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Ausreichend bezahlbare Lebensmittel sind für Indien ein großes Problem. Kein anderes Land hat so viele unterernährte Kinder - und das trotz eines rasanten Wirtschaftswachstums.

© dpa

WTO in der Sackgasse: Indien lässt globales Handelsabkommen platzen

Trotz intensiver Verhandlungen verfehlt die WTO den erhofften endgültigen Durchbruch zum ersten globalen Handelsabkommen. Indien stellt sich quer. Die Enttäuschung ist groß.

Der Optimismus war enorm. Endlich schien die oft geschmähte Welthandelsorganisation (WTO) zu liefern: Weniger Zollbürokratie, geringere Abgaben an den Grenzen, Milliarden an Einsparungen und bessere Exportchancen für die ärmsten Länder - die Vereinbarungen des WTO-Gipfels auf Bali sollten eine neue Ära einleiten. Knapp acht Monate danach erwies sich diese Hoffnung als „Aufblastier“. Indien zog in der Nacht zum Freitag den Stöpsel.

Damit ist das erste globale Abkommen über Handelserleichterungen in der fast 20-jährigen Geschichte der WTO - das sogenannte Bali-Paket aus mehreren Einzelvereinbarungen - bis auf weiteres gescheitert. Die Frist zur Unterzeichnung eines Protokolls über Handelserleichterungen (TFA), mit dem das Paket rechtswirksam geworden wäre, ließ die neue nationalistische Regierung Indiens verstreichen. Der nötige Konsens kam nicht zustande.

„Wir waren nicht in der Lage, eine Lösung zu finden, mit der wir den Graben hätten überbrücken können“, berichtete WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo enttäuscht dem Generalrat der 160 Mitgliedstaaten umfassenden Organisation in Genf.

Kerry: Indien sendet "verwirrende Signale"

Frust-Reaktionen aus vielen Ländern sowie von Wirtschaftsverbänden ließen nicht auf sich warten. Indien sende ein „verwirrendes Signal“ und unterminiere sein Image, ließ US-Außenminister John Kerry in Neu Delhi erklären. Auch ihm war es nicht gelungen, den neuen Premierminister Narendra Modi umzustimmen.

Eisern blieb Modi dabei, die von seiner Vorgänger-Regierung auf Bali gemachte Zusage zu einer Kompromiss-Lösung nicht einhalten zu wollen. Im Zentrum des Streits steht Indiens Programm zur Ernährung von Millionen armer Menschen, die laut Regierung verhungern müssten, würde der Staat nicht Grundnahrungsmittel kräftig subventionieren.

Andere Länder sehen Kinderernährung als Vorwand

Trotz eines starken Wirtschaftswachstums hat kein anderes Land so viele unterernährte Kinder wie Indien. Den Hunger versucht die Regierung in den Griff zu bekommen, indem sie Getreide bei Farmern zu Preisen über dem Marktniveaus kauft und billig abgibt oder verteilt: So bekommen Schulkinder kostenlose Mittagessen. Bald sollen 800 Millionen Menschen Getreide zu Cent-Preisen kaufen können.

Für diese Agrarsubventionen gibt es zwar viel Verständnis. Doch eine Reihe von Ländern klagen, dass Indien sie als Vorwand nutze, um seinen Farmern massive Konkurrenzvorteile gegenüber jenen anderer Länder in der Region zu verschaffen. Modis Regierungspartei BJP erkaufe sich damit die Unterstützung der Farmer-Lobby und der Landbevölkerung, der meisten Wähler also.

Modi wollte dauerhafte Regelung erzwingen

„Indien hat jetzt gemerkt: Wenn es unterschreibt, kann es keinen Druck mehr auf die anderen Länder ausüben, die Sache mit den Nahrungsmittelsubventionen zu lösen“, sagt Biraj Patnaik, ein Experte für Nahrungsmittelpolitik, der für Indien in Genf mitverhandelte. „Das ist unser letztes Druckmittel.“

Beim WTO-Gipfel im Dezember hatte die damalige indische Regierung einer Übergangslösung zugestimmt, die den Weg für das Bali-Paket ebnete: Bis 2017 sollte Indien durch eine „Friedensklausel“ vor Klagen anderer WTO-Staaten gegen seine Agrarsubventionen geschützt werden. Bis dahin sollte eine permanente Regelung gefunden werden.

Diese wollte Modi nun schon jetzt erzwingen. Die übergroße Mehrheit der WTO-Staaten lehnte das ab. Die teils hektischen Versuche, das Bali-Abkommen doch noch mit einem weiteren Kompromiss zur retten, erinnerte Insider an das Geschacher bei „Monopoly“. „Nun heißt es 'Zurück auf Los'“, sagte ein westlicher Handelsdiplomat in Genf. „Und zwar ohne die Milliarden.“ Ein neuer Anlauf im September gilt jedoch weithin als ungewiss.

Wachstumsimpulse von einer Billion Dollar könnten verloren gehen

Wäre das TFA-Protokoll unterzeichnet worden, hätten nach Berechnungen der Internationalen Handelskammer (ICC) im Zuge des Bali-Pakets Wachstumsimpulse von bis zu einer Billion Dollar freigesetzt werden können. 21 Millionen neue Arbeitsplätze wären möglich geworden - vor allem in Entwicklungsländern.

Nun aber droht die WTO erneut in eine Sackgasse zu geraten. Das viel größere Ziel - ein weltumspannendes Freihandelsabkommen, wie es einst in Doha anvisiert worden war - scheint in unerreichbare Ferne gerückt zu sein. (dpa)

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