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Das wissenschaftliche Publizieren hat auch seine an Spam erinnernden Seiten. Doch objektiv ist das Problem derzeit in Deutschland nicht groß.

© Kacper Pempel/Reuters

Angebliche "Fake Science": Ein bisschen Entwarnung

Deutsche Wissenschaftler publizieren eher selten in Raubjournalen. Eine Datenanalyse des Physikers Markus Pössel, der am zur Max-Planck-Gesellschaft gehörenden Haus der Astronomie in Heidelberg arbeitet

Hat die Wissenschaft in Deutschland ein grundlegendes Problem? So hörte es sich in der Berichterstattung von NDR, Süddeutscher Zeitung und weiterer Medien an, die jüngst Recherche-Ergebnisse veröffentlichten. Es ging etwa um durch deftige Gebühren finanzierte, angebliche Fachkonferenzen, die sich als Mini-Veranstaltungen ohne wissenschaftlichen Wert entpuppten. Und um Raubzeitschriften, „Predatory Journals“.

In den Naturwissenschaften werden Fachartikel in der Regel zum „Peer Review“ geschickt, zur Begutachtung durch qualifizierte Fachkollegen. Die Gutachten entscheiden, ob der Artikel veröffentlicht wird. Oft mahnen sie an, welche konkreten Verbesserungen nötig sind, bevor der Artikel erscheinen kann. Eine Reihe der Raubzeitschriften haben diese Qualitätskontrolle offenbar nur vorgespiegelt und in Wirklichkeit gegen Veröffentlichungsgebühr selbst Artikel veröffentlicht, in denen der größte Mist stand.

Schlüsselrolle Deutschlands? Nein.

Als Wissenschaftler, der sich mit Fachdidaktik und der öffentlichen Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse beschäftigt, habe ich die Berichterstattung mit großem Interesse verfolgt. Aber zu einer Reihe von Fragen, die mir sofort in den Sinn kamen, fehlten mir dabei die Antworten. Glücklicherweise sind Online-Fachartikel ja direkt und systematisch abrufbar. Ich habe mir also eine eigene Stichprobe von 17 500 Artikeln heruntergeladen und geschaut, was es mit ihnen auf sich hat. Das Ergebnis ist freilich keine wissenschaftliche Studie, sondern nur mein Versuch, besser zu verstehen, worum es beim Raubzeitschriften-Problem eigentlich geht.

Markus Pössel
Markus Pössel

© : C. Liefke/HdA

Nimmt Deutschland bei diesem „zwielichtigen Geschäft eine Schlüsselrolle ein“, wie zu lesen war? Meine Stichprobe – und Fachartikel zum Thema – sagen: Nein. Das Hauptproblem liegt in China, Indien, den USA, Japan. 45 Prozent der Artikel erschienen unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus diesen Ländern, gegenüber zwei Prozent aus Deutschland.

Privatgelehrte und Pensionäre

Sind alle Fachgebiete gleichermaßen betroffen? In meiner Stichprobe haben bestimmte angewandte Wissenschaften ein deutlich größeres Problem als die Grundlagenforschung. Ich fand überproportional viele Artikel aus Wirtschafts-, Umwelt- und Materialwissenschaften. Und zahlreiche Autoren in meiner Stichprobe gehören zu den Randbereichen der Wissenschaft. Von 47 Artikeln aus dem Bereich Physik beispielsweise stammen 20 von Privatgelehrten ohne Institutszugehörigkeit, von fachfremden und/oder lange pensionierten Autoren. Das muss nicht heißen, dass diese Artikel falsch oder schlecht sind. Aber insgesamt sind sie nicht repräsentativ. Dass beispielsweise ein Arzt die Weltformel der Physik gefunden zu haben meint und sie in einer Raubzeitschrift veröffentlicht, verrät uns nichts über den Zustand der physikalischen Forschung in Deutschland.

Aber auch in echten Forschungsinstituten werden Raubzeitschriften genutzt - zwar recht sporadisch, aber immerhin. Hier besteht Aufklärungsbedarf auch im regulären Wissenschaftsbetrieb. Eine Reihe Kollegen, mit denen ich kürzlich sprach, wussten vor der aktuellen Berichterstattung nicht einmal, dass es so etwas wie Raubjournale überhaupt gibt.

Gegen Unsinn helfen vor allem Kompetenz und Ressourcen

Insgesamt teile ich den Eindruck zahlreicher weiterer Wissenschaftler, dass Raubjournale für wissenschaftlichen Fortschritt – oder dessen Behinderung – und Wissenschaftsalltag keine nennenswerte Rolle spielen. Das ist auch deshalb so, weil auch ordnungsgemäß begutachtete Fachartikel noch kein Lehrbuchwissen darstellen, sondern Diskussionsbeiträge sind. Ihre Aussagen werden von den Forschern, die darauf aufbauen, immer wieder auf die Probe gestellt werden. Was Bestand hat, entscheidet sich erst über die Jahre im wissenschaftlichen Diskurs.

Aber gelangt aus Raubjournalen vielleicht Unsinn in die Öffentlichkeit? Durchaus, aber meist über Medien, die ihrerseits nicht als die seriösesten gelten. Eine freie Gesellschaft muss das aushalten. Und wie bei den Fachblättern sollten wir die seriöse Berichterstattung unterstützen. Denn es gilt für Wissenschaftsjournalisten wie für Forscher: Wo kompetent und kritisch mit wissenschaftlichen Inhalten umgegangen wird, können Raubjournale nicht viel Schaden anrichten.

Markus Pössel

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