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Wirtschaft: Zielgruppe Türken: Die neue Pflege des türkischen Publikums

"Danisma" - das türkische Wort für Beratung - steht auf einem Hinweisschild im Mercedes-Autohaus in der Berliner Prinzessinnenstraße. Seit drei Jahren gibt es dort speziell für die türkischen Kunden auch eine Tee-Ecke mit Samowar.

"Danisma" - das türkische Wort für Beratung - steht auf einem Hinweisschild im Mercedes-Autohaus in der Berliner Prinzessinnenstraße. Seit drei Jahren gibt es dort speziell für die türkischen Kunden auch eine Tee-Ecke mit Samowar. Der Kreuzberger Autotempel ist so etwas wie das Ethnomarketing-Vorzeigehaus von Mercedes Benz. Durch spezielle Produktpräsentationen, etwa zusammen mit dem türkischen Radiosender "Metropol", oder durch Feste wie zum Uefa-Cup-Spiel zwischen Istanbul und Herta BSC soll die türkische Klientel ans Haus gebunden werden.

Daimler-Chrysler war eines der ersten Unternehmen, das vor fünf, sechs Jahren die in Deutschland lebenden Türken als kaufkräftige Kundschaft entdeckt hat. Mittlerweile haben auch andere Autohersteller, die Telekommunikationsbranche, Versicherungen, Banken, aber auch Konsum- und Lebensmittelproduzenten wie Procter & Gamble und Alete erkannt, dass die über zwei Millionen Türken ihre Kassen zum Klingeln bringen könnten. Denn die türkischen Haushalte erwirtschaften im Monat ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 3900 Mark, was zusammengenommen eine jährliche Kaufkraft von rund 30 Milliarden ausmacht. Das sind Zahlen, die besonders die Herzen der Markenartikler höher schlagen lassen. Gelten die Türken doch als markenbewusst mit einer Vorliebe für Statussymbole. Hinzu kommt, dass die Türken mit 85 Prozent unter 50 Jahren im Durchschnitt wesentlich jünger sind als die deutsche Bevölkerung, und über ein dichtes und überschaubares Mediennetz in Deutschland ansprechbar sind.

Traumhafte Voraussetzungen für die Werbewirtschaft. Aber kaum eine deutsche Werbeagentur hat Erfahrung im Umgang mit Türken, ihre Auftraggeber ebensowenig. Und so hat sich in den letzten Jahren ein neues Segment innerhalb der deutschen Werbewirtschaft herausgebildet: Agenturen, die sich auf die Konzeption von Werbung für die türkische Zielgruppe spezialisieren. Noch ist ihre Zahl überschaubar, aber die Branche boomt. Mit rund 30 Mitarbeitern und einem Umsatz im zweistelligen Millionenbereich ist die bislang größte und eine der ältesten die Berliner Werbeagentur und Filmproduktion (WFP). Sie arbeitet unter anderem für Daimler-Chrysler, die Mannesmann-Telefontochter Otelo und die Bayer AG. Ebenfalls zu den Agenturen der ersten Stunde zählen Ünver in Stuttgart und TET in Frankfurt. Newcomer in diesem Segment sind die Berliner Agenturen Beys und Lab One, in München Tulay & Kollegen sowie das Beratungsbüro Bayraktar in Nürnberg. Beys, Lab One und Tulay Kollegen planen ein kooperatives Netzwerk: Eine "Ethnic Marketing Group".

Warum die ethnospezifische Ansprache sinnvoll ist, erklärt der gebürtige Istanbuler Erk Güner, Chef von WFP: "Die Sozialisation vieler Türken hier in Deutschland ist zwar deutsch geformt, aber türkisch geprägt." Umfragen ergeben, dass auch die jungen Türken zu 70 Prozent türkische Fernsehsender einschalten. "Sie können in Deutschland geboren sein, aber sie kriegen von Ihrer Familie, von Ihrem Umfeld, von Ihrer Musik Werte mit, die nicht in einer anderen Sprache transportiert werden können. Und die lösen nicht das gleiche aus in ihnen", sagt Güner. Sein Mediadirektor Salih Atik ergänzt: "Natürlich versteht ein junger Türke jeden deutschen Werbespot, aber das heißt noch lange nicht, dass er ihn auch berührt, dass er ihn dort abholt, wo er sich mental und seelisch befindet." Deutsche Spots zu synchronisieren, lehnen die Spezialagenturen ab. "Es müssen türkische Models zu sehen sein, die aussehen wie Türken, reden wie Türken und sich benehmen wie Türken", bringt es Beys Geschäftsführer Attila Çiftçi auf den Punkt.

Penibel und bis ins kleinste Detail hinein wird deshalb darauf geachtet, dass die Werbung den türkischen Background aufgreift. In einem WFP-Spot für Daimler-Chrysler wird einer türkischen Familie, die in ihrem neuen Mercedes eine Reise nach Istanbul antritt, ein Eimer Wasser hinterhergeschüttet: Eine symbolische Geste unter Türken, um eine gute Reise zu wünschen. Auch die sehnsüchtige Musik, die die Familie über den Bosporus begleitet, ist speziell für den türkischen Geschmack komponiert. Besonders stolz sind Güner und Atik auch auf die "Baumpflanzaktion", die sie sich für Otelo ausgedacht haben: Für jeden neuen Abonnenten wird in der Türkei ein Baum gepflanzt und dadurch zugleich an das Heimatgefühl und das Umweltbewusstsein der Türken appelliert.

Einige Grundregeln, weiß Güner, gelte es bei der Werbung für Türken zu beachten: Größere Bilder und weniger Text, andere Moralvorstellungen und ein anderer Humor. Eine Ariel-Klementine, die in der Küche wäscht, komme eben beim türkischen Publikum einfach nicht an, egal ob sie deutsch oder türkisch spricht. Denn für eine türkische Frau ist es undenkbar, in der Küche Wäsche zu waschen. Auch ein Mann in Unterhose trifft nicht die Wertvorstellungen türkischer Verbraucher. Noch ist der Anteil des Werbebudgets, den deutsche Unternehmen für die ethnospezifische Ansprache ausgeben, unverhältnismäßig gering, gemessen an dem Anteil, den die Türken an der Hauptzielgruppe der 14 bis 29jährigen ausmachen. Rund 200 Millionen Mark, schätzt Atik, werden im TV-Bereich investiert. "Wir haben Kunden, die durchaus was für die Türken machen wollen, aber so, dass es kein Deutscher merkt", erklärt sich Çiftçi die Zurückhaltung.

Ein anderes Problem sind die fehlenden Daten über das türkische Medien- und Konsumverhalten. Erst seit drei Jahren gibt es mehr Informationen. Doch die Deutsche Gesellschaft für Kommunikationsforschung ignoriert bis heute die zwei Millionen Türken. In diese Marktlücke ist die Arbomedia.net Deutschland in Langen gesprungen. Sie vermarktet exklusiv die Werbezeiten der drei türkischen TV-Sender in Deutschland TRT-int, a-tv und Kanal-D. In ihrem Auftrag führt das in Berlin ansässige Marktforschungsinstitut DATA 4-U vierteljährlich Befragungen in über 100 000 türkischen Haushalten durch. Sie haben ermittelt, dass bei den jungen Deutschtürken zwischen 14 und 29 Jahren Kanal-Dim Trend liegt, bei den Älteren TRT-int, dass fast alle die Tageszeitung "Hürriyet" lesen und drei Viertel der Jungen den Berliner türkischsprachigen Popsender "Metropol" hören. Wichtige Informationen, um einen Werbespot zielgruppenspezifisch platzieren zu können, liefert auch das Zentrum für Türkeistudien in Essen.

Dass Türken bei Zahncreme zu "Signal" greifen und wie die Deutschen Pampers-Windeln bevorzugen, hat das DATA 4-U-Team für Procter & Gamble herausgefunden. Auch, dass ein Drittel der Türken mehr als 50 Mark für Duftwässerchen ausgibt und im Schnitt mehr Schokolade genascht wird als in den deutschen Haushalten. Ozan Sinan, der Chef von Lab One, bezweifelt allerdings, dass unter den jüngeren Türken nach wie vor die türkischsprachigen Medien so Hoch im Kurs stehen. Umfragen, die er für seine Kunden durchgeführt hat, hätten ergeben, dass die meist gekaufte Tageszeitung unter Türken die Bildzeitung ist, und RTL und Pro 7 genauso eingeschaltet werden wie die türkischen Sender. Das hat ihn ermutigt, letztes Jahr das deutschsprachige, auf junge Türken abzielende Lifestyle-Magazin "Etap" ins Leben zu rufen, das aber nach wenigen Ausgaben wegen schlechter Verkaufszahlen eingestellt werden musste. Sinan schreibt den Misserfolg den zu geringen finanziellen Möglichkeiten zu. Deshalb sei man auch nicht in den Zeitschriftenhandel gekommen. Sinan und sein Kollege Çiftçi suchen zudem nach Wegen, um die Zielgruppe noch direkter als über die klassischen Medien anzusprechen. Event und Internet heißen auch hier die Zauberworte. Beys organisiert für Radio Metropol, das sich ausschließlich aus Werbemitteln finanziert, Partys, zu denen Tausende türkische Jugendliche strömen. Ozan Sinan, der vor einigen Jahren die erste türkische Rapscheibe produzierte, setzt auf türkische Popstars als Werbeträger. Das kürzlich gegründete türkische Internetportal Vaybee.de macht es zudem möglich, dass sich die bisher versprengten türkischen Communities in Berlin, München und Hamburg zusammenschließen können.

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