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Alzheimer: Mittel gegen das Vergessen

Das Sterben von Nervenzellen soll aufgehalten werden: Eine neue Generation von Alzheimer-Medikamenten weckt Hoffnung.

Das erste Opfer, das wir kennen, starb vor 102 Jahren. Auguste Deter, eine 51 Jahre alte Frau kommt im November 1901 in ein psychiatrisches Krankenhaus in Frankfurt am Main. Sie ist orientierungslos, leidet an Paranoia und Halluzinationen und hat Gedächtnisstörungen. Als der Arzt sie am zweiten Tag fragt, wie lange sie schon hier sei, überlegt sie kurz und antwortet: drei Wochen. Als seine Patientin viereinhalb Jahre später stirbt, untersucht er ihr Gehirn. Unter dem Mikroskop entdeckt er überall kleine Klumpen, Plaques genannt. Das Gehirn von Auguste Deter ist davon durchsetzt. Es ist die erste Beobachtung der Krankheit, die wir heute unter dem Namen des Arztes kennen. Sein Name war Alois Alzheimer.

Die Plaques haben auch ein Jahrhundert später nichts von ihrer schrecklichen Faszination verloren. Im Gegenteil: Sie scheinen zum Schlüssel im Kampf gegen Alzheimer geworden zu sein. Denn eine wirkliche Wende in der medizinischen Schlacht gegen das große Vergessen bahnt sich an: Die ersten Medikamente, die spezifisch gegen Alzheimer gerichtet sind, durchlaufen zur Zeit die letzten Teststufen. Es könnte eine Revolution werden – und eine, die dringend gebraucht wird. Alleine in Deutschland sind nach Schätzungen mehr als 700 000 Menschen an Alzheimer erkrankt – und die vorhandenen Arzneien helfen nur wenig.

„Bisher gibt es eigentlich nur zwei Klassen von Medikamenten, die gegen Alzheimer eingesetzt werden können“, erklärt Sascha Weggen, der die Arbeitsgruppe Molekulare Neuropathologie an der Universität Düsseldorf leitet. Beide greifen in den Stoffwechsel des Gehirns ein. Die eine Klasse erhöht die Menge des wichtigen Botenstoffs Acetylcholin. Bei Alzheimerpatienten sterben die Zellen ab, die diesen Botenstoff ausschütten. Das führt zu verschiedenen Symptomen, wie etwa den frühen Gedächtnisstörungen. Der ständige Abbau des Acetylcholins, der normalerweise sehr schnell passiert, wird durch diese Medikamente verzögert. So können die abgestorbenen Zellen kompensiert werden. Ewig geht das aber auch nicht. „Wenn immer mehr von den Zellen sterben, sind irgendwann einfach keine Zellen mehr da, die Acetylcholin überhaupt produzieren“, erklärt Weggen. Auch Memantin, das einzige Medikament in der zweiten Klasse, setzt bei einem Botenstoff im Gehirn an. So richtig gut geklärt sei der Mechanismus aber nicht, gibt Weggen zu bedenken.

Immer wieder tauchen Zweifel an der Wirksamkeit dieser zugelassenen Medikamente auf. Und keines von ihnen packt die Krankheit an der Wurzel. Kein Wunder, denn lange Zeit war über die Ursachen so gut wie gar nichts bekannt. Man behandelte die Symptome und hoffte, die schlimmsten Auswirkungen ein wenig herauszögern zu können. Inzwischen weiß man mehr. Viele Rätsel der Alzheimerkrankheit sind in den letzten Jahren aufgeklärt worden, und die meisten Forscher sind sich mittlerweile einig, wie die Krankheit ungefähr entsteht. Das Schlagwort heißt Beta-Amyloid. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein kleines Fragment eines wesentlich größeren Eiweißes namens APP. Im Gehirn wird aus dem APP das kleine Beta-Amyloid herausgeschnitten – durch entscheidende Moleküle, die Sekretasen. „Das sind im Grunde molekulare Scheren“, sagt Christian Haass, Biochemiker an der Universität München. Sie schneiden erst an einem Ende, dann am anderen das kleine Beta-Amyloid aus dem großen APP heraus. Was dann passiert, nennt Haass eine „tödliche Kaskade“: Nachdem das Beta-Amyloid herausgeschnitten wurde. verlässt es die Zelle, trifft auf andere Beta-Amyloid-Moleküle, mit denen es verklebt, und langsam bilden sich die gefürchteten Plaques, die schon Alois Alzheimer erkannt hat. Sie führen dann zum Absterben von Zellen und all den Symptomen, die aus einem geliebten Menschen plötzlich einen Fremden machen können.

Es ist nur eine These, dass alle wichtigen Veränderungen bei Alzheimer auf das kleine Beta-Amyloid zurückgehen. Aber die meisten Forscher sind davon überzeugt – und Pharmaunternehmen haben Milliarden darauf gewettet. An verschiedenen Stellen versuchen sie, die Entstehung der Plaques zu beeinflussen, um die Krankheit endlich da zu bekämpfen, wo ihre Ursachen liegen. Gegen beide Sekretasen, die molekularen Scheren, die das Beta-Amyloid erzeugen, sind Hemmstoffe in der Entwicklung. Sie sollen bewirken, dass diese Scheren weniger aktiv sind. So würde weniger Beta-Amyloid anfallen, die Plaques könnten sich nicht so schnell bilden, die Krankheit würde möglicherweise sogar vermieden. Einige dieser Hemmstoffe sind bereits in der letzten Phase der klinischen Erprobung. LY450139 heißt die Hoffnung des US-Pharmakonzerns Eli Lilly. Dieses Jahr hat eine Studie mit 1500 Patienten begonnen, um die Wirksamkeit der Substanz zu überprüfen. Sollte sie halten, was sie verspricht, könnte sie schon 2011 unter einem eingängigeren Namen Alzheimer-Patienten das Leben leichter machen.

Auch die US-Pharmafirma Myriad hat einen Sekretase-Hemmer in den Startlöchern: Flurizan. Dieser Wirkstoff, verwandt mit dem Schmerzmittel Ibuprofen, wird in zwei großen Studien getestet. Rund 2400 Patienten nehmen daran teil. Erste Ergebnisse will das Unternehmen noch diesen Monat bekannt geben. Sollten sie positiv sein, könnte Flurizan 2009 auf den Markt kommen.

Ob Flurizan wirklich die Sekretase hemmt, ist nach neuen Forschungsergebnissen, die diese Woche im Fachblatt „Nature“ (Band 453, S. 925) publiziert werden, unklar. Die Gruppe um den Neurowissenschaftler Thomas Kukar von der Mayo Klinik in Jacksonville, Florida, hat neben anderen Substanzen auch Flurizan untersucht und ist zu einem überraschenden Ergebnis gekommen. Ihre These: Das Medikament hemmt in erster Linie gar nicht die Sekretase. Stattdessen bindet es an das APP und verhindert so, dass es zerkleinert wird und verklebt. „Für die Wirksamkeit haben diese Befunde wenig Relevanz, aber sie zeigen, wie wenig auch jetzt noch über die kommende erste Generation von Alzheimer-Medikamenten bekannt ist“, sagt der Düsseldorfer Weggen. Dies gilt auch für andere neue Behandlungsansätze.

Die Firma Elan hat einen Impfstoff gegen Alzheimer entwickelt. Den Patienten wird ein Antikörper gespritzt, der das Immunsystem gegen die ungewollten Plaques richten soll. Ganz normale Zellen der Immunabwehr räumen dann das Beta-Amyloid weg. Die Tierversuche waren vielversprechend. Auch wenn das Unternehmen die Daten der ersten Versuche am Menschen noch nicht veröffentlicht hat, darf man hoffen. Nun hat eine große Studie des Impfstoffes in den USA und Kanada begonnen, die Klarheit bringen soll. Eine internationale Studie, an der auch Deutschland beteiligt sein soll, will das Unternehmen in den nächsten Wochen auf den Weg bringen. Erste Ergebnisse werden 2010 erwartet.

Sascha Weggen ist vorsichtig optimistisch: „In den nächsten ein bis vier Jahren wird es einen erheblichen Erkenntnisgewinn geben.“ Ob damit auch mehr Lebensqualität für Patienten einhergeht, hängt davon ab, ob die Amyloidhypothese richtig ist. „Wenn das Konzept nicht stimmen sollte, werden auch die Therapien nicht funktionieren“, sagt Weggen - und fügt hinzu: „Die Ergebnisse werden auf jeden Fall zeigen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Ja oder Nein?“ Bei fast 20 Millionen Alzheimer-Patienten weltweit können wir nur hoffen, dass es der richtige Weg ist.

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