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Bis zu 70 Meter tief können die mysteriösen Löcher im Permafrostboden sein. Der Abstieg in die Krater kann für Forscher gefährlich werden.

© picture alliance / AP Photo

70 Meter tiefe Krater entdeckt: Mysteriöse Löcher in der Tundra

Im Norden Sibiriens haben Forscher bislang sieben kreisrunde Explosionskrater entdeckt. Noch rätseln sie, was die Eruptionen verursacht haben könnte.

Es ist einsam auf der Jamal-Halbinsel. Weit und breit erstreckt sich Tundra mit Gräsern, Moosen und vielleicht ein paar Sträuchern. Eine karge Landschaft, durchsetzt von unzähligen Seen. Zwischen dem westsibirischen Tiefland und der arktischen Karasee lebt das indigene Volk der Nenzen von Rentierzucht, gleichzeitig wird hier eines der weltweit größten Gasvorkommen ausgebeutet. Seit letztem Jahr aber schauen Journalisten und Forscher gespannt nach Jamal. Denn auf der Halbinsel wurden mysteriöse Krater entdeckt. Erst einer, dann drei und seither schon sieben. Sie sind bis zu 60 Meter breit und 70 Meter tief, teilweise oder ganz mit Wasser befüllt. Ihre Form haben sie alle gemeinsam: ein rundes Loch mit senkrechten Wänden und einem Wall aus ausgeworfenem Bodenmaterial.

Wilde Spekulationen über die Ursache

Wassili Bogojawlenski, stellvertretender Direktor des Öl- und Gasforschungsinstituts in Moskau, geht davon aus, dass es noch mehr Krater auf Jamal gibt. „Ich würde es mit Pilzen vergleichen“, sagte er der Zeitung „Siberian Times“. „Wenn man einen findet, kann man sich sicher sein, dass es mehr davon in der Nähe gibt. Ich würde vermuten, es sind 20 bis 30 weitere Krater.“

Über die Ursachen wurde anfangs wild spekuliert. Nun finden Wissenschaftler vor allem im tauenden Untergrund Erklärungen. „Im Permafrost können Gase eingeschlossen sein: Kohlendioxid und Methan, Produkte der Zersetzung von organischem Kohlenstoff aus Pflanzen- und Tierresten durch Mikroben“, sagt Guido Grosse, ein Permafrostexperte vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam. Dieses Gas könne sich in bestimmten geologischen Schichten stauen, über viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende. „Wenn der Permafrost taut, könnte es plötzlich zu einer Eruption kommen. Das würde solche Krater verursachen“, sagt er.

Verursacht Methangas die Explosionen?

Dass es sich um die Folgen von Gasexplosionen handelt, halten russische Forscherkollegen, die die Krater in Sibirien besucht haben, ebenfalls für sehr wahrscheinlich. Schließlich findet sich in der nahen Umgebung ausgeworfenes Bodenmaterial. Außerdem maßen sie bei einer Expedition im Sommer 2014 am Grund eines Kraters ungewöhnlich hohe Methankonzentrationen – ein deutliches Zeichen dafür, dass Anreicherungen des Treibhausgases Methan im Permafrost eine Rolle bei der Kraterentstehung gespielt haben.

Auch Methanhydrat steht im Verdacht, die Explosionen ausgelöst zu haben. „Das ist kein freies Gas, sondern ein Gemisch aus Wassereis, das Methan im Eiskristallgitter eingeschlossen hat. Methanhydrat ist brennbar“, erklärt Grosse. „Es wird bei ausreichend hohem Druck und gleichzeitig niedriger Temperatur gebildet, diese Bedingungen können unterhalb des Permafrostbodens erfüllt sein.“ Auf Jamal ist diese Frostschicht stellenweise nur 100 Meter dick. Taut der Boden an der Oberfläche, könnte das das delikate Druck- und Temperatur-Gleichgewicht in der Tiefe stören, wodurch das Methan explosionsartig freigesetzt wird.

Zusammenhang mit Erdgasförderung in Bovanenkovo?

Ein Zusammenhang mit dem nahe gelegen Gasfeld Bovanenkovo ist ebenfalls nicht auszuschließen. Allerdings gebe es bislang keine Informationen darüber, dass die viel tieferen Gasvorkommen und die Krater direkt verbunden sind, sagt Grosse. „Es gibt aber über solchen Erdgasvorkommen, wie in anderen Regionen außerhalb der Arktis, häufig kleinere Lecks, an denen Gas austritt. In der Arktis sammelt sich dieses Gas ebenfalls unterhalb des Permafrosts, der damit wie ein Topfdeckel funktioniert. Wenigstens solang er noch gefroren ist.“

Warme Sommer lassen den Permafrost tauen

Warum gerade jetzt so viele Krater entstehen, ist unklar. Die ungewöhnlich warmen Sommer von 2012 und 2013 könnten dazu beigetragen haben. Aber eindeutig seien diese Zusammenhänge nicht geklärt, sagt Grosse. „Ein oder zwei warme Sommer führen nicht dazu, dass mehrere Meter Permafrost auftauen. Das kann nicht die alleinige Ursache sein.“

Um das Phänomen zu verstehen und abzuschätzen, ob es in Zukunft öfter auftritt, planen russische Forscher in diesem Jahr zwei Expeditionen in die weit abgelegenen Regionen Nordsibiriens. Doch das ist aufwendig und teuer. Und in diesem Fall sogar gefährlich, zumindest wenn die Forscher das Innere eines Kraters untersuchen wollen. Vladimir Pushkarev, Direktor des Russischen Zentrums für arktische Entwicklung, ist als Erster in ein solches Loch hinabgestiegen. „Der obere Teil des Kraters ist mittlerweile eingestürzt und hat sich mit Wasser gefüllt“, berichtet Pushkarev. „Nur im Winter sind Expeditionen weniger gefährlich. Wenn alles gefroren ist.“ Dann aber sind die Wetterbedingungen äußert schwierig. Kurze Tage, extrem niedrige Temperaturen und Schneestürme erschweren die Arbeit.

Sie ist dennoch wichtig, nicht nur weil zukünftige Methanexplosionen zur Gefahr für besiedelte Gebiete oder lokale Infrastruktur wie Straßen und Pipelines werden können. Die Krater sind ein Symptom für das größere Problem: das fortschreitende Tauen des Permafrosts und das Entweichen von Treibhausgasen in die Atmosphäre. Und das betrifft nicht nur die Jamal-Halbinsel, sondern ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel.

Claudia Georgi

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