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Wissen: „Ästhetische Lust am Fernseh-Mord“

Winfried Menninghaus ist mit Kollegen aus 25 Disziplinen den menschlichen Emotionen auf der Spur

Herr Menninghaus, Sie haben im Elitewettbewerb das Forschungsvorhaben „Sprachen der Emotion“ für die FU gewonnen. Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück?

Ich denke, wir hatten eine gute Idee, und sie kam zur richtigen Zeit. Und wir konnten plausibel machen, dass die FU dafür auch der richtige Ort ist, mit einem überzeugenden Potenzial kompetenter und kooperationsbereiter Wissenschaftler.

Ein solches Vorhaben durchzubringen, gilt als schier übermenschliche Belastung. Können Sie nun aufatmen oder fängt der Stress jetzt erst richtig an?

Der Antrag war eine große Belastung mit zweifellos negativen Auswirkungen für die eigene Forschungsbilanz. Aber er hatte auch viele positive Nebeneffekte. Viele Kollegen, ja ganze Fächer der FU habe ich neu kennengelernt und bin sehr froh darüber. Gewiss wird das Startjahr des Clusters nun ebenfalls viel organisatorische Arbeit verlangen. Das Gute ist aber, dass wir in einen neuen Stresstyp wechseln. Und wir tun das mit dem Motivationsschub des Erfolgs im Rücken.

In der ersten Wettbewerbsrunde konnte sich nur ein geisteswissenschaftliches Projekt durchsetzen, im Wissenschaftsrat wurde die Qualität der Anträge bemängelt. War sie jetzt besser oder hat die Politik nachgeholfen?

Generell ist das Cluster-Format für die Geisteswissenschaften schwerer zu bespielen als für die anderen Wissenschaften. Der größere Teil kreativer geisteswissenschaftlicher Arbeit ist – und bleibt hoffentlich auch – die individuelle Forschung. Es ist kein böser Wille, dass von allen Bewilligungen größerer Forschungsverbünde nur weniger als zehn Prozent auf die Geisteswissenschaften entfallen. Wenn allerdings Forschungsqualität nur noch an großen Drittmittelprojekten gemessen wird und die Universitäten davon immer abhängiger werden, dann geraten die Geisteswissenschaften unter Verdrängungsdruck. Diese Situation ist bereits eingetreten.

Ein Cluster ist dreimal so groß wie ein Sonderforschungsbereich, und schon solche Projekte gelten als schwer steuerbar. Wie wollen Sie Wissenschaftler aus 25 Disziplinen zusammenbringen?

Ein erheblicher Teil dieser Arbeit ist schon geleistet. Der Antragsprozess hat eine erhebliche Dynamik der gemeinsamen Entwicklung von Forschungsperspektiven entfaltet. Der Cluster startet mit einer gut eingespielten und hochmotivierten Kerngruppe. Und das wird hoffentlich ansteckende Wirkung auf den Ausbau zur vollen Arbeitsstärke haben.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Kollegen wirklich zusammenarbeiten? Interdisziplinarität wird vielfach schon wieder infrage gestellt. Neurowissenschaftler interessierten sich in der Regel gar nicht für die Ansätze der Geisteswissenschaftler, heißt es.

Das trifft zwar weithin zu, ist aber gerade in der Emotionsforschung kaum zu rechtfertigen. Wenn man emotionale Phänomene neurowissenschaftlich erforschen will, geht man immer von Vorannahmen und Begriffen aus, die oft nicht reflektiert werden. Man wird kaum eine Emotion untersuchen, für die es nicht irgendeine Kategorie in der Sprache gibt. Ein Verständnis dafür ist aber weniger von der Neurowissenschaft als von der Linguistik und Philosophie aus zu gewinnen. Um Phänomene wie emotionale Rede angemessen untersuchen zu können, brauchen die Neurowissenschaften die Mitarbeit der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Ein Cluster in der Exzellenzinitiative wird mit bis zu 6,5 Millionen Euro für fünf Jahre finanziert. Was machen Sie mit dem Geld?

Wir fördern eine Vielzahl koordinierter wissenschaftlicher Projekte, und wir schaffen dafür oft erst die apparative und institutionelle Grundlage. Eng verzahnt mit diesem Forschungsauftrag sind eine Vielzahl von Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, von Promotions- und Postdoktorandenstipendien über unabhängige Nachwuchsgruppen bis hin zu Gastprofessuren.

Was steht nach fünf Jahren am Ende des Emotions-Projekts: Ein Sammelband mit 40 Beiträgen, eine Reihe von Monografien?

Ein Ende des Projekts wird es so bald nicht geben, allenfalls einen Abschlussbericht zur Verwendung der Mittel. Natürlich soll und wird es etliche Publikationen in wichtigen Zeitschriften geben. Einige Mitwirkende werden gewiss auch Bücher schreiben. In allen größeren wissenschaftlichen Einrichtungen aber werden viele Resultate erst über den Multiplikatoreffekt der Promovenden und Gastwissenschaftler sichtbar. Vor allem aber sehen wir im Moment nicht, dass unsere Agenda in fünf Jahren erschöpft sein wird. Wir erwarten eher, dass unser Forschungsgebiet bis dahin noch an Dynamik gewinnen wird und dass wir nicht 2011 das Wort „finis“ auf die Website stellen werden.

„Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung“ ist der Titel eines Ihrer Hauptwerke. Welcher Emotion wollen Sie in Ihrer Forschergruppe nachgehen?

Ich möchte untersuchen, wie überhaupt ästhetische „Lust“ verstanden werden kann. Ästhetische Lust kann ja, wie schon Aristoteles bemerkte, sowohl aus der Darstellung eines schönen Körpers wie aus der Darstellung von Mordtaten und sogar der Schilderung ekelhafter Phänomene gewonnen werden. Wir sehen uns ja auch nicht den abendlichen Mord im Fernsehen an, um von Widerwillen geschüttelt zu werden. Hier geht es also nicht um eine bestimmte Emotion, sondern eher darum, wie Emotionen aller Art ästhetisch „lustfähig“ gemacht werden können.

Können Sie „nebenbei“ auch noch Studierende unterrichten – oder lassen Sie sich jetzt von der Lehre befreien?

Als Sprecher des Clusters werde ich für die Startphase eine Freistellung beantragen und dann aus Mitteln des Clusters vertreten werden – so dass keine Einbußen für die Studierenden entstehen. Generell jedoch werden die Cluster-Professoren weiter unterrichten. Sie werden aber von Möglichkeiten profitieren, das im internationalen Vergleich viel zu hohe Lehrdeputat deutscher Professoren auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu reduzieren.

Wissenschaftssenator Zöllner plant die „Superuni“ – gegen den Widerstand der Unis. Was halten Sie von der Idee?

Der Vorschlag impliziert die treffende Diagnose, dass an „Normal-Unis“ keine Bedingungen für international konkurrenzfähige Forschung gegeben sind. Und er verspricht zentrale Defizite zu beheben: die schlechte Betreuungsrelation, das im Vergleich zu etablierten Eliteunis viel zu hohe Lehrdeputat und die Praxis der W-Besoldung, die auf eine flagrante Unterbezahlung hinausläuft. Allerdings kann ich die Vorteile einer räumlichen Zusammenlegung nicht erkennen. Wir werden an der FU so untergebracht, dass die benötigten Bibliotheken und Labore möglichst nah sind. An einem anderen Standort werden uns unsere Arbeitsmittel fehlen.

Aus Sicht des Präsidenten steht der FU jetzt die Führungsrolle unter den Berliner Unis zu. Stimmen Sie dem zu?

Es war für die FU keine angenehme Situation, dass die Politik nach der Wiedervereinigung sowohl die finanzielle als auch die symbolische Zuwendung auf die Humboldt-Universität konzentriert hat. Das Nachkriegsprodukt „FU“ geriet in Gefahr, zweite Wahl zu sein. „Humboldt“ klingt heute besser als „Frei“, weniger belastet durch das Unfreiheits-Regime, auf das der Name der Freien Universität antwortet. Die 60er Jahre-Architektur des FU-Campus hat es auch nicht leicht, mit dem Glanz zentraler HU-Lokalitäten mitzuhalten. Mir genügt, dass dieser politische, symbolische und auch ästhetische Trend gegen die FU nun erst einmal gestoppt ist.

Die Fragen stellte Amory Burchard.

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