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Archäologie ist heute mehr als nur Graben. Restaurierungsarbeiten des DAI am Pfeilereingang des Almaqah Tempels in Sirwah, Jemen. Mittlerweile weist die Anlage Kriegsschäden auf.

© Irmgard Wagner / DAI

190 Jahre Deutsches Archäologisches Institut: Weltweit und digital

Das Deutsche Archäologische Institut hat sich in 190 Jahren rasant entwickelt – Präsidentin Friederike Fless im Gespräch über die Perspektiven

Seit 190 Jahren haben Archäologen Scherben gesammelt. Heute tun sie das immer noch, aber sie sammeln im großen Stil auch Daten. Ist die Archäologie im 21. Jahrhundert angekommen?

Wir sind in einem Jahrhundert der digitalen Archäologie angekommen. Geändert haben sich unsere Möglichkeiten, aber auch unsere Probleme. Das Datensammeln gehört, egal ob es nun physisch über Zeichnungen oder digital passiert, zum Kerngeschäft der Archäologie. Eine Grabung kann man aber immer nur einmal an einem Ort durchführen. Bei dem Weg in die Tiefe werden nämlich die antiken Schichten letztlich zerstört. Man muss sie daher extrem penibel dokumentieren und wir müssen vor allem die Daten sichern und dafür haben wir eine Welt digitaler Archäologie, unsere iDAI.welt aufgebaut.

Wie hat die Digitalisierung ihre Arbeit denn konkret verändert?

Im Endeffekt hat die Digitalisierung dazu geführt, dass wir heute die Möglichkeit haben, große Kontexte in den Blick zu nehmen, zum Beispiel ganze Landschaften aus der Luft einzuscannen, um dann ganz feine Strukturen wie Wälle oder Gräben am Boden erkennen zu können. Man kann jetzt mit einem GPS schlicht und ergreifend monumentale Gebäude und kilometerlange Stadtmauern schnell und mit hoher Präzision erfassen.

Neue Erkenntnisse. Benjamin Ducke (r.), Abdulsalam Almidani (m.) und Wassim Alrez (l.) arbeiten am Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin am Palmyra-GIS, einem hybriden 3D-Modell: Sie kombinierten kartographische Werkzeuge mit einer Datenbank.
Neue Erkenntnisse. Benjamin Ducke (r.), Abdulsalam Almidani (m.) und Wassim Alrez (l.) arbeiten am Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin am Palmyra-GIS, einem hybriden 3D-Modell: Sie kombinierten kartographische Werkzeuge mit einer Datenbank.

© Eva Götting, DAI

Das DAI ist dort präsent, wo sich außer vielleicht dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond niemand mehr so richtig hintraut. Woher nimmt das DAI den Mut, in den Krisenregionen dieser Welt präsent zu bleiben?

Ich denke, nicht das DAI ist mutig, sondern unsere Kollegen in den Krisenregionen. Die können wir unterstützen, da die Netzwerke mit ihnen und die Zusammenarbeit über lange Zeit hinweg aufgebaut worden sind. Immerhin ist das DAI dieses Jahr 190 Jahre alt geworden. Und nach so langer Zeit sind solche Netzwerke stabil und krisensicher. Nur dadurch können wir, wenn Krisen da sind und entstehen, weiter den Kontakt zu den Kollegen halten und sie vor Ort unterstützen. Auch wenn wir aus Sicherheitsgründen nicht selbst vor Ort sein können, arbeiten wir weiter zusammen an der Vergangenheit.

Wie gestaltet sich heute zum Beispiel die Arbeit im Irak?

Unsere Arbeit im und mit dem Irak ist über alle Wirren der Golfkriege und die Ausbreitung des IS hinweg nie abgebrochen. Wir haben dazu aber auch ganz neue Formate entwickelt. Irakische Kollegen kommen für zwei Monate nach Berlin, erarbeiten hier gemeinsam mit uns Grundtechniken der Dokumentation für den Umgang mit antiken Denkmälern, kehren wieder zurück in den Irak, um dort ihr eigenes Projekt zu verfolgen. Das diskutieren sie danach wieder mit uns. In manchen Fällen arbeiten wir auch gemeinsam vor Ort wie in der 6000 Jahre alten Megacity Uruk, in der seit 1913 deutsche Grabungen stattfinden und das DAI aktuell auch wieder tätig ist.

Und wie ist die Lage in Teheran?

In Teheran haben wir eine sehr aufgeschlossene Situation von Kooperationen mit den Archäologinnen und Archäologen vor Ort. Wir digitalisieren z.B. unsere Archivmaterialien für die Kollegen, die bedeutende Orte als UNESCO-Welterbe nominieren wollen. Denn dafür brauchen sie gute Dokumentationen und ein Denkmalregister. Unsere bis in unsere Gründungszeit zurückreichenden Archive sind für viele Länder ein wahrer Schatz.

Wie reagieren die Menschen in diesen Ländern auf die Präsenz von Archäologen?

Eigentlich vor Ort immer positiv. Das hat auch mit der Form der konkreten Arbeit zu tun. Wir arbeiten eben konkret an einem Ort und Objekt und natürlich mit Menschen, die dort wohnen zusammen. Graben und restaurieren sind sehr physische Tätigkeiten und damit bewegen wir uns eben nicht auf einer politischen Ebene. Wir sind im unmittelbaren gemeinsamen Arbeiten mit den Menschen verbunden. Dadurch nehmen sie uns auch ganz anders wahr. Diese Arbeit liegt unter der Wahrnehmung, unter dem Radar der großen politischen Themen. Die Menschen vor Ort schätzen es besonders, wenn wir auch in schwierigen Situationen die Kooperation nicht aufgeben und gemeinsam versuchen, das kulturelle Erbe der Länder zu erschließen und zu erhalten. Wir setzen uns dafür auch für Aus- und Weiterbildungen ein.

Sirwah 2008, Almaqah-Heiligtum im Jemen. Aufstellung der Propylonpfeiler nach den Restaurierungsarbeiten. Archäologen arbeiten nicht mehr nur mit Hacke und Schaufel.
Sirwah 2008, Almaqah-Heiligtum im Jemen. Aufstellung der Propylonpfeiler nach den Restaurierungsarbeiten. Archäologen arbeiten nicht mehr nur mit Hacke und Schaufel.

© DAI, Irmgard Wagner

Hat sich die Bedeutung der Archäologie seit den Kriegen im Irak, in Syrien und im Jemen verändert?

Ich glaube, die Bedeutung der Archäologie selber vielleicht gar nicht so sehr. Was sich verändert hat, ist die internationale Wahrnehmung, unter was für einem Druck eigentlich die historische Überlieferung steht, die intentionell wie durch den Islamischen Staat oder als sogenannter Kollateralschaden von Kriegshandlungen zerstört wird. Wir sind aber vor allem durch die großen Katastrophen der letzten Jahre sensibilisiert worden. Daher wollen wir mehr Verantwortung für den konkreten Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes tun und haben das sogenannte Archaeological Heritage Network als international vernetztes Netzwerk gegründet. Und dieses Netzwerk wird vom Auswärtigen Amt unterstützt.

Das DAI untersteht nun seit 145 Jahren dem Auswärtigen Amt, das im kommenden Jahr seinen 150. Geburtstag feiert. Was heißt es, dem Auswärtigen Amt unterstellt zu sein?

Zum einen sagen wir immer scherzhaft mit Blick auf die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, die im nächstes Jahr hundert Jahre alt wird, wir waren schon vorher da. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik fing mit Archäologie an. Was mir persönlich sehr sympathisch ist. Ansonsten bedeutet es, dass man natürlich sehr viel gemeinsam darüber reflektiert, welche Bedeutung und welche Auswirkungen unser Handeln in außenpolitischer Perspektive hat. Alles was wir tun, passiert ja nicht im leeren Raum, sondern manchmal in sehr komplexen politischen Konstellationen.

Stoßen Sie dabei manchmal auch an Grenzen?

Jeder fragt sich natürlich immer wieder: Haben sich vielleicht Kontexte so verschoben, dass man die Kooperation oder die Arbeit in einem Land nicht mehr fortsetzen sollte. Aber müssen komplizierte politische Situationen gleich dazu führen, dass man das lange Vertrauen, was einem Kolleginnen und Kollegen entgegengebracht haben, einfach aufkündigt? Wäre es nicht genau in solchen Situationen der richtige Weg, dass wir versuchen, Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu fördern, mit ihnen zusammenzuarbeiten, den Kontakt zu halten, um ihnen auch die Chance zur Weiterarbeit zu geben und auch in ihrem Land weiter positiv zu wirken.

Friederike Fless ist seit 2011 Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). 2014 wurde sie als Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin ernannt.
Friederike Fless ist seit 2011 Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). 2014 wurde sie als Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin ernannt.

© Irmgard Wagner / DAI

Welche Rolle spielt das DAI in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik?

Wir sind wohl der älteste und nicht nur dadurch einzigartige Player in diesem Bereich. Wir beteiligen uns in einer ganz speziellen Form an kulturellen Aushandlungsprozessen. Eine Ausgrabung produziert ja gerade manchmal erst Orte mit historischer Bedeutung, etwa auf dem Göbekli Tepe in der Türkei. Die Existenz der 10000 Jahre alten Steinkreise war ja überhaupt nicht bekannt. Jetzt entsteht dort ein ganz neuer Blick auch für die Bewohner in der Region auf eine Geschichte, die in eine Zeit zurückgeht, in der man in dieser Region Ackerbau und Viehzucht als ganz neue Kulturtechniken entwickelte.

Neue Schutzdächer über den Steinkreisen von Göbekli Tepe in der Türkei.
Neue Schutzdächer über den Steinkreisen von Göbekli Tepe in der Türkei.

© DAI Istanbul

Archäologen schaffen geradezu historische Landschaften, und laden sie mit Erzählungen auf. Und diese gilt es immer wieder gemeinsam mit den Gastländern zu reflektieren und auszuhandeln. Denn unsere Erzählungen spiegeln erst einmal unsere Sicht. Im Gastland hat man aber oftmals eine andere Sicht. Und an dieser Schnittstelle gilt es Perspektiven auszutauschen und auch in eine Koproduktion einzutreten. Und dies bedeutet heute auch, dass man sofort auf der Grabung gemeinsam in internationalen Teams an den Erzählungen über die Vergangenheit arbeitet.

Der Kulturerhalt spielt beim DAI eine immer größere Rolle. Sind Sie dafür gut gerüstet?

Lange Zeit waren wir strukturell schlecht aufgestellt und sind es in Teilen immer noch, weil Deutschland mit seiner föderalen Struktur einfach niemanden hat, der für Denkmalpflege und Kultur im Ausland zuständig ist. Deswegen haben wir ja gerade das Archaeological Heritage Network gegründet. Man muss aber noch mehr Strukturen aufbauen, präventiv arbeiten, damit man in Krisensituationen die Länder besser unterstützen kann. Das erfordert einen langen Atem und Ressourcen. Mit dem vom Auswärtigen Amt unterstützen Projekt "Stunde Null - Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise" arbeiten wir konkret im Irak und Jemen und unterstützen geflohene Syrer, eine Zukunft für ihr Land zu entwickeln.

Was halten Sie von einer Art kulturellem THW?

Katastrophen in Deutschland wie Hochwasser oder der Brand der Anna Amalia Bibliothek haben zu einem Prozess geführt, dass lokale Notfallverbünde aufgebaut wurden, die ein Eingreifen in der Krise überhaupt erlauben. Wenn man jedoch im Ausland helfen wollte, fehlen ganz pragmatische Strukturen und Instrumente, um zu helfen. Diese brauchen wir jedoch. Und diese entwickeln wir gerade in einem aktuellen Projekt.

An der primären Grabungsarbeit hat sich in 190 Jahren nicht viel verändert. Grabungsarbeiten an der  spätantiken Dammanlage in der Nordoase von Marib, al-Mabna  2003. Im Vordergrund Iris Gerlach und Mike Schnelle.
An der primären Grabungsarbeit hat sich in 190 Jahren nicht viel verändert. Grabungsarbeiten an der  spätantiken Dammanlage in der Nordoase von Marib, al-Mabna  2003. Im Vordergrund Iris Gerlach und Mike Schnelle.

© DAI, Irmgard Wagner

Welchen Raum nimmt ihre Arbeit beim sogenannten "Capacity Building" ein?

"Capacity building" ist ja ein nicht leicht fassbarer, da extrem weiter Begriff. Zu unserem Kerngeschäft gehört als Forschungseinrichtung die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchswissenschaftlern. Aber nach einer Grabung braucht man für die Konservierung und Restaurierung von Monumenten viele unterschiedliche Fähigkeiten, Manche sind in den Ländern ganz oder teilweise verloren gegangen. Durch das grassierende Betonbauwesen sind in vielen arabischen Ländern traditionelle für die Restaurierung wichtige Handwerke wie Steinmetz fast nicht mehr zu finden. Daher bieten wir Steinmetz-Trainings etwa in Jordanien an, um diese traditionellen Kompetenzen zu erhalten und zu tradieren. Wir haben dann kompetente Experten, die Restaurierungsmaßnahmen ans historischen Steinbauten durchführen können. Zudem betreiben wir so eine lokale Wirtschaftsförderung und geben syrischen Flüchtlingen in Jordanien eine Ausbildung und Jobs.

Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit bis zum 200. Geburtstag?

Am 200. Geburtstag könnte ich mir vorstellen, dass das DAI noch stärker auf anderen Kontinenten präsent ist. Noch bedeutender wäre jedoch bis dahin eine Förderung ein von uns entwickeltes Forschungsprogramm zu finden. Damit könnten wir wichtige Daten zu den lokalen und regionalen Auswirkungen früherer Phänomene von Klimawandel, aber auch nachhaltige und vielleicht heute noch nutzbare Lösungen der Vergangenheit erschließen. Es geht um einen Ground Check, also um das Kerngeschäft der Archäologie.

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