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Wissen: Aids, Angst und Aberglaube

Vor 30 Jahren wurde die Krankheit entdeckt. Vor allem in Afrika nimmt sie weiter zu. Aber es gibt Hoffnung

Es war nur eine kurze Meldung, die die amerikanische Seuchenbehörde CDC am 5. Juni 1981 veröffentlichte: Fünf junge Männer seien zwischen Oktober 1980 und Mai 1981 in Los Angeles an einer Lungenentzündung erkrankt, verursacht durch den Pilz Pneumocystis jirovecii. Solche Infektionen sind sehr selten, weil ein gesundes Immunsystem den Erreger abwehrt. Anders bei den fünf Patienten: Alle waren schwer erkrankt, zwei von ihnen gestorben.

Und noch etwas fiel auf: Alle fünf waren homosexuell. In einem Kommentar schrieben die Experten des CDC, es handele sich vermutlich um eine Fehlfunktion der Immunzellen und um eine „Krankheit, die durch Sexualkontakt übertragen wird“. Innerhalb weniger Tage kamen ähnliche Berichte aus New York, San Francisco und anderen Städten. Bald wurden erste Fälle aus Frankreich, Spanien, der Schweiz und Uganda gemeldet.

Im Juni 1981 hatte die Krankheit noch keinen Namen, niemand wusste, dass es sich um ein Virus handelt. Die Erkrankten in Los Angeles waren auch weder die ersten Toten noch die ersten Infizierten. Das todbringende Virus breitete sich bereits seit den 70er Jahren in der ganzen Welt aus. Trotzdem markiert der Bericht des CDC den Beginn der Aids-Ära.

30 Jahre später sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 30 Millionen Menschen an Aids gestorben, 30 Millionen weitere leben mit dem Erregervirus HIV, zwei Drittel davon im südlichen Afrika. Immer wieder hat es „Fortschritte“ und „Durchbrüche“ gegeben. Aber die Realität ist: Noch immer kommen auf jeden Aidspatienten, der in Behandlung geht, zwei, die sich neu mit dem Virus anstecken. Jeden Tag stecken sich 7000 Menschen mit HIV an, darunter 1000 Kinder.

Und noch immer siechen manche Menschen lieber dahin, als sich zu ihrer Krankheit zu bekennen. „Ich hatte so eine furchtbare Angst“, sagt etwa Imelda Assey. Die zierliche Frau sitzt in einem kleinen Raum in Daressalaam, der Hauptstadt Tansanias. 2004 erfuhr Assey, dass sie HIV-positiv ist. Für den Test hatte sie sich eine Klinik ausgesucht, die weit weg lag von ihrem Zuhause. „Ich hatte Angst, dass Menschen erfahren könnten, was mit mir los ist“, sagt sie.

Die Klimaanlage ist ausgefallen, darum sind die Fenster offen. Obwohl das Meer wenige hundert Meter entfernt ist, steht die feuchte, heiße Luft in dem Raum, als sei sie zu gebannt von der Erzählung dieser Frau, um zu weichen. „Ich hatte Angst, dass es sich überall verbreiten würde“, sagt Assey leise. Sie meint ihr Geheimnis, nicht das Virus. Vielen Menschen in Tansania geht es genauso. Sie reden mit niemand über die Diagnose, wollen es nicht wahrhaben, weigern sich die Medikamente zu nehmen. „Das ist eine Art Selbststigmatisierung“, sagt Assey. „Ich habe allein fünf Menschen so sterben sehen.“

Aids in Afrika ist eine düstere Geschichte und sie wird noch immer im Flüsterton erzählt. „Die Stigmatisierung ist immer noch groß in der Regierung, in den Kirchen, den Gemeinden, den Familien, sogar unter den Gesundheitsarbeitern“, sagt Frank Manase, Leiter der Pasada-Klinik in Daressalaam. Die Geschichte von Pasada spiegelt die Geschichte der Aidsepidemie in Afrika wider.

1992 startete der französische Geistliche Jean Louri das Projekt. Damals gab es noch keine Gratis-Medikamente in Tansania, HIV-Infizierte wurden nach Hause geschickt, um zu sterben. Louri heuerte einen Arzt und mehrere Helfer an und etablierte eine Art häusliche Pflege. Einige der Patienten starben und hinterließen Kinder. Pasada gründete ein Waisenhaus. Patienten wurden schwanger. Pasada startete die Behandlung von Müttern, um die Übertragung des Virus von Mutter zu Kind zu verhindern. Patienten steckten sich mit Tuberkulose an. Pasada gründete eine Tuberkulose-HIV-Koinfektionsklinik.

Immer neue Hilfsangebote werden eingeführt, unzählige Menschen profitieren davon, aber an die Wurzel des Problems reichen die Bemühungen nicht. „Ich glaube, Stigma ist der wichtigste Grund für neue Infektionen, und wir unterstützten dieses Stigma noch“, sagt Manase. Der Arzt ist wütend: Auf eine Epidemie, die einen Kontinent seit Jahrzehnten zurückhält, auf ein Land, das eine Million Aidswaisen hat und in dem trotzdem niemand über seine Krankheit spricht, auf sich selbst. „Infizierte Menschen sagen uns, sie wollen nicht tagsüber kommen, wenn andere sie sehen könnten und was machen wir? Wir starten eine Nachtklinik.“

Manase will so nicht weitermachen. Vor einiger Zeit hätten sie eine kleine Klinik in einem Slum gegründet, erzählt er. „Alle wollten, dass wir eine Mauer darum bauen, damit die Menschen hingehen können, ohne gesehen zu werden. Ich habe durchgesetzt, dass wir das nicht machen.“ Dass das hart sei, wisse er. „Aber die Menschen müssen lernen, über Aids zu sprechen.“

Doch viele Menschen gehen lieber das Risiko ein, andere anzustecken, als über ihre Krankheit zu reden. Tatu Yusuph Mzangi hat das selbst erlebt. Sie arbeitet in einem christlichen Krankenhaus am Fuße des Kilimandscharo, einige hundert Kilometer nordwestlich von Daressalaam. Die Krankenschwester sitzt aufrecht im Stuhl, die Hände im Schoß gefaltet, die Haare zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Mzangi ist 39 Jahre alt und HIV-positiv. Jahre nachdem sie ihre Diagnose bekam, eröffnete ihr Mann ihr, dass er schon lange gewusst habe, dass er das Virus in sich trug. Solche Geschichten kann man in Tansania immer wieder hören. Meist sind es die Frauen, die irgendwann das Schweigen brechen. Weil sie nicht nur an ihr eigenes Leben denken, sondern auch an das der Kinder – und denen kann geholfen werden.

Die Verhinderung der Virusübertragung von Mutter zu Kind ist einer der wenigen hellen Stränge in dem dunklen Teppich aus Elend und Leid, der düsteren Erzählung über Aids in Afrika. Bevor schwangere Frauen behandelt werden konnten, wurde etwa jedes dritte Kind einer HIV-infizierten Frau ebenfalls mit dem Virus infiziert. „Mit den neuesten Methoden liegt das Risiko, dass das Kind sich ansteckt, nur noch bei ein bis fünf Prozent“, sagt Rahin Damgi, der in Mzangis Krankenhaus als Kinderarzt arbeitet. Immer mehr Frauen werden behandelt: 2003 nahmen nur 1800 HIV-positive Schwangere an dem Programm teil, 2009 waren es 100 300 .

Die Mütter erhalten während der Schwangerschaft Medikamente, die die Zahl der Viren im Blut senken und so das Kind schützen. Aber auch nach der Geburt kann das Virus durch die Brustmilch der Mutter übertragen werden, weshalb Ärzte davon abraten, die Kinder zu stillen. „In unserer Gesellschaft gucken andere Menschen einen aber schief an, wenn man sein Kind nicht an der Brust füttert“, sagt Mzangi. Darum sei es so wichtig, dass Freunde über die Diagnose Bescheid wissen.

So war es auch bei Mzangi: Dass sie sich mit HIV infiziert hatte, erfuhr sie, als sie schwanger zu einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus ging. „Darüber mit Freunden zu sprechen ist ungeheuer schwer, aber als er mir die Diagnose gab, sagte der Arzt auch zu mir, ich könne das Kind nur retten, wenn ich Hilfe hätte. Das hat mir die Kraft gegeben“, sagt sie.

Und Kraft ist nötig beim Kampf gegen Aids. Das weiß auch Thomas Finkbeiner. Der Arzt hat in Tübingen Medizin studiert – und er kennt Tansania gut. Schon in den 80er Jahren hat er hier ein Jahr am Krankenhaus gearbeitet. Jetzt ist er Leiter des klinischen HIV-Programms des CDC in Tansania. Aber manche Dinge sind auch Finkbeiner ein Rätsel: „Es ist schwierig nachzuvollziehen, warum zum Beispiel Kondome nicht angenommen werden, gerade bei Prostituierten“, sagt er. „Wir wissen es einfach nicht.“ Manche Prostituierte verzichteten einfach darauf, weil sie für Sex ohne Kondom mehr Geld bekommen.

Gesellschaftliche Besonderheiten spielen auch eine wichtige Rolle: So gehören zum Beispiel Polygamie und Promiskuität für die Massai zur Kultur. Ein Massai-Krieger hat nicht nur mehrere Frauen, er teilt sie auch mit anderen, was die Verbreitung des Aidsvirus besonders begünstigt. Kondome lehnen die Massai ab.

Aber auch für die restliche Bevölkerung in Tansania stehen kulturelle Gepflogenheiten und der Kampf gegen Aids häufig gegeneinander. So verbietet es sich selbst für erwachsene Frauen, im Laden Kondome zu kaufen. Tansania ist außerdem eines von 79 Ländern der Welt, in denen gleichgeschlechtliche Liebe gesetzlich verboten ist. Das alles trägt noch zum Stigma bei, das ohnehin schon ungeheuer stark ist. Kein Wunder, dass manche Menschen nicht weiter wissen. „Ich habe die Hoffnung verloren, ich sehe keine Zukunft“, sagt Gladness Hasan, eine junge, HIV-infizierte Frau.

Dabei gibt es Grund zur Hoffnung: Immer mehr Menschen haben in Afrika Zugang zu Medikamenten. Allein der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose bezahlt die Medikamente für mehr als 200 000 Aids-Kranke in Tansania. Und in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass das der Schlüssel zur Prävention sein könnte. Denn HIV-Medikamente können die Zahl der Aidsviren im Körper eines Patienten auf ein Zehntausendstel des ursprünglichen Wertes reduzieren. Das führt auch dazu, dass die Gefahr, einen anderen Menschen anzustecken, sinkt.

Darauf hatten Daten schon seit einiger Zeit hingedeutet, aber erst im Mai dieses Jahres erschien nun eine Studie, die das eindrucksvoll belegt. 1763 Paare in Südamerika, Asien und Afrika, bei denen einer der Partner HIV-positiv war, der andere nicht, hatten seit 2005 an der Studie teilgenommen. Alle Paare wurden über Safe Sex aufgeklärt und erhielten kostenlos Kondome, aber nur die Hälfte der Infizierten wurde mit Medikamenten behandelt.

28 der HIV-negativen Studienteilnehmer infizierten sich in der Folgezeit bei ihrem Partner mit dem Virus. Davon fielen 27 Fälle in die Gruppe der Menschen, deren Partner keine Medikamente bekommen hatte. Das entspreche einer Risikominderung von 96 Prozent durch die Medikamente, sagte der Leiter der Studie Myron Cohen von der Universität North Carolina.

„Das ist eine Wende“, kommentierte der Direktor von UNAIDS Michel Sidibe. Margaret Chan, Direktorin der Weltgesundheitsorganisation, nannte die Studie eine „entscheidende Entwicklung“: „Denn wir wissen, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr für rund 80 Prozent aller Neuinfektionen verantwortlich ist.“

Möglichst viele Menschen so zu behandeln bringt aber auch Probleme mit sich. Eines hat der Arzt Rahin Damgi kürzlich erlebt: Ein Priester in Tansania behauptet, er habe ein Pflanzenheilmittel gefunden, das Aids heilt. „Vor einigen Monaten sind da alle hingegangen und wir haben hier viel weniger Patienten gesehen“, sagt Damgi. Auch Finkbeiner im weiter entfernten Daressalaam hat die Auswirkungen erlebt: „Ein Teil der Patienten hat die Medikamente einfach nicht weitergenommen, in der Hoffnung dass dieses Medikament sie heilt. Manche sind gestorben“, sagt er.

Zu diesen Problemen kommen praktische Erwägungen: Nehmen die Patienten die Medikamente wirklich regelmäßig? Gibt es Resistenzen? Woher kommt das Geld, um immer mehr Menschen mit Medikamenten zu versorgen? Finkbeiner ist zuversichtlich: „Viele haben gesagt, das wird in Afrika nicht funktionieren und ich war auch skeptisch. Aber wir sind in den letzten Jahren recht weit gekommen und haben gezeigt, dass es erstaunlich gut funktioniert.“

Der größte Feind dieser Erfolge bleibt die Stigmatisierung. „Wenn es Stigma gibt, kannst du nicht in die Klinik gehen, und wenn du nicht in die Klinik gehen kannst, dann bekommst du keine Hilfe“, sagt die Krankenschwester Mzangi.

 Kai Kupferschmidt[ Daressalaam]

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