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Abfall: Klärungsbedarf

Wohin mit dem Schlamm aus der Kanalisation? Ein Solartrockner verspricht Abhilfe

Rauscht die Toilettenspülung, scheint erstmal alles in Ordnung. Im Normalfall läuft das Abwasser zusammen mit dem Abfluss aus Spülbecken und Waschmaschinen über die Kanalisation in die nächste Kläranlage. Dort landet oft auch der auf Straßen und Plätzen gefallene Regen samt Reifenabrieb und Sand, sowie unter Umständen noch das Abwasser der örtlichen Brauerei. Die Kläranlage produziert aus dieser Mischung dann sauberes Wasser und „Klärschlamm“. Dieser aber wird zunehmend zum Sorgenkind der Städte und Gemeinden. Denn er besteht nicht nur aus 95 bis 98 Prozent Wasser und einem Rest unbedenklicher Feststoffe, sondern enthält auch noch Schwermetalle und Rückstände von Chemikalien, die im Haushalt und der Industrie eingesetzt werden, sowie Reste von Medikamenten und Hormonen.

Eigentlich ist dieser Klärschlamm ein hervorragender Dünger, weil er unter anderem aus menschlichen Ausscheidungen relativ viel Phosphat enthält. Allerdings ist für die meisten Rückstände aus Haushaltschemikalien, Arzneimitteln und Hormonen nicht bekannt, wie sie sich auf dem Acker verhalten. Obendrein finden sich im Klärschlamm auch noch diverse Krankheitserreger von Bakterien über Viren bis hin zu Wurmeiern. In der Schweiz ist daher seit dem 1. Oktober 2006 das Ausbringen von Klärschlamm generell verboten, das Gleiche gilt für die Bundesländer Tirol und Salzburg in Österreich. In Deutschland darf Klärschlamm nur noch auf Äckern als Dünger ausgebracht werden, nicht aber im Gemüseanbau, auf Grünland oder im Wald. Allerdings raten die Behörden in Bayern und Baden-Württemberg inzwischen auch vehement vom Klärschlamm als Dünger auf Ackerland ab. Und in den USA muss vor einer Verwendung nachgewiesen werden, dass allenfalls geringe Mengen Krankheitserreger und keine Wurmeier im Klärschlamm enthalten sind.

An die Bauern werden die Kläranlagen den Schlamm also immer schlechter los. Wohin aber mit den in Deutschland jedes Jahr anfallenden rund 2,3 Millionen Tonnen Trockensubstanz, die in rund 75 Millionen Tonnen Wasser schweben? Kläranlagen mittlerer Größe leisten sich eine Anlage, die so viel Flüssigkeit aus dem Klärschlamm presst, dass er nur noch 75 Prozent Wasser enthält. Aus 50 000 Tonnen nassem Schlamm, die in einem Jahr in einem Klärwerk für 100 000 Einwohnerwerte anfallen, werden so rund 8000 Tonnen, die anschließend irgendwie entsorgt werden müssen.

Im Osten Deutschlands werden mit diesem entwässerten Klärschlamm ehemalige Braunkohlegruben gedüngt und rekultiviert. Aber der Schlamm muss mit LKW Hunderte Kilometer weit transportiert werden. Nicht nur Umwelt- und Klimabelastung sind erheblich, sondern auch die Kosten. Ähnlich sieht es aus, wenn der entwässerte Klärschlamm in herkömmlichen Kraftwerken oder in Zementfabriken mitverfeuert wird: Das funktioniert nur in großen Kraftwerken, im Durchschnitt wird der Klärschlamm dazu rund 300 Kilometer weit transportiert. Da Schadstoffe im Klärschlamm bei dieser Verbrennung entweder in der Asche oder in den Filtern landen, ist diese Methode als Entsorgung zwar gut, aus energiepolitischer Sicht aber absurd. Weil der entwässerte Klärschlamm immer noch 75 Prozent Wasser enthält, kostet seine Mitverbrennung mehr Energie als bei der Verbrennung frei wird.

Erst wenn Klärschlamm so weit getrocknet wird, dass er viel weniger Wasser enthält, wird die Energiebilanz positiv. Allerdings funktioniert auch das nur, wenn der Trockner nicht mit Öl, Kohle oder Gas betrieben wird. Genau an dieser Stelle kommt Markus Bux ins Spiel, der bereits in den 1990er Jahren an der Universität Hohenheim Solartrockner für Holz, Früchte und andere Güter konstruiert hat. Inzwischen hat er das Unternehmen „Thermo-System“ gegründet. Mit seinen inzwischen 35 Mitarbeitern hat er unter anderem Solartrockner für Kläranlagen entwickelt, die von außen einem großen Gewächshaus verblüffend ähneln.

Mehr als 50 solcher Anlagen haben die schwäbischen Ingenieure inzwischen produziert, eine davon steht in Palma de Mallorca, ist für 600 000 Einwohnerwerte konzipiert und nimmt mit 20 000 Quadratmetern die Fläche von drei Fußball-Feldern ein. Nachdem LKW den entwässerten Klärschlamm in die Anlage fahren, verteilt und belüftet innen ein „Elektrisches Schwein“ genannter vollautomatischer Roboter die Masse. Durch das Isolierglas fällt wie in jedem Treibhaus Licht ins Innere, das den Klärschlamm aufheizt und so das Wasser verdunsten lässt, das mit der Luft aus dem Gewächshaus abgeführt wird. Die zum Teil durch die Scheiben dringende UV-Strahlung tötet einige Krankheitserreger ab. Viele Viren vertragen auch das Trocknen nicht, durch die starken Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht gehen weitere Keime ein. Insgesamt reduziert sich die Keimzahl so auf ein zehntel Promille des Ausgangswertes, wo vorher eine Million potentielle Krankheitserreger waren, gibt es nach dem Trocknen nur noch hundert.

Auch für kleinere Kläranlagen hat die Firma einen „Speichertrockner“ entwickelt. Weil sich eine große Presse zum Entwässern dort kaum lohnt, wird der Klärschlamm zunächst von einem kleinen Aggregat eingedickt und automatisch in die mit 500 bis 1000 Quadratmetern ungefähr fußballfeldgroße Anlage geleitet. Dort tritt wieder das „elektrische Schwein“ in Aktion und von einer Tonne Nass-Schlamm sind nach einem Jahr nur noch 50 Kilogramm Trockengut übrig. In beiden Anlagetypen enthält der getrocknete Klärschlamm am Ende noch zehn Prozent Wasser, für den Transport zum Kohle- oder Müllkraftwerk müssen also dramatisch weniger LKW als ohne diese Trocknung fahren.

Während eine konventionelle Anlage für jede Tonne Wasser, die aus dem Klärschlamm geholt wird, hundert Kilowattstunden elektrischen Strom und 90 Liter Heizöl verbraucht, kommt der Solartrockner ohne Brennstoff aus und braucht nur 20 oder 30 Kilowattstunden elektrischer Energie für den Betrieb des Elektrischen Schweins und der Lüftungstechnik.

Noch besser wird die Situation, wenn Thermo-System ab Anfang 2010 einen „Reformer“ verkauft, der zur Zeit gemeinsam mit dem Umweltministerium von Baden-Württemberg als Pilotanlage getestet wird. Dieser zerlegt den getrockneten Klärschlamm bei Temperaturen von 800 bis 900 Grad Celsius zu einem Synthesegas genannten Gemisch aus Wasserstoff, Methan und Kohlenmonoxid. Dieses Synthesegas wird anschließend gereinigt und verbrannt. Weil der Klärschlamm Biomasse ist und der Trockner fast völlig mit Solarenergie betrieben wird, ist dieser Prozess beinahe klimaneutral und kann so Wärmeenergie aus Kohle-, Öl- und Gas-Kraftwerken ersetzen, ohne zusätzliches Kohlendioxid freizusetzen.

Der Clou an der Anlage aber ist die Asche. Eine Kläranlage für 20 000 Einwohnerwerte produziert im Jahr 1600 Tonnen entwässerten Klärschlamm. Nach der Trocknung bleiben noch 500 Tonnen getrockneter Klärschlamm übrig, der im Reformer zu Wärmeenergie und rund 160 Tonnen Asche umgesetzt wird. So wird die zu transportierende Menge auf etwa ein Zehntel reduziert. Vor allem aber ist die Asche kein Abfall, sondern enthält etwa 15 Prozent Phosphat, das relativ einfach wiedergewonnen werden kann. Phosphat aber ist ein knapper Rohstoff, dessen weltweite Reserven in ungefähr hundert Jahren erschöpft sein dürften. Und Phosphat ist genau der Dünger, den Bauern bisher mit dem Klärschlamm ausgebracht haben. Der Unterschied: Das Recycling-Phosphat aus dem Reformer enthält weder Krankheitserreger noch Medikamentenreste oder Schwermetalle.

 Roland Knauer

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