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Goldsucher. Manche Zahnärzte nutzen die Furcht vor Schmerzen aus und verkaufen ihren Patienten vermeintlich schonende Spezialbehandlungen.

© picture alliance / dpa

Zahnarzt unter Verdacht: Das Geschäft mit der Angst vor Schmerzen

Ein Zahnarzt aus Hannover soll vielfach Leistungen abgerechnet haben, die er gar nicht erbracht hat. So soll er Patienten mit großer Angst vor Zahnbehandlungen um tausende Euro gebracht haben – einige kamen aus der Hauptstadtregion.

Das Haus ist eine Villa, das Interieur ist gepflegt, die Sessel sind bequem, vor allem aber riecht es nach – nichts. Dabei ist dieses Haus in Hannover eine Zahnarztpraxis. Und in vielen Praxen riecht es nach scharfen Desinfektionsmitteln oder Medikamenten.

Nicht so in der Praxis von Robert Lehmann. Seit mehr als 20 Jahren ist Lehmann als Zahnarzt tätig. Die Aura der Villa, das souveräne Auftreten des Hausherrn – einige Patienten sagen, sie hätten an dem Ort anfangs „viel Professionalität“ zu spüren geglaubt.

Das Landgericht Hildesheim berät gerade darüber, ob es Lehmann den Prozess macht. Eigentlich heißt Lehmann anders. Wie das Verfahren ausgeht, ist offen, noch gilt die Unschuldsvermutung. Schon jetzt aber ist sein Fall einer der größten Zahnarztskandale des Landes. Nicht nur in Niedersachsen, selbst im Berliner Umland gibt es Betroffene. Der Zahnarzt aus Hannover hatte einen guten Ruf, aus ganz Norddeutschland kamen Patienten.

Der Vorwurf: gewerbsmäßiger Betrug

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Lehmann wegen gewerbsmäßigen Betruges angeklagt: In 24 Fällen sollen die Taten vollendet worden sein, in 36 Fällen habe er es versucht. Lehmann habe Leistungen abgerechnet, hieß es, die er nicht erbracht habe oder die nicht abrechnungsfähig gewesen seien. Der Schaden für die Patienten betrage insgesamt 120.000 Euro. Intern sprachen Beamte vorläufig sogar von bis zu einer Million Euro. Mehr als 100 frühere Patienten streiten sich mit Lehmann oder von ihm beauftragten Abrechnungsfirmen um fragwürdige Rechnungen.

Hannover ist kein Einzelfall. Abrechnungsbetrug wird auch einem Zahnarzt in Pforzheim vorgeworfen. Die zuständige Landeszahnärztekammer, der alle praktizierenden Dentisten angehören müssen, spricht von „krimineller Energie“. Der Mediziner soll aus Profitgier gesunde Zähne gezogen und die Eingriffe bei den Kassen abgerechnet haben.

1454 Beschwerden über Zahnbehandlungen

Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen (MDK) legten im Mai bundesweite Zahlen zu Behandlungsfehlern vor: Von 1454 Beschwerden über Zahnbehandlungen war 2013 jeder dritte Vorwurf nachweisbar richtig.

Angesichts von 60 Millionen Zahnbehandlungen, die pro Jahr bei gesetzlich Versicherten durchgeführt werden, mag das wenig erscheinen. Doch zu den registrierten Fällen kommt eine hohe Dunkelziffer: Viele Patienten gehen zu einem neuen Zahnarzt, um schmerzhafte oder hässliche Zähne beseitigen zu lassen. Dabei werden Spuren möglichen Betruges verwischt. Die MDK-Zahlen betreffen zudem nur Eingriffe, die von gesetzlichen Kassen bezahlt wurden. Privateingriffe, wie die in Hannover, wurden nicht erfasst.

Bundesweit nehmen Vorwürfe gegen Mediziner zu: Erstens, weil Patienten aktiver geworden sind, der Verbraucherschutz ist zur gut organisierten Branche geworden. Und zweitens, weil die Versicherungen besser vernetzt sind, problematische Ärzte fliegen schneller auf.

Viele Betroffene sind Angstpatienten

Zahnarzt Lehmann äußert sich noch vor der Anklage zu den Anschuldigungen: Sie seien weitgehend falsch. Zur Anklage selbst sagt sein Anwalt: Sein Mandant werde sich mit allen vom Gesetz zur Verfügung gestellten Mitteln gegen die Vorwürfe wehren.

Doch angenommen, die Vorwürfe stimmen. Wie konnten 100, vielleicht 200, womöglich 300 Patienten auf den Zahnarzt hereinfallen: Alte, Junge, Männer, Frauen, Pastoren, Lagerarbeiter?

Noch hat außer den Beteiligten niemand die 100-Seiten-Akte eingesehen. Fest steht, bei vielen Betroffenen handelt es sich um Angstpatienten – also Menschen, die kaum etwas mehr fürchten als Besuche beim Zahnarzt. Der Geruch von Desinfektionsmitteln oder das Surren eines Bohrers löst bei ihnen Panik aus.

Bis zu 15 Prozent der Deutschen leiden unter Dentalphobie

Die Bundeszahnärztekammer teilt mit, jeder Zweite empfinde „Anspannung bei dem Gedanken an eine zahnmedizinische Behandlung“. Schätzungen zufolge leiden bis zu 15 Prozent der Deutschen sogar unter Dentalphobie. Angstpatienten dürften öfter bereit sein, wohlklingende Extraposten in ihren Behandlungsplänen abzusegnen, wenn sie denn der Schmerzvermeidung dienen sollen. Vieles können aber selbst kritische Patienten kaum einschätzen: Wann ist eine Operation nötig, wann reicht eine Zahnspange? Wo lohnt Pflege, wo muss gebohrt werden?

Lehmann soll rund 2000 Euro für den Einsatz eines 3-D-Roboters berechnet haben, der während einer Operation scharfe Bilder der Zähne liefert. Ermittler werteten nach einer Razzia 2012 die Festplatte des Roboters aus: Demnach wurde das Gerät seit 2010 nicht benutzt. Laien hätten kaum merken können, ob der Roboter an- oder ausgeschaltet war. Sollte der Zahnarzt für schuldig befunden werden, droht ihm eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

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