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Auf Abruf. An der HU laufen die letzten Diplomstudiengänge 2016 aus.

©  Mike Wolff/Tagesspiegel

Alte Studiengänge laufen in Berlin aus: Letzter Aufruf fürs Diplom

Noch immer sind an den Berliner Universitäten Studierende in Diplom- und Magisterstudiengängen eingeschrieben. Wie lange sie bleiben dürfen, ist auch ein Fall für Gerichte.

Joram Keller (Name geändert), 35, sah sich nicht mehr weit von seiner Physik-Diplomprüfung entfernt, als er gegen seinen Willen exmatrikuliert wurde. Die Humboldt-Universität hatte vor etwa einem Jahr entschieden, dass 14 Jahre Studium genug seien. Eine Krankheit, ein Uni-Wechsel und Engagement als Studierendenvertreter und in sozialen Organisationen erkannte sie nicht als Härtefall-Gründe an, die eine Verlängerung ermöglicht hätten. Keller klagte gegen die Uni, er wollte das Diplom beenden.

Wie Keller wurden in den letzten Jahren immer wieder Studierende der alten Studiengänge Magister, Diplom und Staatsexamen exmatrikuliert. 2011 sortierte die Uni Potsdam ihre Staatsexamens-Lehrämter aus, die Uni Köln setzte im gleichen Jahr ihre letzten 32 Diplom- und Magister-Studierenden vor die Tür. Vor einem Jahr verabschiedete sich die Humboldt-Universität dann mit Keller von insgesamt 605 Studierenden.

Die Luft wird dünn im Diplom und Magister

Die Luft wird dünn für jene Studierenden, die sich mit den alten Abschlüssen Zeit lassen. Zwar wechselten viele freiwillig in den Bachelor oder Master, beendeten ihr Studium erfolgreich oder brachen ab. Doch 13 Jahre nach dem Beginn des Bologna-Prozesses sind in Berlin immer noch etwa sechs Prozent der Studierenden im Magister oder Diplom eingeschrieben, deutschlandweit fünf Prozent. Die HU ist besonders weit mit dem Auslaufen der alten Studiengänge: Dort gibt es nur noch zwei Magisterstudierende. Die letzten Diplomstudierenden sollen die Uni bis Oktober nächsten Jahres verlassen, nur in der Informatik haben sie bis 2018 Zeit.

Tatsächlich sollten Diplom- und Magisterstudiengänge in Berlin laut den Hochschulverträgen sogar schon seit Ende 2013 aufgehoben sein. Doch das Hochschulgesetz steht über den Verträgen  – und das lässt den Unis mehr Spielraum. Laut Gesetz dürfen Studierende ihr begonnenes Studium fortführen. Die Unis müssen nur Termine für letzte Abschlussprüfungen festlegen und die Lebensumstände der Studierenden dabei „angemessen berücksichtigen“. Diese Termine haben die Unis festgelegt, die Senatsverwaltung sieht die Verträge damit als erfüllt an.

Wie berücksichtigt man Lebensumstände angemessen?

Doch wie berücksichtigt man Lebensumstände angemessen? Joram Keller und 26 seiner Kommilitonen klagten wegen dieser Frage gegen die HU: Die hatte Studierende exmatrikuliert, weil der letzte Prüfungstermin verstrichen war. Die Studierenden kritisierten, die Uni habe ihre Lebensumstände erst nach der Festlegung der Prüfungstermine geprüft, und dann unzureichend. Viele Härtefallanträge seien abgelehnt worden. Die Exmatrikulierten durften zwar in den Bachelor wechseln. Auch Joram Keller nahm das Angebot an. Auf das Diplom klagte er dennoch, „weil mir im Bachelor nicht alle Leistungsscheine angerechnet werden“.

Ein weiterer Streitpunkt: Wann gilt ein Studiengang als aufgehoben? Aus Sicht der Unis ist das der Fall, sobald der letzte Prüfungstermin verstrichen ist. Aus Sicht der Kläger ist ein Studiengang erst aufgehoben, wenn auch mögliche Wiederholungsprüfungen absolviert sind und der allerletzte Studierende sein Diplomzeugnis in der Hand hält. Das würde die mögliche Studienzeit verlängern.

Doch die Klage der Studierenden war vergebens: Das Verwaltungsgericht wies sie im März zurück. Mit dem letzten Prüfungstermin seien Studiengänge aufgehoben, gaben die Richter der HU recht. Beim Thema „Härtefälle“ wurden sie grundsätzlich: Gesonderte Härtefallregeln bräuchten Hochschulen überhaupt nicht aufzustellen – solange sie den letzten Prüfungstermin mit viel Vorlauf ankündigen und überhaupt den Studierenden genügend Zeit für ihren Abschluss lassen. An der HU konnten Studierende die Regelstudienzeit um mindestens neun weitere Semester überschreiten. Sie hatten also insgesamt mindestens neun Jahre für ihr Studium Zeit, was aus Sicht der Richter ausreicht: „Dem Gebot, die Lebensumstände der betroffenen Studenten angemessen zu berücksichtigen, (wurde so) ausreichend Rechnung getragen.“

Die HU gewinnt vor Gericht

Die HU hat also gewonnen. Trotz des Richterspruchs will sie bereits anerkannten „Härtefällen“ die versprochene Verlängerung gewähren – auch wenn das eine rechtliche Grauzone darstellen könnte. Wie man mit Alt-Studierenden, die etwa durch eine schwere Krankheit zurückgeworfen werden, umgeht, dürfte die Unis ohnehin noch länger beschäftigen. Die Richter mögen zwar geurteilt haben, eine Härtefallregelung sei nicht nötig. Das bedeute aber nicht, dass man „unmenschlich“ werden wolle, heißt es aus der TU. Dort berät der Akademische Senat auf der kommenden Sitzung über das Thema. An der FU können Studierende bereits eine Härtefall-Verlängerung erhalten, woran die Uni festhält. Beantragt habe das aber noch niemand, heißt es.

Dass die Unis die Studierenden loswerden wollen, liegt auf der Hand. Schließlich binden sie Lehr- und Verwaltungskapazitäten. Zwar sei der Aufwand bei den verbleibenden 700 Studierenden nicht übermäßig hoch, wie Steffan Baron, Leiter der HU-Studienabteilung, sagt: „Unsere letzten Diplomer besuchen Bachelor- und Master-Veranstaltungen, machen aber Scheine fürs Diplom. Die Koordination ist nicht ungemein aufwendig.“ Die HU habe aber die Hochschulverträge möglichst gründlich erfüllen wollen.

An der FU laufen 33 Studiengänge aus

Im Gegensatz zur HU wurden an der FU und an der TU Zwangsexmatrikulationen bisher nicht bekannt. Das könnte sich bald ändern: Am 30. September laufen an der TU 18 Studiengänge aus, an der FU werden 33 Studiengänge beendet. Akut sind Probleme schon jetzt. Der FU-Asta berichtet von irreführenden Bescheiden, „zum Beispiel, dass Härtefallanträge nur bei Schwerbehinderung bewilligt werden – das ist schlicht nicht wahr“, sagt Asta-Referent Philipp Bahrt.

Joram Keller will nun gegen das Urteil Berufung einlegen – „aus Prinzip“, wie er sagt. Das Oberverwaltungsgericht könnte frühestens in ein, zwei Jahren über seinen Fall entscheiden. Bis dahin möchte Keller zur Sicherheit mit dem Bachelor weitermachen – und später in den Master wechseln.

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