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Wirtschaft: „Wo ist das Geld?“

Der Sänger und Aktivist Bob Geldof über den G-8-Gipfel in Heiligendamm und wie Afrika zu helfen ist und warum er so artig ist

Was ist Ihre Strategie vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm in diesem Jahr?

Es ist weniger eine Strategie als die Frage, was wir uns von dem Gipfel wünschen. In Köln wurde begonnen, den Knoten aufzulösen, der Afrika an die Armut fesselt. Dann kam Gleneagles. Aber es ist ein winziger Betrag, den die G 8 zugesagt haben. In Heiligendamm bitten wir nicht um neues Geld, sondern um das, was versprochen und per Vertrag vereinbart wurde.

Aber es gibt doch Fortschritte.

Gerhard Schröder hat das nicht in seinem Namen unterschrieben, sondern für Deutschland. Aber Deutschland macht nicht, was es versprochen hat. Und die anderen tun das auch nicht. Einige kommen besser voran als andere, aber insgesamt sind sie im Rückstand. Bis 2010 müssen sie die Versprechen mehr oder weniger erfüllen. Deutschland muss die Ausgaben um 620 Millionen Dollar Jahr für Jahr erhöhen, um das Versprechen zu halten. In diesem Jahr beträgt der Rückstand ungefähr zwei Drittel.

Welche Rolle nimmt Angela Merkel ein?

Das ist Deutschlands politische Weltmeisterschaft. Die Kanzlerin hat Afrika auf die Tagesordnung gesetzt, was fantastisch ist. Sie hätte es nicht tun müssen. Sie weiß, es wird schwierig für Deutschland, aber sie hat jetzt dreimal öffentlich gesagt, dass Deutschland sein Versprechen von 2005 halten wird. Aber dazwischen und der Rhetorik des Finanzministers klafft eine Lücke. Ich frage: Wie wird das klappen? Wie werdet ihr erreichen, was ihr euch vorgenommen habt?

Haben Sie Kanzlerin Merkel getroffen?

Nein. Hoffentlich bekomme ich die Chance. Sie ist eine interessante Figur.

Wie glaubwürdig ist denn, was sie sagt?

Genau darum geht es. Es ist nicht so, dass ich ihr nicht glaube, ich sehe bloß kein Resultat. Die deutsche Tagesordnung für G 8 dreht sich um internationale Finanzpolitik, Hedgefonds, Anleihen und all den Kram. Alles entscheidend, alles wichtig. Aber ein Drittel der Bevölkerung südlich der Sahara hat nicht genug zu essen, ganz abgesehen von Gesundheit oder Ausbildung. Es ist fein, über Finanzpolitik zu reden, aber ihr habt Geld zugesagt. Wo ist das Geld? Jetzt wird es gebraucht.

Was haben die Deutschen davon?

Deutschland ist Exportweltmeister und hat einen großen Rivalen: China. Derzeit laufen die G 8 Gefahr, irrelevant zu werden. Denn wenn sie nicht die versprochenen Mittel aufbringen, werden es die Chinesen tun. Das ist denen egal. Die haben gerade einen Scheck über drei Milliarden Dollar geschrieben. Keine Bedingungen. Präsident Hu Jintao reist zum dritten Mal nach Afrika. Das dritte Mal! Er besucht zwölf Länder. Er baut die Straßen, die Schienen, die Infrastruktur, er schreibt die Schecks. Warum macht er das? Und warum macht Europa das nicht?

Aus einer globalen Perspektive ist dann ja alles in Ordnung – Afrika wird geholfen.

Bis zu einem gewissen Punkt. Denn die Bedingungen, die wir stellen, sind gute Sachen wie Menschenrechte und Demokratie. Das mag unbedeutend scheinen, so wie der Einfluss der G 8, während China das Scheckbuch aufschlägt. Aber wenn wir Einfluss wollen, müssen wir machen, was wir versprochen haben.

Vielleicht ist Afrika nur auf der Tagesordnung von Heiligendamm, um den Druck aus dem Thema zu nehmen?

Ich glaube das nicht. Es wird Druck geben. Wir werden eine Kampagne in Deutschland machen, und ich meine nicht Bob Geldof oder Bono, sondern die verschiedenen deutschen Gruppen und die Dachorganisation „Deine Stimme gegen Armut“. Wenn der Gipfel startet, werden die Menschen in Deutschland wissen, was ihr Land leisten kann.

Was denn?

Aus einer wirtschaftlichen Perspektive muss vieles aus Eigeninteresse getan werden. Afrika ist zwölf Kilometer von Europa entfernt und bietet enormes Potenzial für deutsche Exporte. Aber es gibt auch das Problem der Zuwanderung. Während wir reden, laufen tausende junge Männer durch eine Wüste von der Größe der USA, um ein besseres Leben zu finden. Und wir werden ihnen begegnen: im August an den Stränden von Teneriffa. Menschen verlassen ihre Heimat nicht, wenn sie dort Chancen haben. Ich bin ein Einwanderer. Ich lebe in England, ich habe ein besseres Leben gesucht und gefunden. Heute gibt es keine Einwanderung aus Irland, die Iren sind eines der reichsten Völker der Erde geworden.

Sie haben eine Reihe von Politikern in Berlin getroffen. Verstehen die, was Sie sagen?

Ganz sicher Bernd Pfaffenbach, der Berater der Kanzlerin. Ein kluger Mann mit dem härtesten Job der Welt, übrigens ein Rock’n’Roller. Vielleicht würde er lieber über Carl Perkins reden als über George Bush. Vielleicht sollten die Politiker eine Band starten. Clinton am Saxofon, Blair an der Gitarre und Pfaffenbach am Bass. Wie so viele dieser Leute ist Herr Pfaffenbach brillant und verschließt sich keinen Ideen. Jetzt muss er mit sieben anderen Regierungen verhandeln, die nichts machen wollen. Aber sein Job ist, den Gipfel zu einem deutschen Erfolg zu machen.

Sie formulieren allgemeine Kritik, aber spezifisches Lob: Die Welt tut nicht genug, aber Merkel ist auf dem richtigen Weg. Haben Sie keine spezifische Kritik?

Wir alle verstehen, dass Deutschland wirtschaftlich eine schlechte Zeit hinter sich hat. Aber offen gesagt zählt das diesmal nicht, weil ihr die Rezession abgeschüttelt habt. Es finden wieder Menschen Arbeit, die Wirtschaft wächst. Ich finde es seltsam, dass SPD-Leute sagen, wir können das Versprechen jetzt nicht halten. Es sind SPD-Leute, die diesen Vertrag unterschrieben haben, und es ist Teil ihrer Ideologie, den Armen zu helfen. Die Kanzlerin, die zur CDU gehört, sagt, Deutschland hat es versprochen, also tun wir es. Das Finanzministerium sagt: Ja, na gut, vielleicht. Aber vielleicht geht nicht. Ihr habt es versprochen. Und ihr habt es in einem bestimmten Zeitraum versprochen. Wie werdet ihr es machen? Sitzt jemand im Finanzministerium, der ausarbeitet, wie ihr es macht, wie ihr das Versprechen der Kanzlerin umsetzt, das auch der vorherige Kanzler gegeben hat, die beide aus Parteien der großen Koalition kommen?

In Heiligendamm soll der Korruption in Afrika der Kampf angesagt werden.

Offen gesagt glaube ich nicht, dass viele zuhören werden, wenn man die Korruptionsskandale von British Aerospace über Siemens bis Halliburton sieht. Es ist richtig, dass man darüber redet, es muss Transparenz und Verantwortung geben. Aber die chinesische Wirtschaft, in der 15 Prozent für Korruption draufgehen, boomt immer weiter. Und es fühlt sich nicht wie Korruption an, wenn du ganz arm bist und dir jemand 1000 Dollar gibt. Über Korruption ist ohne Ende diskutiert werden. Ich glaube, dass viele Argumente uns von der zentralen Frage ablenken sollen: Warum sind 900 Millionen Menschen arm, und wie ändern wir das?

Der deutsche Finanzminister würde vermutlich sagen, dass auch er das Versprechen halten möchte, aber dass Deutschland selbst 1,5 Billionen Euro Schulden hat.

Der erste Teil ist großartig: Wir halten unser Versprechen. Und das wäre angesichts dieser Schulden umso ehrenhafter. Es geht um globale Verantwortung, die ihr angenommen habt, aber es geht auch um Realpolitik. Das ist euer Wort. Realpolitik heißt: Die deutsche Wirtschaft ist exportorientiert – im Angesicht eines schwachen Dollars, des Wettbewerbs mit China und eines leeren Markts in Afrika. Was ist euer Interesse? Was sagt der Außenminister dem Finanzminister? Ich habe Sympathie für dessen Probleme. Aber Deutschland ist die dritt- oder viertgrößte Volkswirtschaft, während die meisten afrikanischen Länder an Platz 150 oder so liegen. Alle Länder arbeiten mit Schulden. Amerika hatte noch nie mehr Schulden als heute. Wenn China und Saudi-Arabien die US-Anleihen einlösen würden, bräche die Weltwirtschaft zusammen, China fiele in die Armut zurück und die Saudis hätten niemanden, dem sie Öl verkaufen könnten. Es gleicht sich aus. Die Welt hält deutsche Anleihen, weil sie ein starkes Europa braucht. Es ist naiv vom Finanzminister, zu sagen, wir können nicht helfen, weil wir Schulden haben.

Sie haben gesagt, dass es nicht um neues Geld für Afrika geht. Das sagen auch Merkel und andere, die eine Partnerschaft mit afrikanischen Führern vorschlagen. Verstehen Sie, was damit gemeint ist?

Ich habe es wie die meisten Deutschen satt, jeden Abend im Fernsehen diese Pornografie der Armut zu sehen. Wenn man die Hälfte der Armen der Welt zu wirtschaftlicher Aktivität bringt, wie es die Millenniumziele vorsehen, dringt die Weltwirtschaft in ganz neue Dimensionen vor. Das ist die Theorie, und sie funktioniert. Vor vier Jahren war China Nettoempfänger von Entwicklungshilfe.

2005 stand nicht nur für Gleneagles, sondern auch für Live 8. Gibt es dieses Jahr etwas Vergleichbares?

Wir werden eine ausgeklügelt Kampagne sehen. Herbert Grönemeyer, Campino, Peter Maffay haben sich dieser Sache ganz und gar verschrieben. Es wird Veranstaltungen mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt geben. Herbert bereitet ein Konzert in Rostock vor. Ich wünsche mir auch ein „Wetten dass..?“ zu G 8. Ich habe schon mit Gottschalk geredet. Es geht darum, eine Argumentation aufzubauen. Viele Menschen sind anderer Meinung. In den Kneipen und Bars finden sie das vielleicht langweilig und lächerlich, bis jemand sagt: „Na, ich weiß nicht.“ Dann reden sie darüber. Das ist politisch. Live 8 ist wahrscheinlich die größte Bewegung aller Zeiten, ganz sicher größer als die Zivilrechtsbewegung oder Anti- Apartheid. Solche Konzerte sind nicht ohne Zweck, sie fokussieren die Aktivität auf einen Punkt: die sieben Männer und die eine Frau in dem Konferenzsaal.

Ein Showdown.

Nein, überhaupt nicht. Es gibt keinen politischen Showdown. Geschichte ist nur eine Sache nach der anderen. Geschichte endet nie, sie ist zu beschäftigt damit anzufangen. Ich habe das in meinem Song „The Roads of Germany“ geschrieben. Es gibt keinen Showdown. Wir verlangen nur, dass ihr tut, was ihr versprochen habt. Weil wir wissen, dass es funktioniert. Es gibt empirische Beweise: die Millionen von Menschen, die am Leben sind und eine Ausbildung gemacht haben wegen Köln und Gleneagles. 300 Millionen Menschen sind zum ersten Mal seit Generationen frei von der Schuldensklaverei.

Was ist mit dem Kampf gegen Aids?

Die Wirklichkeit von Aids ist, dass es dabei um Bildung geht: nicht um einen besseren Job zu bekommen, sondern um zu überleben. Ich betone das, weil George Bush bereit sein wird, mehr für Bildung zu tun. Wir reden mit ihm und dem Weißen Haus. Seine Frau Laura fährt privat nach Afrika und interessiert sich sehr für die Bildung von Frauen. Seine beiden Töchter haben in einer Aidsklinik in Afrika gearbeitet. Ich glaube, er wird bereit sein, Geld für Bildung auszugeben.

Beim G-7-Finanzministertreffen diese Woche in Essen spielt das alles keine große Rolle.

Das ist wahr. Dabei geht es bei Afrika nicht um Almosen, sondern um Finanzwirtschaft, sonst nichts. Die Geldleute sollen aufhören, nach Abkürzungen zu suchen. Es gibt keine Abkürzungen. Wir reden über die sieben größten Volkswirtschaften, über Billionen und Aberbillionen Dollar und einen Markt vor eurer Haustür. Das sollte der deutsche Finanzminister ansprechen, statt über Hedgefonds zu reden.

Was wird die Doha-Runde bewegen?

Ich glaube nicht, dass sie Afrika nützen wird. Daher fordere ich ein eigenes Handelsabkommen für Afrika. Die Doha- Runde dreht sich nicht mehr um die Ärmsten der Welt, sondern darum, wie die Schwellenländer in den industriellen Sektor eingebunden werden. Wir können aber doch nicht einen ganzen Kontinent außen vor lassen. Wir brauchen ein globales Handelsabkommen, das zeigt, dass dieser Fall einzigartig ist. Ein ganzer Kontinent in Armut, das ist einzigartig.

Könnte es innerhalb der WTO passieren?

Könnte sein. Aber wenn Doha scheitert, weiß ich nicht, ob die WTO überlebt.

Tony Blair sagte in Davos, ihn habe überrascht, wie wohlerzogen Bono und Sie in Gleneagles waren. Ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung?

Erstens gehen wir da mit Respekt rein. Was auch immer man von der Person denken mag, mit der man da gerade spricht, sie ist von einem ganzen Volk gewählt worden. Diese Person zu beleidigen, heißt, ein Volk zu beleidigen. Und das werde ich nicht tun. Zweitens rede ich nur über Sachen, von denen ich etwas verstehe. Über Afrika weiß ich mehr als die meisten Regierungschefs. Wenn Blair sagt, dass ich artig bin, dann meint er, dass ich mich an der Debatte beteilige. Ich gehe nicht da rein, stampfe mit dem Fuß auf und sage „Ihr Arschlöcher“. Wenn ich die Kanzlerin oder den Finanzminister treffe, spreche ich mit ihnen über das anstehende Thema, ich brülle nicht rum, und ich plaudere nichts aus.

Aber Sie sind doch ein Rock’n’Roll-Star.

Ja, und? Was bedeutet das? Wenn ich auf der Bühne stehe, spiele ich meine Lieder. Wenn ich zu Hause bin, lebe ich mit meiner Familie. Wenn ich Geschäfte mache – und ich mache eine Menge –, dann sage ich nicht: „Du Arschloch, gib mir das.“ Sondern ich versuche zu verhandeln. Es gibt Grenzen des Rock’n’Roll. Herbert Grönemeyer schmeißt auch keine Fernseher aus dem Fenster. Das ist Quatsch. Ich bin ein Mensch. Das ist es, was ich bin.

Das Interview führte Moritz Döbler.

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