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Zwei Studentinnen gehen durch die gläserne Eingangshalle der Universität Bremen.

© Ingo Wagner/picture alliance/dpa

50 Jahre Universität Bremen: Von der Marx- und Moritz-Uni zum Zentrum der Meeres- und Klimaforschung

Wie sich die einstige „linke Kaderschmiede“ entwickelte – und was vom Reformanspruch der Uni Bremen übrig geblieben ist.

Auf solch eine Idee muss man erstmal kommen: Als die 1971 eingeweihte Universität Bremen nachträglich ein Schwimmbad für ihre Sport-Studierenden bekommen sollte, wurde zeitweise überlegt, statt einer 50-Meter-Bahn nur eine 49-Meter-Bahn anzulegen – „um das Vergnügen am Schwimmen nicht in der Konkurrenz verkommen zu lassen“, wie die Germanistikprofessorin i. R. Wendula Dahle erzählte. Bloß kein kapitalistischer Wettbewerb: So dachte man damals an der Reformuniversität. Letztlich bekam sie dann doch die wettkampftauglichen 50 Meter.

An diesem Donnerstag feiert die Uni ihren 50. Geburtstag, und dabei wird sicher auch an diese wilden Anfangsjahre erinnert, in denen sie sich den Ruf einer „Roten Kaderschmiede“ erworben hatte. Die Betonburg auf der grünen Wiese sollte damals dem „Muff unter den Talaren“ und dem praxisfernen Forschen eine „Wissenschaft im Dienste des Volkes“ entgegensetzen.

Laut Gründungsrektor Thomas von der Vring sollte sie auf „Demokratisierung, Egalisierung und Humanisierung der Gesellschaft“ hinarbeiten. Die damals in Bremen mitregierende FDP sah dabei Verfassungsfeinde am Werk und verließ deshalb kurz vor der Uni-Eröffnung ihre Koalition mit Hans Koschnicks SPD.

Reform-Uni? Viele planten lieber die Revolution

Tatsächlich dachten manche Lehrende und Studierende damals eher an Revolution als an Reform. Schon lange vor der Eröffnung kursierte die selbstironische Bezeichnung „Marx- und Moritz-Universität“, wobei der Moritz auf Bremens Bildungssenator Moritz Thape (SPD) anspielte. Das Auflehnen gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse hatte Folgen: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mochte die aufmüpfigen Bremer nicht mit Forschungsgeldern fördern. Unionsregierte Bundesländer verweigerten die Anerkennung des Lehrkräfte-Examens.

Der Bremer SPD-Regierung wurde es allmählich etwas mulmig. Sie ließ neue Professuren mit gemäßigteren Kandidaten besetzen. 1977 schaffte sie ein besonders umstrittenes Markenzeichen ab: die gleichberechtigte Mitbestimmung von Lehrenden, Lernenden und nicht-wissenschaftlichem Personal. Denn das Bundesverfassungsgericht und der Bremer Staatsgerichtshof hielten eine solche Drittelparität für verfassungswidrig.

Unter Bildungssenator Horst-Werner Franke (SPD) und dem 1982 ins Amt eingeführten Rektor Jürgen Timm begann eine Art Gegenreform: Die Uni öffnete sich für die Wirtschaft. Daimler-Spitzenmanager Werner Niefer bekam 1988 sogar die Ehrendoktorwürde verliehen – als Dank für die Ansiedlung des Bremer Mercedes-Werks.

Am Hauptgebäude der Universität Bremen sind Transparente angebracht, mit denen der Elitetitel gefeiert wird.
Ausgezeichnet. Von 2012 bis 2019 wurde die Uni Bremen als Exzellenz-Universität gefördert.

© Promo/Universität Bremen

1992 endete dann auch noch das bundesweit einmalige Reformprojekt der einstufigen Juristenausbildung ohne Referendariat. Zunehmend ausgebaut wurden die Natur- und Ingenieurwissenschaften. Rund um die Uni entstand ein Technologiepark mit inzwischen über 500 High-Tech-Firmen.

So wandelte sich der Stachel im Fleisch des Hochschulwesens zu einer ziemlich normalen, aber auch angesehenen Massenuniversität mit derzeit über 19 000 Studierenden. Auch die DFG behandelt die Bremer seit 1986 nicht mehr wie Aussätzige, sondern finanziert an der Weser aktuell fünf Sonderforschungsbereiche.

Guter Ruf in den Geowissenschaften, in Meeres- und Klimaforschung

Bei der Einwerbung solcher Drittmittel steht die Uni Jahr für Jahr bundesweit auf einem der obersten Rangplätze. Mit der reformierten Reform-Uni als Motor holte sich Bremen 2005 den Titel „Stadt der Wissenschaft“, eine Auszeichnung des von der Wirtschaft getragenen Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Von 2012 bis 2019 gehörte die Hochschule sogar zum erlauchten Kreis der elf deutschen „Exzellenz-Universitäten“.

International genießt sie ebenfalls einen guten Ruf, etwa in den Geowissenschaften oder bei Meeres- und Klimaforschung. Als einzige deutsche Universität ist sie am weltweiten Verbund „International Universities Climate Alliance“ beteiligt. Rektor Bernd Scholz-Reiter jedenfalls findet, seine Uni sei fortschrittlicher und wettbewerbsorientierter als viele ältere.

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„Es gibt da einen erkennbaren Bremer Spirit.“ Die noch heute praktizierten Gründungsprinzipien wie Interdisziplinarität und forschendes Lernen seien später von anderen Unis aufgegriffen worden, so Scholz-Reiter zum „Weser-Kurier“.

Auch der pensionierte Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel (79), von Anfang an dabei und immer noch in den Medien präsent, spricht von einer „zukunftsfähigen Erfolgsgeschichte“. Die Neugründung habe sich „eindrucksvoll durchgesetzt“ gegen die Vorurteile der „Familien der hanseatischen Traditionswirtschaft, die ihre Söhne lieber ins befreundete Kontor nach London als an die Uni schickten“.

Zwei Themen bleiben seit Jahren umstritten: Zum Gründungskonsens gehörte auch, nicht mit höher entwickelten Tieren zu forschen. Doch seit 1998 wird hier mit lebenden Affen experimentiert. Und seit 1986 gilt ein Beschluss des Uni-Senats, „Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können“. Trotzdem kooperieren einzelne Uni-Institute mit Firmen, die ihr Geld auch mit Militäraufträgen verdienen.

Der linke Asta jedenfalls findet: „Die Uni hat ihre Ausrichtung ganz dramatisch in Richtung Wirtschaftsinteressen verändert“, so Asta-Vorstandsmitglied Dominik Lange. Den Praxisbezug, das forschende Lernen gebe es nur noch in ganz wenigen Studiengängen, sagt Lange. Er wünscht sich, dass die Uni „wieder mehr Kante zeigt, eine politische Haltung“.

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