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Weibliche Wissenschaft. Mitglieder der „International Federation of University Women (IFUW)“ aus 18 Nationen posieren 1922 auf den Stufen der Sorbonne in Paris. Den Frauen ging es nach dem Ersten Weltkrieg auch um die Völkerverständigung.

© Mit freundlicher Genehmigung der IFUW, Genf

Akademikerinnenbund: Der Traum von der weiblichen Elite

Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vernetzten sich Akademikerinnen international – im Krieg konnten solche Bünde Leben retten. Internationale Professorinnenbiografien werden in einer Datenbank gesammelt.

Das muss ein erhebender Moment sein: Wenn die Archivarin kommt und dicke Pakete bringt, mit Staubschichten bedeckt und sorgfältig verschnürt, die jahrzehntelang unbeachtet herumgelegen haben. Diese Pakete zu öffnen, die Dokumente darin zu lesen und aus Hunderten von Briefen von Frauen eine ganze Welt zu rekonstruieren: eine Welt mit bewegenden Schicksalen, Vertreibung, Tod, aber auch Hilfe, Solidarität und Selbstbehauptung.

Der Wissenschaftshistorikerin Christine von Oertzen ist es so ergangen, als sie bei Recherchen über die Geschichte deutscher und internationaler Akademikerinnen in Washington und Portsmouth (England) auf Pakete voller Korrespondenz stieß. Bei der Lektüre der Briefe entstand vor ihrem geistigen Auge ein Geflecht von Verbindungen, das zwischen deutschen und internationalen Akademikerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand. „Diese Verbindungen haben die NS-Diktatur und die Wirren des Zweiten Weltkriegs überdauert und Dutzenden von Frauen das Leben gerettet“, erzählt von Oertzen, die am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte forscht.

In ihrem neuen Buch untersucht die Historikerin, woher die frühen Kontakte zwischen deutschen und internationalen Akademikerinnen rührten. Warum haben die Wissenschaftlerinnen damals bereits das getan, was man heute als „netzwerken“ bezeichnet und was Frauen in Seminaren und Ratgebern empfohlen wird?

Der Ursprung dieser erstaunlich modernen Initiative war der Erste Weltkrieg. 1919 gründeten amerikanische und britische Professorinnen, die zumeist in Women’s Colleges arbeiteten, die „International Federation of University Women“ (IFUW). „Ihr Ziel war es, eine internationale weibliche Bildungselite zu schaffen und nach den verheerenden Erfahrungen des Ersten Weltkriegs die Völkerverständigung voranzubringen“, sagt Christine von Oertzen. Die Akademikerinnen sammelten Sponsorengelder, vergaben Stipendien und gründeten Gästehäuser in Paris, London und Washington, in denen Studentinnen und Professorinnen bei Auslandsaufenthalten wohnen und in Kontakt kommen konnten.

Der Deutsche Akademikerinnenbund trat der IFUW kurz nach seiner Gründung im Jahr 1926 bei. „Die deutschen Akademikerinnen nahmen die Chancen des Internationalismus wahr, während ihre männlichen Kollegen nach dem Ersten Weltkrieg länger in selbst gewählter Isolation verharrten“, sagt von Oertzen. Was die Wissenschaftlerinnen damals forderten, klingt sehr modern: gleicher Lohn für gleiche Arbeit an den Universitäten; gleiche Zugangs- und Aufstiegschancen für Frauen in der Wissenschaft; ein Recht auf Beruf und Familie.

„Die deutschen Frauen waren beeindruckt vom Selbstbewusstsein der amerikanischen Professorinnen“, erzählt Christine von Oertzen: Profitierten die Amerikanerinnen doch von der Tradition der privaten Women’s Colleges, während die Frauen in Deutschland sich in der staatlichen, männlich geprägten akademischen Welt zu behaupten versuchten, wo sie jedoch isoliert waren und auf größte Vorurteile trafen. Nach dem Beispiel der amerikanischen „women’s halls“ eröffnete in den zwanziger Jahren jedoch auch in Berlin ein „Studentinnentagesheim“ ganz in der Nähe der Universität: Im Apothekerflügel des Berliner Schlosses konnten Studentinnen zwischen Vorlesungen arbeiten, ruhen und mit erfahrenen Akademikerinnen diskutieren. Viele ausländische Gäste gingen hier ein und aus.

Der Nationalsozialismus beendete die kurze Blütezeit des intellektuellen und persönlichen Austauschs. Der Deutsche Akademikerinnenbund wurde 1933 gleichgeschaltet und trennte sich von seinen jüdischen Mitgliedern. Viele der jetzt verfemten Wissenschaftlerinnen konnten allerdings ihre internationalen Kontakte aus besseren Jahren nutzen. Denn die IFUW engagierte sich für die akademische Fluchthilfe und versuchte, Wissenschaftlerinnen zu retten. Auch reagierte sie als einziger internationaler Verband auf die Verfolgung in Deutschland und wies antisemitischen Nationalverbänden die Tür.

Aus den Hunderten von Briefen, die Christine von Oertzen eingesehen hat, geht hervor, wie die IFUW gezielt verfolgten Wissenschaftlerinnen half und etlichen von ihnen eine neue Existenz in England oder den USA ermöglichte. Die Bakteriologin Emmy Klieneberger etwa konnte nach England ausreisen und dort im Londoner Gästehaus der IFUW wohnen, bekam ein Stipendium und konnte bald auch wieder in ihrem wissenschaftlichen Spezialgebiet arbeiten.

Aber nicht allen gelang die Flucht. „Viele Akademikerinnen sind in Deutschland geblieben, weil sie etwa als Kinderlose für ihre Eltern sorgten“, sagt Christine von Oertzen. Die Prager Historikerin Käthe Spiegel etwa, die in den Zwanzigern im Gästehaus der IFUW in Washington gelebt hatte, bat die Amerikanerinnen um Hilfe, die sammelten Geld für sie – aber als die Fahrkarte in die Freiheit da war, war es zu spät, Käthe Spiegel wurde deportiert und umgebracht.

Christine von Oertzen hat 241 längst vergessene Frauenbiografien recherchiert, die sie in der Datenbank „Internationale Netzwerke von Akademikerinnen“ der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Besonders beeindruckt hat sie der Fall der Amerikanerin Esther Brunauer: Sie war 1933 zu Forschungszwecken in Berlin und lebte bei Lise Meitner. Als die Nazis die Macht übernahmen, änderte Esther Brunauer ihr Forschungsthema, interviewte nationalsozialistische Politiker und schrieb über sie. Später organisierte sie in den USA die Flüchtlingshilfe aus Deutschland. In den konservativen fünfziger Jahren jedoch geriet sie selbst in Schwierigkeiten: Durch die antikommunistische Verleumdungskampagne Senator McCarthys verlor sie ihre berufliche Existenz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Traum von der internationalen weiblichen Bildungselite nur zögerlich wieder auf. Die Gründerinnen der IFUW blieben ohne Nachfolge. Frauen verschwanden auch in Großbritannien und den USA aus den akademischen Positionen. Erst in den 1970er Jahren änderte sich das wieder. „Heute gibt es eher fachliche Netzwerke“, sagt von Oertzen. Dass Akademikerinnen einmal weit mehr verband, bezeugen die faszinierenden Geschichten, die sich in staubigen Paketbündeln verbergen.

Christine von Oertzen: Strategie Verständigung. Zur transnationalen Vernetzung von Akademikerinnen 1917-1955. Wallstein Verlag, Göttingen 2012.

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