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Lockere Atmosphäre. Im Münchner Büro arbeiten vor allem Softwareentwickler.

© IMAGO

Zu Besuch im Entwicklungsbüro: Die Googler

Wie der Internetkonzern Google in München neue Anwendungen für Nutzer in der ganzen Welt entwickelt.

Intern werden sie die „Google seven“ genannt. Das sind die sieben Kilo, die ein Noogler, also ein neuer Mitarbeiter bei Google, im Schnitt zunimmt, wenn er anfängt, für den Internetkonzern zu arbeiten. Der Gemüsespieß, den es an diesem Tag in der Kantine im Münchner Entwicklungsbüro gibt, trägt wohl nicht dazu bei. Eher vielleicht die Säfte und Leckereien aus den mannshohen Selbstbedienungskühlschränken oder die Chips und Schokoriegel aus der Snackbox im Gang. Die Mitarbeiter werden hier gut versorgt: Speisen, Getränke und Snacks sind kostenlos. Im Massagesessel um die Ecke kann man dann ein Mittagsschläfchen halten oder am Kicker ein paar Kalorien wieder abtrainieren.

In den Büroräumen mit den rot-gelb- grün-blauen Teppichböden und den individuell geschmückten Arbeitsplätzen spürt man keine Anspannung wegen der zuletzt teilweise sehr hitzigen öffentlichen Debatten über Google. Politiker, Datenschützer und andere Kritiker kritisierten das Unternehmen wegen seiner Datensammelwut und dem Panoramadienst Street View. In den zwei Büroetagen werden vielmehr Erinnerungen an die Boomzeiten der New Economy wach.

„Wir haben ein tolles Arbeitsumfeld“, sagt der Leiter des Entwicklungsbüros Wieland Holfelder. Der Chef ist wie die Mitarbeiter leger gekleidet, trägt Jeans und ein blau-weiß kariertes Hemd. „Bei all dem Bunten und Lockeren darf man aber nicht vergessen, dass hier hart gearbeitet wird.“ Das jedoch in exquisitem Umfeld: in der Dienerstraße im Zentrum der Stadt, neben dem berühmten Feinkosthändler Dallmayr, mit Blick über den Marienhof auf die Türme der Frauenkirche. Das Münchner Büro ist eines von weltweit mehr als 25 Entwicklungsbüros des Internetkonzerns. „Kalifornien ist schön“, sagt Holfelder, der dort selbst zehn Jahre gelebt hat. „Aber nicht jeder ist bereit, dort zu arbeiten.“ Viel mehr gebe es überall auf der Welt Leute mit speziellen Fähigkeiten und brillante Entwickler. „Diese Talente wollen wir für uns gewinnen“, sagt Holfelder. Und München sei nun mal das Silicon Valley Europas, auch wenn das in Berlin niemand gern hört. „Hier spielt die Musik wenn es um das Thema Internet geht – über die Grenzen Deutschlands hinaus. Und es ist ein Ort, an dem es sich gut leben lässt“, fügt er lächelnd hinzu.

Jedes Büro hat spezielle Aufgaben. Die Münchner steuern bei, was man wohl weltweit für deutsche Stärken hält – zum Beispiel die Themen Datenschutz oder Internet im Auto. Sie arbeiten auch an neuen Funktionen für den Internetbrowser Chrome oder an Online-Anwendungen für Firmen. Das in Deutschland so heftig umstrittene Produkt Street View, das Panoramabilder von Häusern und Straßen zeigt, wurde dagegen in den USA und Zürich entwickelt.

Angefangen haben die Mitarbeiter in München im Jahr 2007 mit der Entwicklung interner Softwarewerkzeuge für die Programmentwickler weltweit. „Das sind zu hundert Prozent Ingenieursleistungen“, betont Holfelder, der sich selbst einen begeisterten Technik-Freak nennt. Wer sonst besitzt schon einen Whirlpool, den man per E-Mail vorheizen kann? Holfelder hatte so einen, als er in Kalifornien lebte. Dort hat er auch die Entwicklung von Google von Anfang an mitverfolgt. „Google ist eine von der Technik getriebene Firma“, erklärt er. „Und es ist eine der wenigen, in der man als Softwareentwickler Karriere machen kann.“ Das Unternehmen achte darauf, dass die Zahl der Mitarbeiter im Vertrieb nicht größer ist, als die der Ingenieure. Dabei verdient Google sein Geld zum größten Teil mit dem Verkauf von Werbung im Internet. 2009 setzte der Konzern 23,7 Milliarden Dollar um, 2010 werden es wohl mehr als 26 Milliarden sein. Weltweit arbeiten heute 23 000 Menschen für das Unternehmen. „Die Hälfte davon sind Ingenieure“, sagt Holfelder.

In Deutschland hat Google um die 300 Mitarbeiter, verteilt auf den Firmensitz in Hamburg, Büros in Düsseldorf, Frankfurt am Main und Berlin sowie das Entwicklungsbüro in München. Hier arbeiten etwa 60 Softwareentwickler und rund 35 Leute in den Vertriebsteams. Gerade ist unter dem Dach eine neue Etage hinzugekommen. Zur Hälfte sind die neuen Büros schon fertig und besetzt. „Wir haben versucht, hier ein bisschen Alpenatmosphäre hineinzubringen“, erklärt Holfelder und zeigt auf der Empore eine nachgebildete Felswand aus Styropor. „Es gibt sogar ein Edelweiß – auch nachgebildet.“ Und es gibt noch viele ungenutzte Schreibtische und leeren Raum. Holfelder öffnet eine Tür, hinter der sich eine Baustelle befindet. „Wir haben knapp hundert Leute, Platz gibt es für 150“, sagt der Leiter des Entwicklungsbüros. „Wir stellen ein – in fast allen Bereichen.“ Mehr als 3000 Bewerbungen bekommt Google weltweit an jedem Tag. Wer eingestellt wird, entscheiden die, die später mit dem Noogler im Team arbeiten sollen. Fünf bis acht Interviews muss ein Kandidat absolvieren. „Wir wollen sehen, dass jemand wirklich programmieren kann und dass er zu uns passt“, sagt Holfelder. Bei der Auswahl lässt man sich Zeit. „Wichtig ist, dass wir die richtigen Leute bekommen.“

So verbringt auch der 33-jährige Stephan Micklitz viel Zeit mit Interviews. Er sucht nach Querdenkern, das sei ein wesentliches Einstellungskriterium. Als Leiter des Datenschutz-Teams ist sein Hauptjob jedoch die Entwicklung des Google- Dashboards. Mit dieser Anwendung können Nutzer überprüfen, welche Daten Google über sie gespeichert hat. „Unser Ziel ist es, die Transparenz zu erhöhen und den Nutzern die Möglichkeit zu geben, die über sie gespeicherten Daten zu kontrollieren“, sagt Micklitz. Das Produkt sei in Deutschland entwickelt worden, weil das Thema Datenschutz hier extrem wichtig sei. „Hier finden wir Leute mit Passion für das Thema“, sagt Micklitz. Er selbst gehört zweifellos dazu. Die meisten Nutzer dagegen beschäftigten sich nicht gern mit dem Thema und klickten alle Warnungen einfach weg. Manchmal lasse einem das System auch keine Wahl, als der Übertragung von Informationen zuzustimmen. „Wir finden, es muss eine bessere Lösung geben als das“, sagt der Münchner. „Wir wollen ein Produkt entwickeln, das Spaß macht.“ Natürlich führe er mit seinen Bekannten immer wieder Diskussionen über das Thema Datenschutz. „Aber in meinem Bekanntenkreis sind halt viele Informatiker, die haben ein anderes Verständnis dafür.“

Die Beziehung der Deutschen zu Google ist widersprüchlich.

Viele „normale“ Nutzer durchschauen längst nicht mehr, was Google alles macht. Und viele empfinden ein Unbehagen ob der Datensammelwut, die das Unternehmen an den Tag legt. Die 1998 von zwei Studenten in Kalifornien gegründete Firma ist immerhin angetreten, die Informationen der Welt zu organisieren und allen zugänglich zu machen. Einige empfinden das inzwischen als bedrohlich. Von der Krake Google ist die Rede, die ihre Tentakel in alle Winkel des Internets ausstreckt. Am Anfang war die Suchmaschine, doch inzwischen kann man sein privates oder geschäftliches Leben mit Google organisieren, seine E-Mails oder Fotos verwalten, bloggen, Videos ins Netz stellen, die Erde erkunden oder auch den Mond oder Mars.

Doch die Beziehung der Deutschen zu Google ist widersprüchlich. Hierzulande entscheiden sich neun von zehn Suchenden für Google – deutlich mehr als etwa in den USA. Und die Deutschen waren auch die eifrigsten Nutzer von Google Street View. Lange bevor der Dienst nach Deutschland kam, schauten sie sich beispielsweise ihr Urlaubsziel im Netz an. Und seit Street View nun in Deutschland online ist, ist die Nutzung des Kartendienstes Google Maps, zu dem Street View gehört, noch einmal um 300 Prozent gestiegen. Fast jeder wollte sehen, wie sein Haus im Netz aussieht.

„Um unsere Dienste zu verbessern, haben wir Interesse an aggregierten Informationen, nicht jedoch an persönlichen Daten, die einzelnen Nutzern zuzuordnen wären“, beteuert Micklitz. „Wir wissen nicht und wollen auch nicht wissen, welche Person an einem Rechner sitzt oder ob es etwa ein ganzes Unternehmensnetzwerk ist.“ Zunächst werden die Suchabfragen so gespeichert, dass sie grob einem Ort zugeordnet werden können. Erst nach neun Monaten werden sie anonymisiert. „Bis zu einem gewissen Grad – zum Beispiel zum Schutz vor Viren oder zur Spamabwehr – ist es sinnvoll zu wissen, woher eine Anfrage kommt. Später nicht mehr“, sagt Micklitz.

Ein Beispiel ist etwa Google Trends: Anhand der Häufigkeit, mit der an bestimmten Orten einzelne Suchwörter eingegeben werden, kann man etwa vorhersagen, wo womöglich eine Grippewelle im Anzug ist oder die Arbeitslosigkeit steigt, weil mehr Menschen einen neuen Job suchen. Die große Zahl der Nutzer macht die Daten interessant. Auch helfen vergangene Suchanfragen, neue Suchanfragen besser zu verstehen. „Es gibt hunderte Schreibweisen von Britney Spears“, sagt Micklitz. Google kann vorschlagen, welche vielleicht gemeint sein könnte. „Viele Innovationen sind nur möglich, weil wir auf einer großen Datenbasis ausprobieren können, ob die Idee auch funktioniert“, sagt der Informatiker.

Starke Bauchschmerzen bekommen viele Datenschützer, wenn sie daran denken, dass Google nun auch die mobile Welt erobern will. Wer im Auto oder auf dem Handy die Dienste von Google nutzt, sendet ständig Daten über seinen Aufenthaltsort – wenn er es zulässt. „Unsere Erfahrung ist, dass Nutzer, die Google Apps verwenden, dies sehr bewusst tun. Jeder, der Daten bei uns ablegt, schätzt die Vorteile der zentralen Speicherung und den Komfort von Online-Diensten“, sagt Markus Mühlbauer, der das Google Automotive Team leitet. Diesem Team verdanken BMW-Fahrer, dass sie nun Googles lokale Suche auch im Auto nutzen können oder dass Fahrer eines neuen Audi A8 ihre Fahrstrecke via Google Earth vorab virtuell abfahren können. Mühlbauers Team arbeitet auch daran, dass Navigation auf Zuruf funktioniert.

Wer die Googler, wie sie sich selbst nennen, in München besucht, dem entgeht nicht, dass sie stolz darauf sind, hier zu arbeiten. Es fehlt zwar an Statussymbolen wie Dienstwagen oder Assistentinnen und die Teamleiter sitzen mit allen anderen gemeinsam im Großraumbüro. Aber sie haben das Gefühl, dass sie von dem Unternehmen geschätzt und zugleich gefordert werden. „Jeder kann und soll sich beständig weiterentwickeln“, sagt Mühlbauer. Und wie in den Gründungsjahren können die Mitarbeiter noch heute 20 Prozent ihrer Zeit, also einen Tag pro Woche, für eigene Projekte verwenden – solange die Leistung stimmt.

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