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Gut und günstig, aber nicht unbedingt ökologisch wertvoll ist das Prinzip des Teilens, das durch diverse Internetplattformen in Schwung gekommen ist. Es geht auch hier nicht zuletzt um Geld. Foto: Keith Morris/Alamy

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Zwischen Teilen und Business Model: Die falschen Versprechen der Sharing Economy

Autos, Wohnungen, Kleidung – die Sharing Economy gilt als zukunftsträchtig. Für viele Kunden zählen vor allem Gemeinschaftsgefühl und Umweltschutz. Mit der Realität hat das oft nicht viel zu tun.

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Sie nennen es Partys. Sie treffen sich, sie tauschen Kleider, Schmink- und Lebenstipps aus. Die Kreislerinnen, wie sie sich selbst nennen, haben sich im Netz kennengelernt, auf der Onlineplattform Kleiderkreisel. Für einen kurzen Moment scheint es, als sei eine alte Öko-Utopie wahr geworden: teilen statt besitzen, gebrauchte Kleidung tauschen, statt sie wegzuwerfen. Zwischenmenschliche Beziehungen gibt es gratis dazu.

Nicht nur Kleiderkreisel arbeitet nach diesen Prinzipien, zahlreiche andere sogenannte Peer-to-Peer-Sharingportale vermitteln Dienstleistungen und Produkte zwischen Privatpersonen: Bohrmaschinen, Autos, Schlafplätze, Jobs. Insgesamt 79 solcher P2P-Plattformen sind in Deutschland inzwischen aktiv. Die Slogans drehen sich stets um Gemeinschaft oder eine grüne Zukunft.

Peer-to-Peer-Sharing ist eine Teilsektion der boomenden „Sharing Economy“. Vermieten Firmen wie DriveNow lediglich Autos an mehrere Leute, verkaufen, vermieten, verleihen oder verschenken beim Peer-to-Peer-Sharing Privatpersonen an Privatpersonen. Die Plattformen werden von ihren Nutzern mit Vorschusslorbeeren bedacht. So glauben drei Viertel der Nutzer, dass Sharing gut für die Umwelt ist und dass es die Gemeinschaft stärkt, wie eine repräsentative Umfrage der Unternehmensberatung PWC in den USA ergab. Für Deutschland liegen noch keine Zahlen vor. Wie viel taugen diese Versprechen von der nachhaltigen Wirtschaft durch digitalisiertes Teilen? Eine Langzeitstudie des Forschungsprojektes „Peer-Sharing“ hat das nun untersucht.

Die Mission des Kreisels

Das Geschäftsmodell ist am Beispiel Kleiderkreisel schnell erklärt. Alle 49 Sekunden wird im Schnitt ein Kleidungsstück verkauft, rund 600 000 Menschen nutzen die Plattform in Deutschland wöchentlich. „Unsere Mission: Wir machen Secondhand zur ersten Wahl – weltweit“, heißt es auf der Website. Auf dieser Mission wird Kleiderkreisel von Geldgebern unterstützt, die in zwei Investitionsrunden mehr als 25 Millionen Euro in das Unternehmen pumpten. Dabei kann die Firma gerade einmal ein Fünftel der laufenden Kosten selbst decken.

Es geht um Wachstum. Kleiderkreisel konnte sich eine hervorragende Position auf dem Peer-to-Peer-Sharingmarkt für Kleidung erarbeiten: Das Unternehmen dominiert in Deutschland mit 63 Prozent Marktanteilen, Konkurrent Ebay Kleinanzeigen kommt auf 33 Prozent. 2008 in Litauen gegründet, operiert das Unternehmen inzwischen in acht Ländern, in der Zentrale in Vilnius arbeiten mehr als 100 Mitarbeiter, am deutschen Standort München sind es 20.

Die Folgen des Teilens

Siegfried Behrendt, einer der beiden Leiter der Studie, sieht grundsätzlich „große Potenziale für Umweltentlastung“ in Plattformen wie Kleiderkreisel. Nicht umsonst wird die Studie neben dem Forschungsministerium hauptsächlich aus ökologischen Töpfen finanziert. „Ein Privatfahrzeug ist ja eigentlich ein ,Stehzeug’, weil es nur eine Stunde am Tag fährt“, erklärt der Forscher. Wenn es in der Zwischenzeit von anderen Menschen genutzt werden kann, werden Ressourcen eingespart, da weniger Autos produziert werden müssten. Für Carsharing sei dies nachgewiesen. „Auch wenn einige Nutzer durch die Möglichkeit des einfachen Zugriffs auf ein Fahrzeug vielleicht öfter Auto gefahren sind, fällt das Gesamtverhältnis in Summe positiv aus“, sagt Behrendt.

Auch bei Übernachtungsangeboten scheint die Ökobilanz für Peer-to-Peer- Angebote zu sprechen: Weniger Bettlaken werden gewaschen, weniger leerstehende Zimmer geheizt, weniger Lampen leuchten in zumeist leeren Hotelgängen. Sascha Schubert vom Bundesverband Deutsche Start-ups vermutet, dass sich in diesem Bereich die größten „Optimierungspotenziale“ verbergen, und rechnet vor: Allein in Berlin gibt es rund zwei Millionen Haushalte.

Wenn die im Schnitt 20 Urlaubstage unterwegs sind, sind ihre Wohnungen theoretisch für 40 Millionen Übernachtungen frei. Schon jetzt stehen in der Hauptstadt 130 000 Gästebetten 20 000 gelisteten Übernachtungsmöglichkeiten auf „P2P“-Plattformen gegenüber. Doch wenn die Auto- oder Wohnungsbesitzer mit ihren Erlösen aus Vermietungen in den Urlaub fliegen oder ein Auto gegenfinanzieren, ist das kaum ökologisch vorteilhaft.

Karriere eines Begriffs: Menge der Suchanfragen bei Google zu Sharing Economy und Peer-to-Peer Sharing

Während früher vor allem im Zuge von Filesharing-Plattformen hauptsächlich von P2P gesprochen wurde, hat inzwischen die Sharing Economy den Begriff nahezu abgelöst.

Diese Ambivalenz lässt sich auch bei Kleiderkreisel beobachten. Zunächst scheint es am Konzept Secondhand wenig auszusetzen zu geben: Durch die Weitergabe verlängere sich die Nutzung eines Kleidungsstücks, argumentiert Anita Schuffert von Kleiderkreisel. Aber Behrendt gibt zu bedenken: „Andere genießen den Zugriff auf mehr Mode, den sie sich ohne die Möglichkeit des Weiterverkaufs gar nicht leisten könnten.“ Auf diese Weise würden nicht etwa Textilien eingespart, sondern lediglich ihre Rotation beschleunigt. Behrendt und sein Team wollen nun prüfen, ob durch die Plattform mehr oder weniger Stoffe in Umlauf kommen.

Die überschätzte Gemeinschaft

Ähnlich ernüchtert zeigt sich der diplomierte Biologe und Politikwissenschaftler beim Thema soziale Nachhaltigkeit: „Meine These ist: Der Faktor Gemeinschaftlichkeit ist weit überschätzt.“ Kleiderkreisel oder die Übernachtungsplattform Couchsurfing seien hier die großen Ausnahmen, die Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln könnten. Schuffert bezeichnet die Community gar als „Herz“ der Plattform, das der Idee erst „Leben einhaucht.“ Die meisten anderen „P2P“- Sharingangebote bieten hingegen lediglich rudimentäre Kommunikationsmöglichkeiten oder verzichten vollständig auf Community-Angebote wie Foren oder Chats.

Und selbst bei Kleiderkreisel zeigt sich, dass viele Kontakte ausschließlich um des Verkaufs Willen stattfinden: 82,8 Prozent der Angebote auf dem Portal sind zum Verkauf. „Tauschen ist zeitaufwendiger als der Verkaufsvorgang, weil man einen passenden Partner mit derselben Größe finden muss, dem die Artikel, die man selbst anbietet, genauso gut gefallen“, erklärt Schuffert

Avantgarde statt Alternative

So bleibt von der Öko-Utopie wenig übrig. „Viele haben in der Sharing Economy ja ein neues Zeitalter, gar die Aufhebung der Gesetze des Kapitalismus gesehen“, sagt Behrendt. Zwar entwickelten sich neue Marktmechanismen, mit nachhaltiger Revolution habe das aber wenig zu tun. „Im Gegenteil sehen wir eher, wie kapitalstarke und renditeorientierte Akteure auf den Sharingmarkt drängen.“ „P2P“-Plattformen fungieren eher als Wegbereiter größerer Firmen, nicht als ihr Ersatz. So wird der Börsenwert von Airbnb mittlerweile auf 25,5 Milliarden geschätzt, während der viel ältere kostenlose Service Couchsurfing von diesem Boom wenig abbekommt.

Kleiderkreisel steht mit seiner starken Community und der Fokussierung auf ökologische Nachhaltigkeit gerade genau an der Schwelle dazwischen: Bislang ist das Portal nicht auf Profit ausgelegt, kommerzielle Anbieter werden nicht geduldet – auch wenn es da laut Studie Grauzonen gibt. Im vergangenen Jahr versuchte sich Kleiderkreisel mit einem freiwilligen Bezahlsystem mit zehn Prozent Verkaufsgebühr unabhängiger zu machen. Die Folge war ein Shitstorm im Netz sowie ein Rückgang der Nutzerzahlen.

In den Folgemonaten zeigte sich jedoch, dass die Leute ihrer Plattform treu blieben. Offenbar wurde die freiwillige Funktion jedoch so wenig angenommen, dass sich die Plattform im September genötigt fühlte, ein verpflichtendes System einzuführen, bei dem erst fünf, und ab Januar zehn Prozent des Verkaufspreises an Kleiderkreisel gehen sollen. Ob sich der Großteil der Nutzer darauf einlassen wird, bleibt abzuwarten – im Forum wird der Schritt kontrovers diskutiert.

Re-Commerce ist bequemer

Viele Nutzerinnen geben an, nur wegen der Kontakte bei Kleiderkreisel zu verbleiben. Die, die eher auf den schnellen Modeverkauf und -erwerb aus sind, sind vermutlich schon weitergezogen. Denn während manchen Nutzerinnen wegen der Community an Firmen wie Kleiderkreisel hängen, ist eben jene Gemeinschaftlichkeit für andere eher abschreckend. Laut PwC sind die Eigenschaften, die Kunden an der Sharing Economy am meisten schätzen, nämlich, dass sie das Leben billiger (86 Prozent) und bequemer (83 Prozent) macht. Sich mit seiner Kleidertauschpartnerin über den richtigen Tausch einig zu werden, stört da nur.

Schubert vom Bundesverband Deutsche Start-ups sieht deshalb die Welle von Peer-to-Peer-Sharing schon wieder abflauen. Im Kommen seien hingegen sogenannte Re-Commerce-Modelle. Firmen wie reBuy.de und momox kaufen Kleidung, Bücher oder DVDs zu festgelegten Marktpreisen und verkaufen sie später weiter, inklusive Garantie und vorheriger Prüfung. Gleicht Kleiderkreisel einem Flohmarkt, ist Re-Commerce der lizensierte Gebrauchtwagenhändler mit Listenpreisen. Eine Community gibt es dort nicht, ökologische Kriterien tauchen nicht einmal in den Werbeslogans auf.

Von Stilberatung bis Eigenwerbung: Aktuelle Tweets zu Kleiderkreisel

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