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© dpa

Ägypten: Die heikle Mitgift der Nofretete

Geheimnisvoller Brief vom Nil: Lebte die mächtige Königsgemahlin länger als bisher angenommen? Ein Münchner Altertumsforscher ist den Taten Nofretetes auf der Spur.

Der hethitische Großkönig Schuppiluliuma I. bekam mitten im Kriegszug Post von einer ägyptischen Königin: „Mein Gemahl ist tot, und ich habe keinen Sohn. Aber man sagt mir, dass du viele Söhne hast. Wenn du mir einen deiner Söhne schickst, würde er mein Gemahl sein.“ Das war irritierend, denn Hethiter und Ägypter waren zu der Zeit – im 14. Jahrhundert vor Christus – nicht gerade Freunde, im Gegenteil, sie kämpften um die Vorherrschaft im Vorderen Orient.

Der Großkönig aus Anatolien blieb denn auch zunächst misstrauisch und sandte einen Emissär an den Nil mit dem Auftrag: „Bring mir die Wahrheit!“ Die Herrscherin reagierte gereizt: „Warum redest du von Täuschung? (...) Einem anderen Land schrieb ich nicht. (...) Gib mir einen deiner Söhne. Für mich zum Gatten, für Ägypten als König.“ Eine unvorstellbare Mitgift: Es entstünde ein Reich unter hethitischer Herrschaft vom Schwarzen Meer bis zum schwarzafrikanischen Nubien.

Die Briefschreiberin wird in der hethitischen Brief-Abschrift als „Dahamunzu“ (Königsgemahlin) ohne Namen aufgeführt. Wer war das? Über den Namen des verstorbenen Pharaos kam man bislang nicht weiter, der wird in den hethitischen Archivtexten „Nibhururija“ genannt. Den können die Ägyptologen sowohl dem Vornamen Echnatons (Nefercheprure) wie dem seines Sohnes Tutanchamun (Nebcheprure) zuordnen. Die Bittstellerin wäre also entweder die Witwe Tutanchamuns gewesen – oder die machtvolle Nofretete, die schöne Gattin des sogenannten Ketzer-Pharaos Echnaton.

Der wissenschaftliche Disput über die Identität der Bittstellerin gehört zu den Dauerbrennern der Ägyptologie. Bislang konnte er nicht befriedigend gelöst werden. Nun glaubt Jared L. Miller, Professor am Institut für Assyrologie und Hethitologie der Ludwig-Maximilian-Universität München, die Lösung gefunden zu haben. Als Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz hatte der kanadische Hethiter-Experte noch nicht gesichtete und beschriebene Keilschriftfragmente aus den Archiven der Hethiterhauptstadt Hattuscha übersetzt und publiziert.

Dabei stieß Miller auf sechs Bruchstücke, die zueinander passten und sich zudem an zwei bereits entzifferte Tontafel-Teile anschließen ließen: Der bekannte Text bekam einen völlig neuen Sinn. Miller kann nun mit den neuen und alten Puzzlestücken in einer komplizierten Indizienkette eine hethitisch-ägyptische Chronologie aufbauen, die klar macht, wer der verstorbene Pharao „Nibhururija“ gewesen sein muss.

Amenophis IV., der sich Echnaton nannte, schloss im 14. Jahrhundert vor Christus den gut besetzten ägyptischen Götterhimmel und verlangte die Anbetung nur eines Überirdischen, seines Sonnengottes Aton. Diesen ersten Monotheismus versuchte er mit allen Machtmitteln eines Pharaos durchzusetzen, was natürlich die ebenso machtbewussten Priester des Reichsgottes Amun zu seinen erbitterten Gegnern machte. Das führte zu einer innenpolitischen und wirtschaftlichen Krise. Nach 17 Jahren Regierungszeit scheiterte der königliche Religionsstifter. Über sein Ende ist nichts bekannt. Er wurde aus den offiziellen Königslisten getilgt und für über 3000 Jahre vergessen. Seine Mumie wurde bislang nicht gefunden.

Die Frau an seiner Seite, Nofretete („die Schöne kommt“), ist noch geheimnisvoller als ihr Mann. In der königlichen Propaganda tritt sie zusammen mit Echnaton auf. Sie ist auch bei den Kulthandlungen immer dabei. Szenen mit Mann und spielenden Kindern finden sich ebenso auf den Reliefbildern wie das turtelnde Ehepaar im weißgold glänzenden Streitwagen. Ihr Titel: „Große Königliche Gemahlin“ und auch „Herrin beider Länder“. Nofretete hatte eine starke Stellung im Machtapparat des königlichen Hofes. Sechs Kinder gebar sie, alles Töchter, keinen Thronfolger.

Zwischenzeitlich stieg Kija zur Favoritin des Pharao auf, vermutlich eine ausländische Prinzessin aus dem königlichen Harem. Für viele Ägyptologen ist sie die Mutter des einzigen Echnaton-Sohnes Tutanchamun. So jäh wie sie aufstieg, fiel Kija wieder ins Nichts zurück. Aber auch Nofretete verschwand: Nach dem zwölften Regierungsjahr Echnatons taucht sie nicht mehr in den offiziellen Darstellungen auf. Ihre Mumie ist bis heute verschollen.

Der britische Ägyptologe Nicholas Reeves glaubt beweisen zu können, dass Nofretete unter dem Namen Semenchkare zur Mitregentin Echnatons aufstieg. Semenchkare ist ein kurzfristiger und absolut schemenhafter Regent nach Echnaton. Wenn Reeves Recht hat, wurde Nofretete Herrscherin über ein wirtschaftlich zerrüttetes Land mit innenpolitischen Zerfallserscheinungen: Die alten Eliten waren von Echnaton entmachtet und bezogen offen Stellung gegen den Propagandisten des Aton-Kults, der sich in sein Utopia, die neu erbaute Residenz „Achetaton“, heute bekannt als „Amarna“, verzogen hatte. In der Priesterschaft des bisherigen Reichsgottes Amun fanden sie natürliche Verbündete. Da altägyptische Tempel zugleich immer gewichtige Wirtschaftsbetriebe waren, stürzten Ökonomie und Versorgung nach der Schließung der Tempel ins Chaos.

Außenpolitisch war die Situation nicht minder labil: Echnaton hatte sich offenbar für Außenpolitik nicht sonderlich interessiert. Die Machtbalance im Vorderen Orient zwischen Babylonien, Mitanni, Assyrien und Ägypten wurde zudem gestört durch einen Neuling auf der weltpolitischen Bühne. Die Hethiter drängten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vor Christus aus ihrem Stammland Anatolien weit nach Süden, nach Syrien und Mesopotamien. Auf einem dieser Feldzüge nun erhielt der hethitische Großkönig jenen ominösen Brief aus Ägypten – von der Witwe des bisher nicht identifizierten Pharao.

Mit seinen neuen Informationen aus unspektakulärer philologischer Puzzlearbeit will Keilschriftexperte Jared L. Miller nun belegen: Aus chronologischen Gründen scheidet Tutanchamun als Pharao aus. Es kann nur Echnaton gemeint sein. Mithin war Nofretete die Königswitwe, die den Hethiterkönig zum Schwiegervater haben wollte. Über ihre Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht hatte sie einfach Angst um ihr Leben, weil die alteingesessene Priesterschaft ihr feindlich gesinnt war. Womöglich dachte sie aber auch an Machterweiterung.

Jared L. Miller sagt, er kenne nur einen Kollegen, der seine Sichtweise ablehnt. Ob er damit den Würzburger Gernot Wilhelm meint, ist nicht bekannt. Der Nestor der deutschen Hethitologie und Hüter der Keilschriftenarchive der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur teilt seine Meinung jedenfalls nicht: „Herr Miller hat mit seiner Arbeit die Quellenbasis zweifellos signifikant verbessert. Aber seine Gewissheit, dass der Text nur die Identifikation mit Echnaton zulässt, ist nicht berechtigt.“ Wilhelm sieht sich vielmehr in seiner langjährigen Ansicht bestätigt, dass weder die Witwe Echnatons noch die Witwe Tutanchamuns die Briefschreiberin waren. Vielmehr habe sich die Staatsaffäre nach dem Tod des schemenhaften Pharaos Semenchkare ereignet, als dessen Witwe den Thronnamen ihres Gatten in der femininen Form übernahm und Pharaonin wurde. „Sie hat den hethitischen Prinzen angefordert“, ist Gernot Wilhelm überzeugt und kündigt für den Herbst eine eigene Publikation an.

Der hethitische Großkönig übrigens überwand sein Misstrauen und schickte den Prinzen Zananza nach Ägypten. Der kam nie an, auf dem Weg zur Weltherrschaft wurde er ermordet.

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