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Das Bergungsschiff "Nos Aries" nimmt den europäischen Raumgleiter nach seinem 100-Minuten-Flug an Bord.

© Esa

Update

100 Minuten-Testflug von IXV: Minishuttle IXV wie geplant im Pazifik gelandet

Kühles Bad nach hitzigem Höllenritt: Die Raumfähre IXV der europäischen Raumfahrtbehörde Esa hat ihren anderthalbstündigen Testflug erfolgreich vollendet. Live aus Kourou.

Morgens um zwanzig vor elf, bei schwülen 27 Grad in Französisch Guayana, fängt die Tortur an. Unter heftigem Gerüttel wird der Gleiter von der Größe eines Kompaktwagens von der Erde katapultiert. Er sitzt in der Spitze einer „Vega“-Rakete und steigt immer höher in den Himmel über dem Atlantik. Nach einer Viertelstunde erreicht er 340 Kilometer Höhe, lässt die Rakete hinter sich und fliegt noch 70 Kilometer höher bis in die Sphäre der Internationalen Raumstation, wo der Weltraum eisig kalt ist. Von dort geht es schnurstracks zurück zur Erde. Mit rund 27.000 Kilometern pro Stunde jagt das rundliche Vehikel in die Atmosphäre. Die Reibung ist immens, die Verkleidung aus einer Spezialkeramik glüht, bis zu 1700 Grad werden bei dem Höllenritt erwartet. Computer steuern ihn durch das Inferno. Jetzt hat die Raumfähre ihr Ziel erreicht: Einen Fleck irgendwo im Pazifik. Dort ging der Versuchsgleiter wie geplant 100 Minuten nach dem Start vom Weltraumbahnhof Kourou heil nieder.

Mit lautem Knattern und sieben Kilometern pro Sekunde durch die Atmosphäre: Der erste europäische Raumgleiter IXV ist erfolgreich gestartet - und nach 100 Minuten wie geplant im Pazifik gelandet.
Mit lautem Knattern und sieben Kilometern pro Sekunde durch die Atmosphäre: Der erste europäische Raumgleiter IXV ist erfolgreich gestartet - und nach 100 Minuten wie geplant im Pazifik gelandet.

© dpa

Erster Schritt in neue Ära

Für die europäische Raumfahrtagentur Esa ist der Test der erste große Schritt in eine neue Ära. Sie kann Raketen starten, kann Satelliten und Forschungsroboter steuern, sogar einen Lander auf einer rotierenden Kartoffel von der Größe Berlin-Charlottenburgs in 500 Millionen Kilometern Entfernung absetzen, wie sie bei der „Rosetta“-Mission gezeigt hat. Eine Rückkehr aus dem Weltraum durch die Erdatmosphäre auf unseren Planeten - etwa mit Astronauten, Forschungsexperimenten oder Probenmaterial von einem fernen Himmelskörper -, das schaffen die Europäer bislang nicht.

Der geplante Ablauf des Testflugs von IXV, dem europäischen Raumgleiter.
Der geplante Ablauf des Testflugs von IXV, dem europäischen Raumgleiter.

© AFP

Der Versuchsgleiter „IXV“ (Intermediate eXperimental Vehicle), der heute um 14 Uhr 40 MEZ ins All gejagt wurde, hat den Weg dafür bereitet. Außen trägt er eigens entwickelte kohlenstofffaserverstärkte Keramik, die der Hitze trotzt. Im Innern findet sich eine ausgeklügelte Steuertechnik, die das zwei Tonnen schwere Gerät heute wie geplant zum Zielpunkt bei 3 Grad Nord und 123 Grad West im Pazifik führte. Flügel hat IXV nicht, stattdessen zwei verstellbare Klappen am Boden sowie vier Düsen, die ihn auf Kurs hielten. Dass er überhaupt steuerbar ist und nicht nur schwerkraftgetrieben zu Boden geht wie etwa eine runde Kapsel, verdankt der Gleiter seiner Form. Die Nase leicht erhoben erfährt der Flieger Auftrieb und kann manövriert werden.

„Die USA, Russland und China haben bereits Rückkehrtechnologien, insofern sind wir die vierten“, sagt der Esa-Chef Jean-Jacques Dordain vor Journalisten, die auf Einladung der Raumfahrtagentur nach Kourou gereist sind. Aber die anderen Länder setzten im Moment allein auf herabfallende Kapseln. Die Shuttles der Nasa konnten zwar auch steuern, hatten aber Flügel und waren so kompliziert gebaut, dass die Mehrfachnutzung am Ende viel teurer war als erhofft.  2011 wurde die Flotte ausgemustert. „Also sind wir immerhin die ersten, die einen steuerbaren Auftriebskörper zur Erde zurückbringen“, sagt Dordain. Der Gleiter sei relativ einfach aufgebaut, habe beispielsweise keine Motoren wie die Shuttles, so dass der Traum von einem wirtschaftlichen Mehrfacheinsatz vielleicht doch wahr werden könnte.

300 Sensoren im Hitzeschild

Ob Hitzeschutz und Flugmanöver wie erhofft funktionieren, sollen gut 300 Sensoren verfolgen, die im gesamten Flieger verteilt sind. Sie messen unter anderem Temperatur, Druck und Beschleunigung. Die Auswertung wird Wochen dauern. Erste Daten gibt es jedoch schon während des Fluges, der über Afrika führt. Dort wurden in Gabun und Kenia Bodenstationen eingerichtet, die die Signale aufzeichnen. Eine weitere Antenne hat das Schiff „Nos Aries“ ausgerichtet. Es fischte IXV aus dem Pazifik, als er nach einer Landung am Fallschirm und mithilfe aufblasbarer Schwimmkörper auf den Wellen schaukelt.

Tag der Wahrheit nach zehn Jahren Entwicklung

Für die Ingenieure, die fast zehn Jahre an dem Gleiter getüftelt haben, ist dieser Mittwoch der Tag der Wahrheit. Funktioniert alles wie am Computer simuliert wurde? Das 150-Millionen-Euro-Programm hatte es schwer. Immer wieder gab es weniger Geld als erhofft. Auch Deutschland hat sich bald zurückgezogen und stattdessen eine andere Wiedereintrittstechnik verfolgt.

IXV auf dem Weg zur Startrampe, wo der Raumgleiter auf eine Vega-Rakete gesetzt wurde.
IXV auf dem Weg zur Startrampe, wo der Raumgleiter auf eine Vega-Rakete gesetzt wurde.

© AFP

Bei diesem „Shefex“ genannten Projekt wurde ein scharfkantiger Flugkörper konstruiert. „Die aerodynamischen Eigenschaften sind viel besser, das Gerät lässt sich auch bei höheren Geschwindigkeiten steuern“, erläutert der Projektleiter Hendrik Weihs vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Gegenzug ist die Hitzebelastung an der Vorderkante noch größer. Damit die Kacheln nicht abbrennen, haben Weihs und sein Team eine aktive Kühlung entwickelt: Durch die poröse Keramik strömt Stickstoff und hält so die heiße Luft auf Abstand. Ob das funktioniert, wissen die Ingenieure nicht. Nach zwei Testflügen mit geringeren Geschwindigkeiten wird DLR-intern über eine Fortsetzung diskutiert. Möglicherweise will man in Deutschland künftig nicht mehr an rückkehrenden Raumfahrzeugen forschen, die im Schnitt um die acht Kilometer pro Sekunde drauf haben, sondern an rückkehrenden Raketenstufen, die vergleichsweise langsam daherkommen – ein weiterer Schritt weg von der herkömmlichen Wegwerf-Raumfahrt, die tonnenweise Material ins All schießt, aber nichts davon wiederverwertet.

Bemanntes oder unbemanntes Shuttle

Für Europa wäre ein Ende von Shefex dennoch ein Verlust. Wertvolles Wissen droht verloren zu gehen. Dabei können es IXV und das Nachfolgeprogramm „Pride“ (Programme for Reusable In-orbit Demonstrator in Europe) gut gebrauchen. Denn wo die Forschungen zur Wiedereintrittstechnik hinführen sollen, ist derzeit völlig unklar. Ideen für Anwendungen gibt es allerhand. So könnte zum Beispiel ein mehrfach verwendbares Raumschiff mit robotischen Fähigkeiten entstehen, das Satelliten repariert, betankt oder in einen Friedhofsorbit zerrt, damit auch künftig genug Platz im erdnahen Raum ist. Oder ein Raumfahrzeug, das unbemannte Forschungsflüge in die Schwerelosigkeit unternimmt, wenn die Internationale Raumstation vermutlich Mitte des nächsten Jahrzehnts ausgedient hat. „Die Technik ist zudem wichtig, um Menschen zurück zur Erde zu bringen“, sagt der Esa-Chef Dordain und bringt Kooperationen mit anderen Ländern ins Spiel, mit denen die Europäer womöglich neue Raumschiffe bauen könnten.

Welche Ideen wirklich umgesetzt werden, ist eine andere Frage. „Bisher gibt es keine konkrete Anwendung auf die wir hin arbeiten“, gibt Dordain zu. Darüber müssten die Esa-Mitgliedsstaaten entscheiden. Das heißt, einen Kompromiss aushandeln, welches Ziel in Angriff genommen wird, wer wie viel Geld dafür gibt, und die Finanziers über Jahre bei der Stange halten - eine Aufgabe, die nicht minder anspruchsvoll ist, als einen Raumgleiter sicher ins All und zur Erde zurück zu bringen. Im Fall von IXV hat das geklappt. Exakt nach 100 Minuten kam die Bestätigung: Der Gleiter ist gelandet. Nun geht es daran, die vielen Daten auszuwerten. Und zu überlegen, was man daraus macht.

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