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Wirtschaft: Zentralbank schließt Zinssenkung nicht mehr aus

EZB-Präsident Trichet hält die Zinsen vorerst stabil – lässt aber Flexibilität erkennen / Ökonomen halten Ende des Euro für möglich

Frankfurt am Main/Berlin - Die Europäische Zentralbank (EZB) schließt eine Zinssenkung in den nächsten Monaten offenbar nicht mehr kategorisch aus. Anders als bei seiner letzten Pressekonferenz Anfang Mai wollte sich EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Donnerstag nicht zu dieser Frage äußern. „Das Zinsniveau ist angemessen, deshalb hat der Rat einmütig beschlossen, die Leitzinsen unverändert zu lassen“, sagte er nach der Sitzung des EZB-Rates, der über die Zinsen entscheidet, in Frankfurt. Vor vier Wochen hatte Trichet eine Zinssenkung noch ausdrücklich ausgeschlossen. Der Euro- Kurs stieg nach dem Verlust vom Mittwoch um 0,58 Prozent auf 1,2267 Euro.

Seit zwei Jahren liegt der Leitzins im Euro-Raum unverändert bei zwei Prozent. Zuletzt hatte die EZB ihre Politik im Juni 2003 gelockert. Der Grund für die neue Einstellung des Präsidenten ist offenbar das schwächere Wachstum in der Euro-Zone: Die EZB senkte ihre Prognose für 2005 von 1,6 auf 1,4 Prozent, 2006 erwartet sie statt 2,0 nur noch 1,8 Prozent.

Aufgrund des schwachen Wachstums hatten Politiker die EZB in den vergangenen Tagen zu einem Zinsschritt gedrängt. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte am Donnerstag, das europaweit einheitliche, hohe Zinsniveau honoriere den Stabilitätsbeitrag, den Deutschland für Europa leiste, nicht genug. Trichet erklärte jedoch, der Leitzins stünde Wachstum und der Schaffung neuer Jobs nicht im Weg.

Am Mittwoch hatte es in Berlin Spekulationen über ein Scheitern von Währungsunion und Euro gegeben. Dies nannte Trichet „kompletten Unsinn“. Allerdings betrachte er das Scheitern der Verfassungs-Referenden in Frankreich und den Niederlanden mit Sorge. Damit sei die EZB gefordert, die Verantwortung für den Euro noch ernster zu nehmen und durch eine stabile Währung für Vertrauen zu sorgen. „Der Euro ist ein Erfolg“, sagte Trichet. Er sei mindestens so gut wie die D-Mark. Allerdings kritisierte er die Finanzpolitik der Euro-Staaten. Hier seien Reformen dringend nötig.

Namhafte Ökonomen schlossen derweil nicht aus, dass die Währungsunion eines Tages scheitert. „Es ist durchaus möglich, dass manche Mitgliedsländer aus nationalem Interesse eines Tages austreten“, sagte Paul de Grauwe, Währungsexperte an der Universität Leuven, dieser Zeitung. „Die Versuchung in manchen Ländern ist groß.“ Als Beispiel nennt er Italien. Die hohe Inflationsrate mache das Land wenig wettbewerbsfähig im Vergleich zu Deutschland – es sei verlockend, dies mit dem Wechselkursinstrument zu beheben. „Damit die Währungsunion funktioniert, brauchen wir mehr politische Integration“, sagte de Grauwe. Ansonsten würden sich die Länder nicht an eine gemeinsame Wirtschaftspolitik halten, die für die Währungsunion nötig sei.

Auch Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover, hält ein Ende des Euro für möglich. „Im Falle einer finanzpolitischen Krise ist das denkbar – denn die Solidarität der anderen Euro-Länder ist begrenzt.“ Italien etwa laufe mit seiner alternden Gesellschaft und der Verschuldung Gefahr, eines Tages in Schwierigkeiten zu geraten. Jürgen von Hagen vom Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn hält die unterschiedliche Finanzpolitik der Länder ebenfalls für gefährlich. „Deutschland, Frankreich und Italien betreiben eine unsolide Finanzpolitik – womöglich sind die kleinen, solide wirtschaftenden Euro- Länder eines Tages nicht mehr bereit, die Folgen dessen mitzutragen.“ Allerdings sei ein Scheitern mit hohen Kosten verbunden und vorerst kein wahrscheinliches Szenario. Herbert Brücker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung warnte vor einem Austritt aus der EWU. „Dann müsste ein Land erst wieder eine neue Reputation für die neue Währung aufbauen – das wäre schwierig.“

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