berater bunkerten das Geld auf Konten ausländischer Banken und legten einen Teil in Unternehmen rund um den Globus an. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte im vergangenen Jahr fest, dass die palästinensische Autonomiebehörde von 1995 bis 2000 ein Vermögen von mehr als 898 Millionen Dollar angehäuft habe. Ein Teil der Steuereinnahmen sei in Staatsunternehmen investiert worden, „der größte Teil“ aber sei auf persönliche Konten Arafats geflossen. Das Gleiche habe für die Gelder gegolten, die aus den Monopolen für den Import von Zement und Benzin stammten. Den Unternehmen fehle es an „Transparenz und Kontrolle“, heißt es im IWF-Bericht weiter.

Undurchsichtig sind auch andere Einnahmen – etwa die aus den israelischen Mehrwert- und Verbrauchssteuern. Die zahlt Israel laut dem Osloer Vertrag von 1994 für alle Käufe von Palästinensern an die Autonomiebehörde zurück. Das Geld floss aber auf andere Konten, vor allem die Verbrauchssteuern auf Erdöl, Tabak und Alkohol, heißt es im IWF-Bericht. Eines der Konten habe sich bei der Bank Leumi in Tel Aviv befunden, für das nur Arafat und sein Finanzberater Mohammad Rachid zeichnungsberechtigt waren.

Im Jahr 2002 kam etwas Licht in das Finanzdickicht. Dem neuen Finanzminister der Autonomiebehörde, Salam Fayyad, gelang es, den Großteil von Arafats Vermögen der Kontrolle der palästinensischen Regierung zu unterstellen. Seit Januar 2003 haben die Autonomiebehörde und die PLO nun getrennte Budgets. Das Vermögen der palästinensischen Selbstverwaltung beläuft sich auf 300 bis 700 Millionen Dollar. Es handelt sich um Beteiligungen an 79 Unternehmen weltweit; das größte davon ist eine Telekommunikationsfirma, die auf dem algerischen und tunesischen Markt aktiv ist.

Unter dem Druck der Geberländer willigte Arafat ein, dass die Gelder der Autonomiebehörde vom Palästinensischen Nationalfonds erfasst und verwaltet werden, womit jede Abhebung mindestens drei offizielle Unterschriften erfordert. Außerdem hat der Finanzminister eine amerikanische Nonprofit-Organisation zur Kontrolle des Fonds angeheuert.

Dagegen wurden die PLO-Geldmittel keiner Kontrolle unterstellt. „Dort herrschen vollkommen undurchsichtige Verhältnisse“, sagt James Prince, der die amerikanische Rechnungsprüfungsgruppe leitet. Wie hoch das Vermögen der PLO ist, bleibt daher ein Rätsel. Unabhängige Rechnungsprüfer schätzen es auf zehn Millionen Dollar.

Nach Angaben palästinensischer Politiker und Ermittler hat Arafat mit dem Geld die Loyalität seiner Anhänger gekauft. Mittel genug hatte er: Das Präsidentenbudget der palästinensischen Selbstverwaltung lag bei 40 Millionen Dollar. Daneben soll Arafat angeblich illegale Einnahmen von Benzin-Schmugglern oder Grenzzöllen erhalten haben. „Sie nahmen ihm seine politische und physische Macht. Alles, was ihm blieb, war die Macht des Geldes“, sagt Prince. „Er hat mit Geld um sich geworfen.“

Farnaz Fassihi

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