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Brüchig. Ein Übermaß an Knochenmasse erhöht die Stabilität nicht etwa, sondern bei Menschen mit "Marmorknochen"-Krankheit steigt das Risiko für Brüche.

© Julia Gresky, DAI

Archäologie und Naturwissenschaften: Zeugen sozialen Umgangs

Knochen mit Spuren seltener Erkrankungen zeigen, wie eine Gesellschaft mit den Betroffenen umging. Daran forschen die Naturwissenschaftler des DAI

Es waren ein paar Knochen, die Julia Gresky auf die Spur setzten – 6600 Jahre alte Stücke des Skeletts eines Menschen, der im heutigen Albanien etwa 25 bis 30 Jahre lang gelebt hatte. Als die Ärztin und Leiterin der Anthropologie im Referat Naturwissenschaften des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin den Fund genauer untersuchte, stellte sie fest, dass die Frau oder der Mann an der Marmorknochenkrankheit gelitten haben muss. Ursache dieser seltenen Erkrankung ist ein Gendefekt, der zu einer verdichteten Knochensubstanz und damit zu einem höheren Bruchrisiko führt. Tatsächlich hatte der Mensch wohl diverse Knochenbrüche während seines Lebens erlitten.

Hier hätte die Geschichte schon zu Ende sein können. Denn schließlich wollen Archäologen und Anthropologen anhand weniger Funde möglichst allgemeingültige Aussagen über das Leben der Menschen in vergangenen Epochen treffen. Eine seltene Krankheit, die nur etwa ein Mal unter 20 000 Menschen vorkommt, erscheint dabei nicht sehr hilfreich. Aber Julia Gresky sieht das völlig anders: „Seltene Erkrankungen sind sehr wohl in der Lage, etwas über die Gesellschaft oder die Menschen damals auszusagen“, sagt die Medizinerin, „denn es geht ja auch um den Umgang mit dem Individuum: Wie sind Leute, die anders aussehen oder krank sind, damals behandelt worden? Hat sich die soziale Gruppe, die Gesellschaft, die jeweilige Kultur unterstützend oder ausschließend verhalten?“

Im Fall des albanischen Individuums deuten die gut verheilten Knochenbrüche und der ansonsten auf gute Ernährung deutende Gesamtzustand der Knochen darauf hin, dass dieser Mensch wohl ein ganz normales Leben in der Gemeinschaft verbracht hat, sagt Gresky. „Womöglich hat er von seiner Krankheit lange Zeit gar nichts gewusst und vielleicht sah man es ihm auch nicht an.“

Menschen mit körperlichen Auffälligkeiten wurden in Ägypten verehrt

Von anderen seltenen Erkrankungen wie dem Kleinwuchs wissen Forscher, dass Menschen mit solchen körperlichen Auffälligkeiten während des Lebens auf besondere Weise behandelt wurden – etwa in Ägypten, wo sie fast verehrt und auch entsprechend bestattet wurden. „Wir kennen Fälle, bei denen jemand gehbehindert war und trotzdem ein gewisses Alter erreicht hat, weil ihn die Leute – obwohl wissend, dass er nie wieder gehen kann – verpflegt und gepflegt haben“, sagt Gresky. Angesichts der oft knappen Ressourcen sei das „ein angenehmes soziales Verhalten.“ Aber natürlich gebe es auch andere Beispiele und Hinweise darauf, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen oder anderen Gebrechen in anderen Gesellschaftszusammenhängen weniger gut gestellt wurden.

Doch um allgemeinere Aussagen treffen zu können, dafür sind bislang viel zu wenig Fälle bekannt. Und systematisch erfasst sind Funde mit Hinweisen auf seltene Erkrankungen bislang schon gar nicht. Gresky will das ändern. „Geplant ist, mit Kollegen aus aller Welt zusammenzuarbeiten, die in ihren Sammlungen solche Fälle haben, und eine gemeinsame Datenbank aufzubauen.“ Das Budget für ein solches Projekt will die DAI-Expertin alsbald über Forschungsförderungsprogramme einwerben.

Workshop zu seltenen Krankheiten am 29. Februar

Das Interesse an einem solchen Projekt ist da. Zum ersten Workshop über seltene Krankheiten im Altertum, den Gresky und ihre Mitarbeiter Emmanuele Petiti und Juliane Dorn Ende Februar – um den 29. Februar, den seltensten Tag des Jahres – in Berlin veranstaltete, kamen bereits Kollegen aus ganz Europa und Amerika und diskutierten: Waren manche Krankheiten, die heute selten sind, damals womöglich häufiger? Gab es sie in manchen Regionen, in anderen nicht? Und welche Methoden eignen sich, um an Knochenresten Anzeichen bestimmter seltener Erkrankungen zu erkennen? Bislang sind die Paläopathologen dabei weitgehend auf morphologische und mikroskopische Untersuchungen der Knochen angewiesen, um Anzeichen einer Erkrankung zu entdecken. Molekularbiologische Methoden, bei denen etwa DNA-Reste im Knochen auf krankheitsverursachende Gendefekte untersucht werden, sind noch zu aufwendig und teuer.

Aus dem Workshop haben sich indes schon die ersten Kooperationen ergeben. So besuchten Gresky und Petiti Kollegen in Italien und Kopenhagen, in deren Sammlungen sie weitere Fälle von Marmorknochenkrankheit vermuteten. Auch mit Arbeitsgruppen in Ungarn und Portugal, die andere Fälle von seltenen Erkrankungen entdeckt haben, bestehen seitdem Kontakte.

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