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Wirtschaft: Zorn und Tränen in Turin

Fiat-Arbeiter im Stammwerk akzeptieren Einschränkungen zugunsten von Investitionen / Kommunisten rufen zum Streik auf

Diese Urabstimmung hat ganz Italien aufgewühlt. Zwar ging es „nur“ um einen Haustarifvertrag für das Fiat-Stammwerk in Turin-Mirafiori, aber das Für und Wider wurde im Land diskutiert, als ginge es um Leben und Tod. Weinend zogen etliche der 5431 Beschäftigten zu den Urnen, vor Zorn bebend die anderen, und vor den Werkstoren machten kommunistische Parteien sowie gleichgesinnte Gewerkschafter Front gegen den „mafiösen Erpresser“, den „Haifisch“, den „Ausbeuter“, den Manager, der „den Werktätigen ihre Rechte klaut“: gegen Fiat-Chef Sergio Marchionne. An der Abstimmung beteiligte sich die Belegschaft beinahe geschlossen: 94,6 Prozent. Zwar ging am Sonnabend, wie berichtet, der Sieg an Marchionne – 54 Prozent sagten Ja zu „seinem“ Tarifvertrag –, aber die unterlegenen Gewerkschafter ließen nicht locker. Die 46 Prozent Nein-Stimmen seien „ein Zeichen für die Würde der Arbeiter“ in Marchionnes „autoritärer Kaserne“ und „eine Ermutigung zum Kampf“. Für den 28. Januar hat die kommunistische Metallgewerkschaft Fiom einen landesweiten Streik angesetzt.

Marchionne hat mit seinem Alleingang das Land gespalten. Der Fiat-Chef argumentierte, der Flächentarifvertrag beschneide Mirafiori in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Den Arbeitgeberverband hat er verlassen; die Gewerkschaften und die Beschäftigten stellte er vor die radikale Wahl: Entweder sie stimmten Verschlechterungen zu, oder Mirafiori werde geschlossen.

Während die christlichen und die rechten Gewerkschaften, die zusammen die Mehrheit der Fiat-Beschäftigten vertreten, mit Marchionne zu einem Abschluss kamen, verweigerte sich die kommunistische Fiom als größte Einzelgewerkschaft. Daraufhin schlossen Marchionne und seine Vertragspartner die Fiom aus der innerbetrieblichen Mitbestimmung aus. Dieser für Italien unerhörte Vorgang ließ den Streit erst recht hochkochen. Für seine Ideen warb Marchionne mit dem doppelten Versprechen, bei einem „Ja“ zum Haustarifvertrag werde er mehr als eine Milliarde Euro in Mirafiori investieren; außerdem würden die Löhne der Arbeiter steigen.

Auf den ersten Blick sind die Neuerungen nicht revolutionär: Marchionne kann nun, falls die Auftragslage es erfordert, dreimal so viele Überstunden anordnen wie bisher und den Zweischicht- auf einen Dreischichtbetrieb erweitern. Vor allem aber wollte Marchionne etwas, was in Italien für Empörung sorgt: Die außerordentlich hohe Abwesenheitsquote von Turiner Beschäftigten (acht Prozent Fehlzeiten) auf den nationalen Durchschnitt (3,5 Prozent) drücken – indem er den auffällig häufig Abwesenden, oder solchen, die immer wieder nach Feiertagen oder Fußballspielen fehlen, das Krankengeld kürzt. Das letzte Wort über jeden Einzelfall soll eine paritätische Kommission aus Gewerkschaften und Firmenleitung haben. Schließlich will Marchionne die Gewerkschaften zur Friedenspflicht zwingen und wilde Streiks erschweren, mit denen einzelne Verbände immer wieder die Produktion lahmlegen.

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