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Hochbegabt und hochmotiviert: Nachwuchswissenschaftler finden im akademischen Umfeld kaum noch Festanstellungen. Viele halten sich mit Zeitverträgen über Wasser.

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Akademische Karrieren: Prekäre Arbeitsverhältnisse an Universitäten nehmen zu

Von einem festen Arbeitsvertrag können die meisten Wissenschaftler an unseren Universitäten nur träumen. Viele hangeln sich von einem Zeitvertrag zum nächsten. Das dicke Ende ist vorherzusehen.

Karl Benns Zeit läuft ab. Am Morgen, wenn er die Tür zu seinem Büro aufschließt, weiß er: wieder 24 Stunden weniger. Wenn nachmittags sein Blick auf die Datumsanzeige des Computers fällt, denkt er an den 31. Juli 2014. Das ist der Tag, an dem er den Bescheid in Händen halten wird, der sein bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird. Höchstvertragsdauer erreicht, wird drinstehen: Weiterbeschäftigung unmöglich.

Benn, 44, ist Molekularbiologe. Hoch qualifizierte Forscher wie ihn preisen Politiker gern als Garanten künftigen Wohlstands. Benn allerdings, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat genug damit zu tun, seine eigene Zukunft zu retten. Denn was außerhalb ehrwürdiger Universitätsmauern undenkbar wäre, ist zwischen Hörsaal und Labor der Normalfall: Unglaubliche 84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter sind befristet angestellt. Der dreifache Vater Benn ist es seit 15 Jahren. Während in der vermeintlich so rauen »freien Wirtschaft« Befristungen nach zwei Jahren in dauerhafte Arbeitsverhältnisse übergehen müssen, dürfen die in staatlicher Trägerschaft befindlichen Universitäten ihre Mitarbeiter zwölf Jahre lang von Zeitvertrag zu Zeitvertrag schieben. Für ein Kind gibt es noch mal zwei Jahre extra. »Es ist wie süßes Gift«, sagt Karl Benn. »Jedes Jahr gibt es einen neuen Vertrag und jedes Mal die vage Hoffnung auf eine Dauerstelle.« Bis das dicke Ende kommt. Meist sind dann aus den jungen Forschern mittelalte geworden, für die der Umstieg in die Welt der Unternehmen und kommerziellen Forschungsabteilungen fast unmöglich ist.

Gedacht war es anders: Das seit 2007 geltende Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte den Hochschulen Gestaltungsspielraum geben, um auf Trends reagieren zu können. Es sollte möglichst vielen Doktoranden den Einstieg in die Wissenschaftswelt ermöglichen und dabei helfen, dass der Sprung hinüber zu anderen spannenden Forschungsprojekten nicht an kleinkarierten arbeitsrechtlichen Barrieren scheitert. So weit die Theorie. »In der Praxis haben wir es mit einem massiven Missbrauch durch die Hochschulen zu tun, die für ein paar gesparte Euro und ein bisschen mehr Flexibilität die Karrieremöglichkeiten junger Forscher opfern«, sagt Andreas Keller von der Bildungsgewerkschaft GEW. Nicht einmal sich zusammenschließen und gemeinsam um bessere Konditionen verhandeln dürfen die Betroffenen: Eine »Tarifsperre« im Gesetz untersagt es ihnen.

Das Ergebnis: Es sind nicht nur vier Fünftel aller Wissenschaftler unterhalb des Professorenlevels befristet angestellt, rund die Hälfte der mit ihnen abgeschlossenen Arbeitsverträge hat zudem eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. So haben es jetzt Forscher vom Hochschul-Informations-System (HIS) herausgefunden.

Zahlen, die sich vor wenigen Jahren kaum einer hätte vorstellen können. Durch Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und andere Initiativen der Bundesregierung sind Milliarden an Projektmittel an die Hochschulen geflossen. Gut gemeint. Doch weil die Gelder jederzeit wegfallen können, explodierte nur die Zahl sogenannter Drittmittelstellen. Allesamt befristet. Und das für immer kürzere Zeiträume. Bis das System aus den Fugen geriet: »Das Problem ist nicht an sich, dass es Befristungsmöglichkeiten gibt«, sagt Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. »Ein Problem gibt es, wenn sich fast der gesamte Stellenaufbau in diesem Bereich abspielt.« Denn parallel zum Wachstum der Drittmittel haben die Länder die Dauerfinanzierung der Universitäten, die ausschlaggebend ist für die Zahl der Dauerstellen, eingefroren oder zurückgefahren. Wie krass sich die Gewichte verschoben haben, belegen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes: Von 236.000 Wissenschaftlern an Deutschlands Unis waren 2010 gerade 22.000 Professoren. Und während deren Zahl seit zehn Jahren stagniert, ist die des übrigen wissenschaftlichen Personals um mehr als 50 Prozent gewachsen. Für sie alle wird die Professur zum Lottogewinn.

An vielen Lehrstühlen herrscht das Prinzip Sonnenkönig: Wer die Professur inne hat, verteilt seine Gunst nach Belieben.

»Das Ganze funktioniert, weil die jungen Wissenschaftler ein hohes Maß an Idealismus mitbringen«, sagt der HIS-Forscher Georg Jongmanns. »Hinzu kommt eine enorme Leidensfähigkeit, weil sie für ihr Ziel, als Wissenschaftler leben und arbeiten zu können, sehr viel auf sich nehmen.« So herrscht an vielen Lehrstühlen das Prinzip Sonnenkönig: ein Professor, um den sich ein Dutzend und mehr von ihm abhängige Wissenschaftler gruppieren. Was die Sache für die Wissenschaftler noch frustrierender macht: Während sie an den Hochschulen zittern müssen, sind die meisten Hausmeister oder Sachbearbeiter praktisch unkündbar. Und Karl Benn bekäme als 44-Jähriger keinen Kredit für das neue Auto, ohne seine Eltern als Bürgen zu benennen. Er sagt: »Ich bin meinem Traum gefolgt. Mein Fehler war, dass ich so lange an ihm festgehalten habe.« Er wollte Antworten auf die große Frage: Wie entwickelt sich Leben? Er hat tierische Nervenzellen erkundet, nebenher Generationen von Studenten durch ihre Praktika begleitet und sich über die Theorie zur Bildung von Proteinen den Kopf zerbrochen. Worüber er sich zu spät Gedanken gemacht hat, war die Zwölfjahresregel.

Die übrigens existiert viel länger als das Zeitvertragsgesetz. Sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion dürfen Wissenschaftler befristet angestellt werden, in der Medizin sogar neun Jahre. Doch das neue Gesetz hat weitere Verschärfungen gebracht: Mitarbeiter in Drittmittelprojekten können noch länger befristet beschäftigt werden, und dann ist da die neue Kinderregel, von der Benn profitiert. Wenn man es so nennen möchte: Denn was kurzfristig ein Strohhalm ist, verlängert die Leidenszeit für viele nur. »Wir haben es mit einer politischen Abwägung zu tun«, sagt Georg Jongmanns. »Dabei wird die Priorität auf den wissenschaftlichen Fortschritt gelegt, nicht auf das Eröffnen von Karrierechancen für möglichst viele.« Das funktionierte so lange, wie die Befristungen nicht auf Kosten der wissenschaftlichen Qualität gingen. Genau das aber habe sich geändert, sagt Ministerin Bauer: »Wenn jemand einen Vertrag mit sechsmonatiger Laufzeit bekommt, kann man kaum verlangen, dass er sich genauso beherzt in seine Arbeit stürzt wie jemand, der sich nicht die ganze Zeit um seine Karriere sorgen muss.«

SPD und Grüne fordern, die Tarifsperre aufzuheben, auch CDU und FDP werkeln an einem Konzept. Vorige Woche hat sich der Wissenschaftsausschuss des Bundestages mit dem Problem beschäftigt – zur Freude von GEW-Mann Keller, der seit einem Jahr mit seinem "Templiner Manifest" Unterschriften für gerechtere Arbeitsbedingungen sammelt. Mehr als 7.500 hat er schon. »Es ist nicht so, dass wir Befristungen von vornherein ablehnen«, sagt er. Die seien unvermeidbar, solange Forschung in Projekten organisiert sei. »Was wir fordern, ist eine Mindestlaufzeit, das Zerstückeln in Kleinstlaufzeiten muss verboten werden.« Genauso wichtig sei es, zusätzlich wieder mehr Dauerstellen zu schaffen. »Derzeit kennt das Wissenschaftssystem nur Nachwuchs und Professur. Nichts dazwischen.«

Manche verteidigen das System als "charakterbildend".

In den siebziger und achtziger Jahren war das anders: Da beherrschte der Mittelbau, meist verbeamtete Akademische Räte, die Unis – und lähmte sie zugleich. »Das ist der Knackpunkt«, sagt der CDU-Bildungsexperte Stefan Kaufmann. »Wir müssen den Missbrauch durch Zeitverträge ausschließen, doch wir wollen nicht den unbewegten Mittelbau von früher wiederhaben.« Das, sagt Keller, wolle auch er nicht: »Weil der Ausbau der Hochschulen damals nach wenigen Jahren gestoppt wurde, gab es über Jahrzehnte wenig Bewegung. Das wäre anders, wenn wir eine ausgeglichene Altersverteilung und mobilitätsfreundliche Tarifverträge hätten, die würden automatisch für personelle Erneuerung sorgen.«

Das Zauberwort, das die Politiker immer häufiger in den Mund nehmen, heißt »Tenure-Track«, eine Karriereleiter, die nach der Promotion beginnt und bis zur Professur führt, die den Schritt auf die nächste Stufe von vorher vereinbarten Leistungen abhängig macht. Aber so eine Leiter kostet viel Geld – Geld, das die Länder nicht haben. Und der Bund darf es ihnen nicht geben. Allein die solvente grün-rote baden-württembergische Regierung hat angekündigt, die Zahl der unbefristeten Stellen erhöhen zu wollen. So formuliert CDU-Experte Kaufmann denn auch lieber zurückhaltend, seine Partei werde in ihrem Antrag vor allem an die Verantwortung der Länder »appellieren«. Und an die der Hochschulen.

Dass die schon jetzt mehr tun könnten, wenn sie sich nur trauten, sehen einige Rektoren ähnlich. Der Präsident der TU Kaiserslautern, Helmut Schmidt, etwa sagt: »Wenn jemand seit zehn Jahren ein Drittmittelprojekt nach dem anderen an Land zieht, hat er gezeigt, was er kann. Dann muss ich als Hochschule auch bereit sein, das Risiko zu übernehmen und seinen Vertrag zu entfristen.« Wobei es sich womöglich nicht nur um ein Mutproblem handelt. Hinter vorgehaltener Hand äußern Lehrstuhlinhaber schon mal die Meinung, der Kampf durchs System helfe den jungen Wissenschaftlern bei der Charakterbildung. Sie selbst hätten da ja auch durchgemusst – und es geschafft.

Die Präsidentin der Hochschulkonferenz, Margret Wintermantel, hält dagegen: Ihre Erfahrung sei, dass die meisten Professoren ohnehin bemüht seien, ihre Mitarbeiter zu halten und ihnen Perspektiven zu eröffnen. »Verantwortungslosigkeit würde ich auf keinen Fall unterstellen.«

Karl Benn verfolgt derartige Debatten mit einer Mischung aus Amüsement, Wut und Frust. Er weiß: Während die Politiker und Rektoren über großartige Weichenstellungen diskutieren, tickt für ihn die Uhr. Zwar hat ihm sein Professor noch mal den Vertrag verlängert, aber wieder nur um ein Jahr. Danach könne er sich ja noch woanders etwas suchen, hat er zu Benn gesagt. »Vielleicht habe ich mich nicht genug reingehängt«, sagt der leise. Er habe zum Beispiel nie eigene Projektgelder eingeworben. Dann besinnt er sich einen Augenblick. »Andererseits: 80 Stunden die Woche arbeiten, die Familie nie sehen, das kann es doch auch nicht sein.« Ein Kollege von ihm hat es genau so gemacht. Und was hat es ihm gebracht? Einen neuen Zeitvertrag.

Der Beitrag ist ursprünglich erschienen auf ZEITonline.

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