zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Wozu man künftig Kohle braucht

Die Konzerne wollen den CO2-Ausstoß in Kohlekraftwerken verringern. Eins ist schon jetzt klar: Der Strompreis wird steigen

Düsseldorf - Gäbe es die Schilder mit der Aufschrift „Comtes 700“ nicht, würde man die Anlage glatt übersehen. Die Rohre, Verdampfer, Überhitzer und Ventile wirken winzig im gewaltigen, lärmenden und heißen Bauch des Kraftwerksblocks F in Gelsenkirchen-Scholven, der gut 130 Meter aus dem Ruhrgebiet ragt. Doch „Comtes 700“ verkörpert für Kraftwerksbetreiber Eon eine riesige Hoffnung.

Es geht um die Zukunft der Kohleenergie. Sie gilt weithin als Auslaufmodell, weil sie einen Großteil des klimaschädlichen Gases CO2 ausstößt. Die Energiekonzerne sind sich aber einig, dass noch auf lange Sicht ein Großteil unseres Stroms mit Kohle erzeugt werden soll. Derzeit machen Steinkohle und Braunkohle zusammen rund die Hälfte der deutschen Stromerzeugung aus. Kohlekraftwerke sind sehr versorgungssicher, weil ihre Strommenge nicht schwankt. Außerdem ist Kohle billiger als andere Energieträger wie Gas, Öl oder Uran – und die bekannten weltweiten Vorräte reichen bei gleichbleibendem Verbrauch noch für mehr als 200 Jahre.

Deshalb liefern sich die Energiekonzerne einen Wettbewerb, um den CO2-Ausstoß in Kohlekraftwerken zu verringern. Für Eon ist „Comtes 700“ der Königsweg. Der Name steht für „Komponententest bei 700 Grad Celsius“. Auf diese Temperatur wird aus dem normalen Kraftwerkskreislauf abgezweigter Dampf erhitzt, um zu prüfen, ob neue Bauteile und Schweißnähte dem Betrieb in dieser Hitze standhalten. Statt herkömmlicher Eisen-Kohlenstoff-Legierungen, die schmelzen würden, verwendet Eon neue Materialien auf Nickelbasis. Dank der höheren Temperatur (derzeit laufen moderne Kohlekraftwerke mit 500 bis 600 Grad) soll der Wirkungsgrad von 40 auf 50 Prozent steigen. Das heißt, die Hälfte der erzeugten Energie landet im Stromnetz und verschwindet nicht als Wärme durch den Kamin. Bei einem geringeren CO2-Ausstoß könnte mehr Strom produziert werden.

Eon will bis 2014 ein Großkraftwerk mit 700 Grad Frischdampftemperatur bauen, sagt Eon-Ingenieur Christian Folke, der Leiter des Projekts. Dass der Konzern das Vorhaben ernst nehme, sehe man schon daran, dass er sein Kraftwerk zur Verfügung stellt: „Wenn die Testanlage nicht funktioniert, geht der ganze Block mit 700 Megawatt nicht ans Netz – so viel zum Vertrauen.“

Konkurrent RWE kündigt für 2014 sogar ein Großkraftwerk an, das überhaupt kein CO2 mehr in die Luft bläst. Dafür wird die Kohle nicht als Staub verbrannt, sondern erst in Gas umgewandelt. Daraus wird das CO2 gefiltert und nur der übrig bleibende Wasserstoff zur Stromerzeugung genutzt. Das CO2 kann dann in flüssiger Form gespeichert werden. Eine ähnliche Technik hat US-Präsident George Bush im Sinn, der für die heimischen Stromerzeuger schon 2012 als Zielmarke für das erste CO2-freie Kraftwerk vorgegeben hat.

In Europa wird das Rennen voraussichtlich Vattenfall gewinnen. Die Schweden bauen bereits jetzt am Lausitzer Standort Schwarze Pumpe ein Pilotkraftwerk, bei dem CO2 ebenfalls nur als Flüssigkeit anfallen soll. In Schwarze Pumpe soll zwar konventioneller Braunkohlenstaub verbrannt werden, aber nicht in Luft, sondern in fast reinem Sauerstoff, sodass nur CO2 im Rauchgas übrig bleibt. Das Pilotkraftwerk soll 2008 fertig sein. Wirtschaftlich einsetzen will Vattenfall die Oxyfuel-Methode ab 2020.

Energieforscher Gerd Oeljeklaus von der Universität Duisburg-Essen betrachtet den Wettlauf skeptisch. „Die Wirkungsgradvorteile der letzten 15 Jahre gehen mit der CO2-Wäsche wieder verloren“, sagt er. Die Stromproduktion würde deshalb wieder mehr Energie kosten. Es wäre mehr Kohle und auch mehr CO2-Erzeugung nötig, um dieselbe Menge Strom zu erzeugen. „Mit jeder Tonne Kohle, die ich ins Kraftwerk reinbringe, erzeuge ich drei Tonnen Kohlendioxid. Dann muss ich das Problem lösen, wo das alles hin soll“, sagt Oeljeklaus. Das flüssige CO2 müsse sicher gespeichert werden. Wenn es an die Luft entweiche, wäre es nicht nur klimaschädlich, sondern würde auch Menschen und Tiere ersticken. Vattenfall will das CO2 in einen unterirdischen Gasspeicher nahe Ketzin im Havelland bringen.

Bisher wurde die CO2-Speicherung nur in unbesiedelten Gebieten wie der südalgerischen Sahara oder unter einer norwegischen Ölbohrinsel in der Nordsee versucht. Aus diesem Grund sagt auch Eon-Ingenieur Folke: „Hier ist die technische Reife noch nicht gegeben.“

Doch auch an Eons Hochtemperaturverfahren hat Oeljeklaus etwas auszusetzen: „Die Lebensdauer der Komponenten geht herunter.“ Wenn man Austauschteile benötige, müsste der Kraftwerksbetrieb komplett umgestellt werden. Auf irgendeine Weise müsse der CO2-Ausstoß zwar verringert werden, sagt Oeljeklaus. Doch eines sei sicher: „Der Strompreis steigt in jedem Fall.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false