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Erinnerung. Eine Seniorin hält im Altenwohnheim Margaretenhöhe in Bergisch Gladbach ein Bild aus ihrer Jugendzeit in der Hand.

© picture alliance / dpa

Alzheimer: Oma ist nicht ansteckend

Laut einer neuen Studie könnte das Risiko einer Übertragbarkeit des Hirnleidens bestehen. Aber Alzheimer ist keine Infektion, stellen Forscher klar.

Ist Alzheimer ansteckend? Eine furchtbare Vermutung, die Urängste weckt. Wer sie hört oder liest, wird vielleicht instinktiv im Kopf das Fragezeichen wegstreichen, aus der Hypothese eine Tatsache machen. Alzheimer ansteckend – auch das noch!

Entsprechend groß war das weltweite Medienecho jener Studie, die die Annahme von übertragbarem geistigen Verfall in die Welt setzte. „Es ist erschreckend, was in der Presse steht“, schimpft der Alzheimerforscher Christian Haass von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. „Und das, obwohl nichts, aber auch gar nichts nachgewiesen ist!“ Für Angehörige und Pflegende von Alzheimer-Patienten bestehe „null Risiko“.

Haass befürchtet eine Massenpanik. „Das geht in die falsche Richtung“, sagt er. „Alzheimer ist keine Infektionskrankheit.“ Der Biochemiker wirft dem Fachblatt „Nature“, in dem die Studie veröffentlicht wurde, vor, mit zweierlei Maß zu messen. Man habe den üblichen hohen Standard gesenkt und eine Untersuchung veröffentlicht, weil sie spektakulär war. Obwohl sie lediglich Verdachtsfälle und keine Beweise präsentierte.

Die Autoren der Studie um den Londoner BSE-Papst John Collinge werden nicht müde zu betonen, dass ihre Ergebnisse vorläufig seien. Noch sei es zu früh, um endgültige Aussagen über ein mögliches Risiko zu treffen – und ob es überhaupt bestehe. Aber dem Verdacht müsse man nachgehen.

Im Mittelpunkt der Untersuchung standen acht Personen, die im Alter von 36 bis 51 an dem Hirnleiden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) verstorben waren. Die Ursache waren mit dem CJK-Erreger verseuchte Wachstumshormon-Präparate, die die kleinwüchsigen Patienten in den Muskel gespritzt bekommen hatten. Das Wachstumshormon wurde aus den Hirnanhangsdrüsen Verstorbener gewonnen. 1985, als das Infektionsrisiko durch das Hirnmaterial klar wurde, beendete man nach 27 Jahren die Injektionen. Von den 30 000 Menschen, die meist als Kinder Wachstumshormon bekommen hatten, starben 226 an CJK, die meisten (119) in Frankreich.

Der Erreger von CJK ist ein infektiöses Eiweiß, Prion genannt. Es dauerte fünf bis 40 Jahre, bis die Krankheit nach den Hormonspritzen ausbrach. Collinge und seine Kollegen sahen sich die Gehirne der acht CJK-Opfer an und fanden hier zusätzlich zu den charakteristischen Zeichen von CJK in vier Fällen Eiweiß-Ablagerungen namens Beta-Amyloid, wie sie für Alzheimer kennzeichnend sind. Und das in einem Alter, in dem solche Veränderungen eine Rarität sind.

Die Wissenschaftler befürchten, dass neben dem CJK-Auslöser auch eine Art Alzheimer-Erreger von den Leichen übertragen wurde. CJK-Prionen sind falsch gefaltete Eiweißmoleküle. Sie „vermehren“ sich, indem sie ähnlichen Eiweißen ihre Form aufprägen. Ähnliches könnte für Beta-Amyloid gelten, ein Alzheimer-typisches falsch gefaltetes Eiweiß-Bruchstück. Einmal im Gehirn „ausgesät“, würde es sich ausbreiten und Eiweißmüll erzeugen.

Die Forscher raten zu überprüfen, ob Übertragungswege für Prionen wie chirurgische Instrumente und Blutprodukte auch für die „Infektion“ durch Beta-Amyloid infrage kommen. Sowohl Prionen als auch Beta-Amyloid widersetzten sich hartnäckig der herkömmlichen Sterilisierung.

Allerdings gibt es neben Haass etliche Fachleute, die vor einer zu weitgehenden Interpretation der Studie warnen. Vor allem: Keiner der acht Verstorbenen war wirklich an Alzheimer erkrankt. „Das ist das stärkste Argument“, sagt der Psychiater Oliver Peters von der Berliner Charité. Außerdem wurde bei den Betroffenen kein Tau-Protein gefunden, nebenBeta-Amyloid das zweite Alzheimer-Merkmal.

Manche Forscher nehmen an, dass das Beta-Amyloid im Gehirn der CJK-Opfer nicht auf Alzheimer hindeutet, sondern ein „Nebenprodukt“ der CJK-Prionen ist. Bislang gebe es keine Hinweise, dass die Spritzen mit menschlichem Wachstumshormon das Alzheimer-Risiko der Betroffenen erhöht hätten. Haass kritisiert, dass die Wissenschaftler ein entscheidendes Experiment bislang versäumten, nämlich Mäuse mit den noch vorhandenen Wachstumshormon-Extrakten zu „infizieren“, um zu sehen, ob sie Alzheimer-Symptome bekommen.

„Es gibt keine Beleg dafür, dass die Alzheimer-Krankheit von einer Person auf die andere übertragbar ist – oder durch verunreinigte chirurgische Instrumente“, fasst der Neurowissenschaftler David Allsop von der Universität Lancaster zusammen. „Diese Ergebnisse sollten mit größter Vorsicht interpretiert werden.“

Unstrittig ist, dass der größte Risikofaktor bei Alzheimer das Alter ist. Mit den Jahren steigt die Gefahr drastisch, zu erkranken. Dagegen wird seit Jahrzehnten darüber debattiert, welche Prozesse am Beginn von Alzheimer stehen. Ist falsch gefaltetes Beta-Amyloid der zentrale Auslöser oder Folge anderer krankhafter Abläufe? Zwar ist es gelungen, unter künstlichen Laborbedingungen das krankhafte Eiweiß von Maus zu Maus zu übertragen. Ähnliche Versuche bei Affen schlugen jedoch fehl. Und so wirft am Ende die neue Studie mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Von der Angst zu schweigen.

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