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Wirtschaft: Zahnpasta aus dem Berg

In Sachsen hat erstmals seit 40 Jahren wieder ein neues Bergwerk eröffnet.

Die großen Steine in der riesigen Kipperschaufel leuchten wie tausende Edelsteine. Sie schimmern blau, grün, gelb, braun, gold, violett und rot – in allen Schattierungen. Wolfgang Schilka greift einen und streicht zufrieden über die Oberfläche. „Das ist gutes Erz mit reichlich Fluss- und Schwerspat“, sagt der Professor 130 Meter unter der Erde. Ein Kipplader nähert sich, nimmt Schwung, und lädt eine weitere Schaufel aus dem Berg gesprengter Brocken auf.

Noch unter Tage erfolgt die Vorsortierung des 90 bis 130 Millionen Jahre alten Gesteins durch Röntgenstrahlung und starke Luftströme. Die Technik sieht noch fast ungebraucht aus: Erst diesen Freitag hat die Grube Niederschlag in der Nähe des Wintersportortes Oberwiesenthal in Sachsen ihren Betrieb offiziell aufgenommen – nach zwei Wochen Testbetrieb. Damit wurde erstmals seit mehr als vier Jahrzehnten wieder ein neues Bergwerk in Deutschland eröffnet.

Mit vorerst 37 Beschäftigten will die Erzgebirgische Fluss- und Schwerspatwerke GmbH täglich 650 Tonnen Rohspat fördern und in einem Aufbereitungswerk im rund 25 Kilometer entfernten Aue einen in der chemischen Industrie begehrten Rohstoff gewinnen. Fluss- und Schwerspat findet man in Kühlmitteln oder auch in Zahncremes. Der Jahresbedarf in Deutschland liegt aktuell bei 250 000 Tonnen, der noch zu 85 Prozent durch Importe aus China gedeckt wird.

„Innerhalb von drei Jahren hat sich der Preis für eine Tonne verdreifacht und liegt jetzt bei 300 Euro“, rechnet Geschäftsführer Schilka vor. „Da lohnt sich für uns das Einsteigen, weil die Lagerstätte bestimmt 20 bis 25 Jahre reicht.“ Bei rund 25 Millionen Euro liege die aufgenommene Kreditsumme für die Investition. Da die EU grundsätzlich keine Fördermittel für den Bergbau mehr zahle, habe der Freistaat Sachsen lediglich 1,7 Millionen Euro Beihilfe für das Aufbereitungswerk in Aue bereitgestellt. Die Jahresproduktion im Erzgebirge wird künftig zwei Prozent des deutschen Bedarfs ausmachen, weitere zwei Prozent kommen aus einer Grube im Schwarzwald.

Während des Rundgangs durch die kalte und nasse Untertagewelt fallen die ungewöhnlich breiten Stollengänge auf. Zwei Kipplader können sich hier leicht begegnen. „Nur ein hoher Mechanisierungsgrad macht den Bergbau heute rentabel“, erklärt der zweite Geschäftsführer Peter Koch. „Hier hantiert kein Bergmann mit einem Bohrer. Auch für den Transport der Steine verzichten wir auf aufwendige Gleise und Hunte.“

Damit unterscheidet sich die Technologie entscheidend von den Vorgängern in der Grube. Die Wismut AG förderte in dem Berg zwischen 1950 und 1954 mit 7000 Beschäftigten Uran. Bis heute existiert der 365 Meter tiefe „Stalin- Schacht“. Die Ausbeute lag aber bei bescheidenen 135 Tonnen Uranerz, während im benachbarten Schlema zehntausende Tonnen gefördert worden waren. Nach der Wismut-Zeit untersuchte der VEB Spatbau eine Abbaumöglichkeit von Fluss- und Schwerspat. Doch der Aufwand erschien als zu hoch, und außerdem fehlte damals eine Technologie zur Spaltung der einzelnen Spatbestandteile. Anfang der 1970er Jahre wurden erneut Erkundungstrupps in den Berg geschickt, um erneut die Rentabilität zu prüfen. Es blieb allerdings bei einer Dokumentation und die Einstufung als äußerste Reserve. „Nach dem Jahre 2010“, so empfahlen die Geologen damals, „könnte sich ein Aufschluss des Bergwerks lohnen.“

Nach Angaben des Oberbergamtes Freiberg sind bisher 18 Erlaubnisse zur Erkundung und drei zum Abbau von Lagerstätten in Sachsen erteilt worden. Einige Vorkommen reichen unterirdisch bis nach Tschechien. Der Eingang zur Grube Niederschlag liegt nur 150 Meter von der Grenze entfernt. „Drüben gibt es eine Eisenbahnstation, die wir vielleicht sogar nutzen können“, sagt Wolfgang Schilka. Auch daran wäre viele Jahrzehnte lang nicht zu denken gewesen.

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