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Wirtschaft: Wolfgang Fischer

Geb. 1928

„Konsequent war er immer“, sagt seine Frau, „sehr sogar.“ Nach der Schule: Lehre als Porträtfotograf. Dann: Notstandsarbeiter auf dem Bau, Strumpfwirker bei Siemens, Offsetdrucker, Filmvorführer, Gabelstaplerfahrer. Dann: Flugzeugmechaniker bei PanAm und kaufmännischer Angestellter bei British Airways. Unter anderem.

Man könnte meinen, dass Wolfgang Fischer nicht sehr genau wusste, was er wollte. Aus seiner Sicht wäre das die Interpretation eines konservativ denkenden Personalchefs, eines Menschen also, dessen Ansichten für ihn nur sehr eingeschränkt galten. Denn er stand nicht auf der Seite der Unternehmen, sondern auf der ihrer Angestellten.

Wolfgang Fischer war ein Linker, auch innerhalb seiner Partei, der SPD in Steglitz-Zehlendorf. Nach dem Mauerfall, als PDS und Ostlinke auch in der SPD noch verfemt waren, sagte er: „Auf die müssen wir zugehen.“ Rot-rot in Berlin? „Klar, die Ossis sind echte Sozialdemokraten.“

Ein echter Sozialdemokrat hatte nach seinem Verständnis in einer Gewerkschaft zu sein und, na klar, im Betriebsrat der Firma, für die er arbeitete. Also war er immer in derjenigen Gewerkschaft, die für seine jeweilige Arbeitsstelle zuständig war. Und da man im Kampf für Gerechtigkeit nie genug Gefährten haben kann, warb er in seiner Zeit bei der PanAm gleich eine ganze Reihe von Kollegen für die ÖTV an. Seine Chefs waren vom Engagement des geschätzten Mitarbeiters nicht sonderlich begeistert. Man lud Wolfgang Fischer zu einer exklusiven Party in den Golfclub Wannsee ein und stellte ihm dort eine großartige Karriere in Aussicht – „Sie müssten nur aus der Gewerkschaft austreten.“ Einer der Chefs bat noch Wolfgang Fischers Frau zum Tanz – und darum, sie möge ihren Mann doch zur Vernunft bewegen.

Wolfgang Fischer kündigte, nicht der Gewerkschaft, sondern seinem Arbeitgeber. Und suchte sich eine andere Fluggesellschaft, in deren Betriebsrat er die Rechte der Arbeitnehmer verteidigen konnte. Er fand sie, und man kann nicht sagen, dass er in der Wahl seiner Mittel zimperlicher geworden wäre. Als die British Airways mit Verweis auf alliiertes Kriegsrecht die Rechte des Betriebsrates einschränken wollte, zog Fischer mit den Kollegen vors Arbeitsgericht und gewann.

„Konsequent war er immer“, sagt seine Frau, „sehr sogar.“ So hat sie ihn kennen gelernt. Es war der 26. Mai 1946. Wolfgang Fischer hatte sich auf dem Schwarzmarkt in der Nähe des Kurfürstendamms Zigaretten besorgt. Auf dem Heimweg sah er eine junge Frau im weißen Kleid und Ballerinas, er verliebte sich augenblicklich. Er schlich ihr nach, bis sie vor ihrer Haustür stoppte, dann sprach er sie an. Kaum zwei Jahre später war ein Sohn unterwegs.

Das Private, da waren sich die Fischers schnell einig, ist auch politisch. Sie fuhren zu Juso-Kongressen, Tagungen, Friedensdemonstrationen wie jener denkwürdigen 1981 in Bonn. Ihr liebstes Ritual waren ausgiebige gemeinsame Frühstücke, bei denen sie sich stundenlang über Moral und Politik stritten.

Gegen Kriege, ob in Vietnam, Jugoslawien oder Afghanistan, war Wolfgang Fischer aus Erfahrung. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs war er eingezogen worden: Arbeitsdienst, Flak. Er sah die Todesmarschierer aus Sachsenhausen und Ravensbrück. Das vergaß er nie. Ebenso wenig die Tatsache, dass sein Vater die Nazis unterstützt hatte. Als Kriege, gegen die er ganz grundsätzlich war, mit Zustimmung der SPD-geführten Regierung geführt wurden, wuchs Wolfgang Fischers ohnehin schon ausgeprägte Sympathie für jene Politiker, die im Bundestag gegen ihre Fraktion stimmten. Mit seinen Worten: „mit denen, die selber denken“.

Als die Krankheit anzeigte, dass seine Zeit sich dem Ende zuneigte, bewegte sich auch die Welt, an die er glaubte, auf ihr Ende zu. Hartz IV und Arbeitslosengeld II – alles von seiner SPD veranlasst.

Sein Herz war mit Oskar Lafontaine, sein Verstand mit den Regierenden, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Diesen Zwiespalt konnte er nicht mehr auflösen.

Marc Neller

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