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Wenig Streuung. Die Jenoptik AG hat ihre Zentrale in Jena. Was die  Ballung von Unternehmenszentralen angeht, liegt die Stadt nur auf Platz neun.

© picture alliance / dpa

Zentrale, bitte kommen!: Zu wenige Großunternehmen im Osten

Zwischen Ostsee und Erzgebirge gibt es kaum Zentralen großer Unternehmen. Berlin ist beinahe schon abgeschlagen. Das hemmt die Entwicklung.

Der Kanzler hat Wort gehalten: Längst blühen die Landschaften in Ostdeutschland, verdienen die Menschen gutes Geld bei der Produktion aufregender Produkte. Helmut Kohl und seine Nachfolger haben namhafte Unternehmen in die neuen Bundesländer geholt, jetzt kommen Porsches und BMWs aus Leipzig, Bombardier-Züge aus Hennigsdorf und Mikrochips von Infineon aus Dresden.

Doch der Westen ist nach wie vor wohlhabender, dort liegt die Wirtschaftskraft je Einwohner im Schnitt um ein Fünftel über dem Ost-Niveau. Einer der wichtigsten Gründe: Zwischen Ostsee und Erzgebirge gibt es kaum Zentralen großer Unternehmen. „Ostdeutschland hat es schwerer, weil es hier vor allem verlängerte Werkbänke gibt“, sagt Matthias Brachert, Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Er hat zusammen mit zwei Kollegen berechnet, was das für die Leistungsfähigkeit der neuen Bundesländer bedeutet. Ergebnis: Allein Jena kann es bei der Hauptquartierdichte mit westdeutschen Regionen aufnehmen. Berlin ist beinahe schon abgeschlagen (siehe Grafik). Alle anderen Städte und Länder diesseits der Elbe rangieren unter ferner liefen.

Firmenzentralen spielen für die regionale Wirtschaftsentwicklung eine wichtige Rolle, weil sie eine große Strahlkraft haben. Zum einen, weil sich unternehmensnahe Dienstleister in ihrem Umfeld ansiedeln. Zum anderen, weil in der Nähe der Entscheider meist auch die wichtigen Abteilungen für Forschung und Entwicklung arbeiten. „Die Zahl höherwertiger Arbeitsplätze ist einfach größer“, erklärt Ökonom Brachert. Hinzu kommt, dass größere Unternehmen stärker auf den Export ausgerichtet sind und entsprechend von der starken Nachfrage nach deutschen Produkten profitieren.

Um den Abstand der neuen Länder zu verdeutlichen, haben Brachert und seine Kollegen das Verhältnis von normalen Industriebeschäftigten zu Managern an einem Standort für 2010 berechnet. Demnach kommen im Westen 17,1 Arbeiter auf einen Manager, im Osten (ohne Berlin) sind es 20,2. An der Spitze liegen Erlangen, Wolfsburg und Ingolstadt, wo Siemens, Volkswagen und Audi eine große Rolle spielen. „Nur wenige ostdeutsche Regionen wie Jena, Erfurt, Dresden oder Teltow-Fläming finden bisher Anschluss“, bilanzieren die IWH-Forscher in der Studie. Dieses Ergebnis ist auch vor dem Hintergrund des Streits um den Solidarpakt interessant. Einige westdeutsche Kommunen wollen ihn aufkündigen, weil sie weitere Transfers nicht für nötig und sich selbst für bedürftig halten. Allerdings sind Zentralen auch in Westdeutschland vielerorts unterrepräsentiert.

Das größte Unternehmen mit Sitz in Ostdeutschland ist die Deutsche Bahn, spart man Berlin aus, liegt der Leipziger Versorger Verbundnetz Gas (VNG) an der Spitze. In Jena stechen Jenoptik und Schott heraus. Die Krise der Solarindustrie hat dazu geführt, dass einstmals aufstrebende Firmen wie Q-Cells in Bitterfeld-Wolfen oder Solon in Berlin kaum noch Hoffnungsträger sind. Mit der Übernahme des Pharmakonzerns Schering durch Bayer im Jahr 2006 hat Berlin eine wichtige Zentrale und den einzigen Dax-Konzern verloren.

Neun von zehn Firmen im Osten haben weniger als 100 Beschäftigte – das ist vor allem ein Erbe der DDR, die mit einer Verstaatlichungswelle 1972 das Ende des Mittelstandes besiegelte. Zudem wirkt sich hier die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt aus, die meist Betriebe – und nicht ganze Unternehmen – verkaufte.

Beseitigen lässt sich das Handicap auf die Schnelle kaum. „Neue Zentralen in den Osten zu locken ist sehr schwer“, sagt Ökonom Brachert. Man könne nur hoffen, dass Firmen neu gegründet werden oder sich mit der Zeit entwickeln. Brachert: „Da ist ein langer Atem gefragt.“

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