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Wirtschaft: Zur Not auch pöbeln

Mit Attacken auf Wohlhabende macht Verdi-Chef Frank Bsirske Stimmung im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes

Ein paar Millionen Leute erwarten von Frank Bsirske Geld. Es geht um Milliarden, die Bsirske am liebsten bei den Reichen abholen würde, um sie dann den weniger Reichen zukommen zu lassen. Bsirske ist nicht im Sherwood Forest wie Robin Hood unterwegs; er reist durch Deutschland und bringt seine Truppen mit Ansprachen in Stimmung.

Bsirske ist Verhandlungsführer der Arbeitnehmer im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes. Und Bsirske will mindestens drei Prozent mehr Lohn für die knapp drei Millionen Arbeiter und Angestellten bei Bund, Ländern und Gemeinden. Dass die öffentlichen Kassen leer sind, weiß der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und empfiehlt deshalb, die Kassen der Reichen anzuzapfen. Denn die Beschäftigten wollten „nicht sparen für die Reichsten im Lande, nicht Lohnverzicht üben dafür, dass der Familie Holtzbrinck mit einem geschätzten Familienvermögen von fünf bis sechs Milliarden Euro die Vermögensteuer auch in Zukunft erlassen wird. Sparen für Gloria von Thurn und Taxis, die größte Grundstücksbesitzerin in Deutschland – mit uns nicht!“

Dieser polemische Ausfall überrascht. Frank Bsirske, 50 Jahre, Politologe, ist bislang als Demagoge nicht aufgefallen. Auch den Klassenkämpfer sieht man ihm nicht an, Parolen und Radau sind seine Sache nicht. „Ich versuche, die Dinge inhaltlich zu entwickeln“, beschreibt Bsirske sein Verständnis von Rhetorik. Der Sohn eines Arbeiters und einer Krankenschwester aus Helmstedt tritt charmant auf, lächelt fast immer. „Ich würde mich als freundlich und zugewandt bezeichnen“, sagt Bsirske über Bsirske.

Sein Gegner am Tariftisch ist Bundesinnenminister Otto Schily. Anders als der Gewerkschafter hält sich Arbeitgebervertreter Schily mit Tarifsprüchen auffallend zurück. Der Innenminister sieht sich auf der sicheren Seite, weiß er doch, dass eine deutliche Lohnerhöhung für den öffentlichen Dienst in der breiten Öffentlichkeit kaum verstanden würde: Wo nichts ist, da kann auch nichts verteilt werden.

Es ist Frank Bsirskes erste Tarifrunde, und es ist die erste große Tarifrunde für die junge Gewerkschaft Verdi; früher erledigte das die ÖTV. Das Tarifgeschäft im öffentlichen Dienst ist äußerst schwierig und hat schon so manchen Kanzler (Willy Brandt 1974) und ÖTV-Vorsitzenden (Monika Wulf-Mathies, Herbert Mai) in Bedrängnis gebracht. 1992 waren die ÖTVler nicht zufrieden mit einer Lohnerhöhung um 5,4 Prozent und machten Wulf-Mathies dafür verantwortlich, vor zwei Jahren murrten die Beschäftigten über zweieinhalb Prozent. Und der damalige ÖTV-Chef Herbert Mai war danach schwer angeschlagen. Sowohl 1992 als auch 2000 legten die Bediensteten die Arbeit nieder. Die im Vergleich zu den Industriegewerkschaften hohe Streikbereitschaft hängt vermutlich zusammen mit der relativen Arbeitsplatzsicherheit – Arbeitskämpfe sind im öffentlichen Dienst weniger riskant als in der privaten Wirtschaft.

Frank Bsirskes Karriere ist in der deutschen Arbeiterbewegung einmalig. Sein erstes Geld verdiente der Niedersachse als Bildungssekretär der Sozialistischen Jugend Deutschlands. Bsirske arbeitete für die Grünen-Fraktion im Hannoveraner Stadtparlament und stieg schließlich in der ÖTV auf: Gewerkschaftssekretär, Geschäftsführer der Kreisverwaltung, schließlich stellvertretender Bezirksvorsitzender. 1996 wurde Bsirske auf Vorschlag der Grünen Personaldezernent in Hannover. Bis zu jener Nacht im November 2000, als ein ÖTV-Funktionär anrief. Die Gewerkschaft hatte gerade auf ihrem Kongress in Leipzig den Vorsitzenden Herbert Mai verloren und sträubte sich gegen den Zusammenschluss mit vier anderen Gewerkschaften zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi). Die ÖTV drohte zu zerfallen. Zwei Stunden überlegte Bsirske in jener Nacht mit seiner Frau den weiteren Lebensweg. Am nächsten Tag wählten ihn die ÖTVler zum neuen Chef. In den folgenden Monaten überzeugte er die Basis von der Notwendigkeit der Fusion mit den anderen Gewerkschaften und wurde schließlich zum ersten Vorsitzenden von 2,7 Millionen Verdi-Mitgliedern gewählt.

Den Kontakt zur Basis nicht verlieren

Bsirske will keine lange Tarifrunde. Er hat keine Lohnforderung von sechs Prozent gestellt wie die anderen Gewerkschaften, sondern sich an den Tarifabschlüssen in diesem Jahr orientiert. Daher stammt die „Drei-plus-x“-Forderung. „Diese Drei vor dem Komma ist ernst gemeint“, sagt Bsirske, und in der Gewerkschaftsszene fragen sich nicht wenige, ob er ohne persönlichen Schaden überhaupt noch unter drei Prozent abschließen kann. Bsirske drückt aufs Tempo, denn je länger eine Tarifrunde dauert, desto größer werden die Erwartungen der Arbeitnehmer. In der kommenden Woche will er in Kassel zu Ende verhandeln – wenn nötig auch bis zum 23. Dezember, „weil wir nicht monatelange Schleifen drehen wollen“. Und damit die Arbeitgeber sich bewegen, werden die Warnstreiks ausgeweitet.

Bsirske hat seinen Vorgänger Mai im Kopf. Nach der letzten Tarifrunde hatten zwei Drittel der ÖTV-Funktionäre kein Vertrauen mehr in ihren Vorsitzenden. Davor hat Bsirske Angst, deshalb hält er sich permanent an der Basis auf . Sein Programm: Zuhören. Seine Führungsdevise: Das Gespräch suchen. Nach 20 Monaten an der Verdi-Spitze hat er sich nach eigener Beobachtung eine „Grundpopularität“ in der Mitgliedschaft erarbeitet. Besser: erschuftet. Bis zu 18 Termine hat der Tag, und selbst am Sonntag, dem einzigen „freien“ Tag, gehen acht bis zehn Stunden in der Charlottenburger Wohnung für die Akten drauf. Immerhin wird die Schinderei ordentlich bezahlt. Mit 13800 Euro ist Bsirske nach IG-Metall-Chef Klaus Zwickel (17400 Euro) der bestbezahlte Gewerkschafter.

Bsirske will die Gewerkschaften aus der Defensive holen. Seit anderthalb Jahren trommelt er für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Bsirske war Anfang 2001 der erste Gewerkschaftsboss, der die tarifpolitische Wende forderte, weil „Lohnverzicht keine Arbeitsplätze schafft“. Die Gewerkschaften sieht er als „Widerlager“ in der Gesellschaft, eine Gegenmacht der Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeber, gegen die Reichen und Mächtigen.

Aber diese Gegenmacht schwächelt. Verdi verliert im Jahr rund 80000 Mitglieder. Das tut weh, denn „die Gewerkschaften leben von der Macht der Zahl“. Bsirske will Verdi attraktiver machen, mehr „Raum lassen für individuelle Lösungen“ und „raus aus den Gewerkschaftsghettos“. Die beste Gelegenheit dazu bietet eine Tarifauseinandersetzung. Und gleichzeitig das größte Risiko. Werden die Erwartungen der Mitglieder enttäuscht, stürzen Verdi und ihr Vorsitzender in die erste große Krise. Bsirske und Schily werden ein kleines Wunder brauchen, um einen akzeptablen Kompromiss für alle Beteiligten zu finden.

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