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Eine Person fängt mit beiden Händen Wasser auf, das aus einer Quelle sprudelt.

© Imago

Altes Grundwasser: Neue Uhr für altes Wasser

Eine neue Technik aus der Atomphysik hilft Forschern, das Alter von Grundwasser genau zu bestimmen. Das gibt Hinweise auf mögliche Schadstoffe. Künftig könnte mit dieser Methode tiefes Wasser als Klimaarchiv erschlossen werden.

Bevor Sven Ebser sein Experiment erklärt, holt er erst einmal eine Taschenlampe. Im Labor am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg ist jedes Fenster verdunkelt. Aus Sicherheitsgründen, denn Laserlicht sollte nicht nach draußen dringen. Im Lampenschein wird eine drei Meter lange Vakuumkammer sichtbar, dazwischen viele Spiegel, Spulen und Laser. „Atomic Trap Trace Analysis“ nennt sich die Anordnung, kurz Atta. Es geht darum, in einer Atomfalle winzige Mengen bestimmter chemischer Elemente aufzuspüren. Vor allem Umweltwissenschaftler setzen große Hoffnungen auf die neue Technik, denn mit Atta könnten alte Wasserproben endlich zuverlässig datiert werden. Anhand des Alters von Grundwasser lässt sich wiederum abschätzen, ob es mit Schadstoffen belastet ist und wie es im Untergrund strömt. Solche Informationen werden immer wichtiger, je mehr Wasser aus tiefen Schichten gefördert wird.

Zwar gibt es bereits Verfahren, um das Alter von Wasser zu bestimmen. Doch diese sind entweder für eine Zeitspanne von mehreren Jahrtausenden geeignet, wie die Radiokarbonmethode, oder nur für wenige Jahrzehnte. Das Alter zwischen 60 und 1000 Jahren ließ sich dagegen bisher nur mit großem Aufwand feststellen.

Bislang müssen Wasserforscher mehrere Wochen lang messen

Dazu nutzen Forscher Argon. Das Gas ist zu gut einem Prozent in der Atmosphäre enthalten. Gerade ein Billiardstel davon ist für die Datierung interessant: das radioaktive Isotop Argon-39. Es entsteht durch den Beschuss kosmischer Strahlen auf Atome der Luft. Fällt Niederschlag, löst sich das Argon im Wasser, versickert im Boden und eine natürliche Uhr beginnt zu ticken. Argon-39 zerfällt, nach 269 Jahren ist nur noch die Hälfte übrig. Wird Grundwasser aus einem Brunnen gepumpt, lässt sich am Restgehalt an Argon-39 das Alter ablesen.

Nur ist das extrem mühsam, nur ein Labor der Uni Bern kann Argon in Wasser messen. In 35 Metern Tiefe, abgeschirmt von allen Strahlungsquellen und zusätzlich umgeben vom kaum strahlenden Blei alter Schiffswracks wird der spärliche radioaktive Zerfall von Argon-39 registriert. „In einer alten Probe zerfällt etwa einmal pro Stunde ein einzelnes Atom“, erläutert der Laborleiter Roland Purtschert. Er müsse mehrere Wochen lang messen, um zuverlässige Ergebnisse zu erhalten. Jede Wasserprobe ist 1,5 Tonnen groß.

Das neue Verfahren kommt mit weniger Wasser aus und ist schneller

Mit dem Atta-Verfahren – eigentlich ein Abfallprodukt aus der Quantenoptik – soll alles anders werden. Derzeit versuchen die Heidelberger Forscher, auch mit kleinen Proben wie zwei Litern Wasser oder einem Kilogramm Gletschereis klarzukommen. Für ihre Tests verwenden sie Grundwasserproben aus dem Oberrheingraben. Mithilfe feiner Membranen werden Stickstoff, Sauerstoff und andere Spurengase abgetrennt. Für die Physiker zählt nur das Argon, samt dem verschwindend geringen Anteil des radioaktiven Argon-39, den es genau zu bestimmen gilt.

Aufbau einer Apparatur, mit der Grundwasser datiert wird.
Wasseruhr. Mit dieser Apparatur wird Grundwasser datiert.

© Florian Freundt

Im Atta-Experiment regen wechselnde elektrische Felder zunächst das Argongas an, ähnlich wie in einer Neonröhre. Magnetfelder fokussieren den resultierenden Strahl aus Argon. Die Atome schießen durch die längliche Vakuumkammer und werden dabei gebremst. Dann landet das Argon in einer „magnetooptischen Falle“: Aus sechs Richtungen halten Laser genau die Atome fest, die das für Argon-39 typische Lichtspektrum zeigen. Nach einigen Stunden ist die Messung abgeschlossen.

Ein Drittel der Weltbevölkerung fördert ihr Wasser aus dem Untergrund

Anders als im Berner Labor kümmern sich die Quantenphysiker nicht um die extrem seltenen radioaktiven Zerfälle und können daher deutlich kleinere Wasserproben verwenden. Allerdings bleibt die Zahl der mit Atta zu zählenden Atome sehr klein, was folgender Vergleich zeigt: In einem weltumspannenden Konvoi von mit weißem Reis beladenen Lkw besteht die Aufgabe darin, genau ein schwarzes Korn aufzuspüren. „Dementsprechend ist bei der Arbeit eine gewisse Frustrationstoleranz nötig“, sagt Sven Ebser. Er ist bereits der dritte verantwortliche Doktorand an dem Experiment, das erst nach sechs Jahren erstmals erfolgreich Grundwasserproben datierte.

„Das Alter von Grundwasser genau zu bestimmen, wird im 21. Jahrhundert immer wichtiger“, sagt der Heidelberger Umweltphysiker Werner Aeschbach-Hertig. Denn je älter ein Wasser ist, umso unwahrscheinlicher ist der Einfluss menschlicher Verunreinigungen. Vor allem ist es das Nitrat aus der Landwirtschaft, aber auch Schadstoffe aus Industrieanlagen, die das Wasser nahe unter der Oberfläche vielerorts belasten. Schon heute fördert ein Drittel der Weltbevölkerung ihr Wasser aus dem Untergrund, mit steigender Tendenz. Daher seien zuverlässige Analysemethoden immer wichtiger, sagt Aeschbach-Hertig.

Zudem gestaltet Wasser auch das tägliche Wetter und das Klima über die Jahrtausende. Einmal versickert, trägt es viele Informationen mit sich. Deshalb hoffen Wissenschaftler, mit der Methode diverse Fragen klären zu können. So haben US-Forscher mit Atta und dem Edelgas Krypton-81 das Alter des „nubischen Grundwassers“ unter Ägypten auf rund eine Million Jahre bestimmt. Sie schlossen anhand anderer Eigenschaften des Wassers, dass zu jener Zeit deutlich mehr feuchte Luft vom Atlantik gekommen sein muss. Wird Atta weiter verfeinert, könnte das tiefe Grundwasser bald – genau wie Bohrkerne aus Eis, Korallen oder Stalaktiten – weltweit als lokales Klimaarchiv verwendet werden. Damit ließe sich etwa das europäische Klima der Vergangenheit noch genauer rekonstruieren.

Geheimnisse des tiefen Grundwassers lüften

„Umweltforscher wissen bisher kaum etwas über das tiefe Grundwasser“, sagt Aeschbach-Hertig. Seine Kollegen diskutieren bis heute darüber, ob es hunderte Meter tief noch richtig strömen kann, was sich über Altersbestimmungen aus tiefen Brunnen klären ließe. Dieses Wissen ist umso wichtiger, weil Eingriffe in dieser Tiefe künftig zunehmen, etwa durch Erdwärmebohrungen, Speicher für Gas und Kohlendioxid sowie das Aufbrechen tiefer Schichten für die Erdöl- und Erdgasgewinnung. Beim „Fracking“ werden Risse im Gestein erzeugt, die mit Wasser und verschiedenen Zusätzen offen gehalten werden. Manche dieser Stoffe können gesundheitsgefährlich sein und sollten in der Tiefe bleiben. Ob sie das tatsächlich tun, könnten Altersbestimmungen am genutzten Trinkwasser bereits vorab zeigen.

Weltweit wird daran gearbeitet, mit Atta noch andere Edelgase aus natürlichen Proben zu zählen. Dazu gehört das Isotop Krypton-81. Es zerfällt in durchschnittlich 229 000 Jahren und könnte dabei helfen, das älteste Eis des Planeten zu finden. Das wird in der Antarktis vermutet, aber Eis dieses Alters zu datieren, war bisher schwierig.

Der Berner Forscher Roland Purtschert bleibt vorsichtig: „Die neue Methode muss sich im wissenschaftlichen Alltag bewähren.“ Dafür sei es unabdingbar, das mit Atta bestimmte Alter von Wasserproben auch gelegentlich in Bern zu überprüfen. Schließen müsse das Untergrundlabor daher noch lange nicht.

Karl Urban

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