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Antike Sphinx. Diese Löwenfigur, die Sphinx von Hattuscha, erhielt die Türkei 2011 zurück. Hier ist sie noch im Berliner Pergamonmuseum zu sehen, wo sie zuvor stand.

© dapd

Archäologie: Wem gehören die alten Kunstschätze?

Mamor, Stein, Gold: Warum sich die türkische Regierung in Restitutionsfragen zunehmend unnachgiebig zeigt

Das letzte Jahr war ein gutes für jene Türken, die eine möglichst umfassende Rückkehr antiker Kunstwerke in ihr Land wünschen – und das sind viele. Im Frühjahr 2011 vereinbarten nach einigem Gezerre deutsche und türkische Experten, die über dreitausend Jahre alte Sphinx von Hattuscha, die sich seit 1934 im Pergamonmuseum befand, an die Türkei zu übergeben, als Zeichen der „deutsch-türkischen Freundschaft“, wie es hieß. Wenige Wochen darauf konnte Premierminister Recep Tayyip Erdogan seiner Lust frönen, sich als Macher, als Anpacker zu inszenieren. Nachdem Mitarbeiter des Museum of Fine Arts in Boston sich mit türkischen Kulturbeamten über die Rückgabe der oberen Hälfte einer römischen Marmorstatue geeinigt hatten, nahm Erdogan, der zu dieser Zeit auf Staatsbesuch in den USA weilte, diese in seinem Flugzeug mit und schaffte die Figur somit gleichsam unter seinem persönlichen Schutz in die Heimat.

Während die Rechtslage bei der Berliner Sphinx zumindest umstritten war, galt bei der Bostoner Figur die Herkunft durch dunkle Kanäle als gesichert. Das Museum hatte die Statue vom Oberkörper eines „müden Herakles“, die den nach seinen Taten erschöpft auf seine Keule gestützt ruhenden Halbgott darstellt, 1981 von einem deutschen Antikenhändler erworben. Rund zehn Jahre darauf war klar, dass es sich um die obere Hälfte einer in Antalya ausgestellten Figur handelte. Drei Jahrzehnte nach ihrem Erwerb gaben die Bostoner Museumsmacher das Stück als „Geste des guten Willens“ an die Türkei zurück, die sich ihrerseits vertraglich verpflichtete, die etwas bedenklichen Umstände des damaligen Ankaufs nicht weiter zu thematisieren.

Mehr noch als der Premier frohlockte sein Minister für Kultur und Tourismus, Ertugrul Günay, der sich seit seinem Amtsantritt 2007 in Restitutionsfragen auffallend engagiert zeigt. „Alleine in den letzten drei bis vier Jahren konnten wir mehr als 3000 Objekte zurückholen“, sagt Günay. Hatte man im Westen möglicherweise angenommen, Rückgaben wie jene aus Berlin und Boston würden die türkischen Begehrlichkeiten wenigstens eine Zeit lang beruhigen, scheint das Gegenteil einzutreten.

Günay gibt sich denn auch entschlossen: „Wir folgen den Spuren aller Kunstwerke, die uns illegal genommen wurden – ganz gleich in welchem Museum der Welt, in welchem Land der Welt sie sich heute befinden.“ Diese Strategie verfolgt die Türkei offenbar immer unnachgiebiger. Das mussten zuletzt vor wenigen Wochen mehrere westliche Museen erfahren, welchen die türkische Seite mit dem Hinweis auf umstrittene Stücke in den jeweiligen Sammlungen Leihgaben für Sonderausstellungen verweigerte.

Besonders hart traf es das British Museum, dem Objekte bei gleich zwei Gelegenheiten vorenthalten wurden. Für die Schau „Hajj: journey to the heart of Islam“, die Anfang dieses Jahres lief, hatte das Topkapi-Museum in Istanbul drei Dutzend Ausstellungsstücke zugesagt, die dann doch verweigert wurden. Kürzlich mussten die Briten eine Ausstellung über das rund 3500 Jahre alte Schiffswrack von Uluburun verschieben, da sich die Türkei weigerte das zentrale Objekt, nämlich das 1982 an seiner Küste entdeckte, älteste erhaltene Schiff der Welt samt seiner Ladung zur Verfügung zu stellen. In beiden Fällen verlangte die türkische Seite als Vorbedingung für jegliche Kooperation die Rückgabe der sogenannten Samsat-Stele, einer 1,3 Meter hohen steinernen Reliefplatte aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Die Briten weigerten sich diese herauszugeben, die Türken weigerten sich ihrerseits die erwünschten Objekte zu verleihen.

Auch das Londoner Victoria and Albert Museum, der Louvre in Paris, das J. Paul Getty Museum in Los Angeles und das New Yorker Metropolitan Museum of Art sowie ein halbes Dutzend weitere Sammlungen sind ins Visier von Minister Günay und seiner Beamten geraten. Dem deutschen Auswärtigen Amt etwa liegen derzeit Rückgabeersuchen von türkischer Seite zu drei Objekten der Staatlichen Museen zu Berlin vor. Es handelt sich dabei um einen Kenotaphaufsatz und Fragmente einer Gebetsnische aus dem türkischen Konya im Museum für Islamische Kunst sowie um den in Aphrodisias (Südwesttürkei) entdeckten hellenistischen Torso eines Fischers, der sich in der Berliner Antikensammlung befindet.

In der Wahl ihrer Mittel zeigt sich die Türkei bei der Durchsetzung ihrer Rückgabeforderungen mittlerweile alles andere als zimperlich. Sowohl das Auswärtige Amt als auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der die Staatlichen Museen zu Berlin unterstehen, werden zwar nicht müde, die Restitution der hethitischen Sphinx als einen „freiwilligen“ Akt des guten Willens und der Freundschaft darzustellen. Doch die Ultimaten der türkischen Seite, die der Rückgabe vorangegangen waren, sind nicht vergessen. Minister Günay hatte unverhohlen mit dem Entzug der Grabungsgenehmigung für das Deutsche Archäologische Institut (DAI) gedroht, das seit Jahrzehnten in Hattuscha arbeitet, wo die Statue einst gefunden wurde. Seit 1906 graben deutsche Archäologen in der einstigen Hauptstadt des Hethitischen Reichs. Doch ungeachtet aller Tradition: Grabungsgenehmigungen werden jährlich erteilt – und sie können auch verweigert werden. Das DAI gräbt derzeit an einem halben Dutzend Stätten in der Türkei, fünf weitere Ausgrabungen im Land finden ebenfalls unter deutscher Leitung statt. Dass die türkischen Drohungen des Entzugs der Grabungsgenehmigung durchaus ernst zu nehmen sind, musste das Institut bereits feststellen: 2011 wurde ihm die Lizenz für die römische Stadt Aizanoi entzogen, wo deutsche Archäologen mit Pausen seit 1926 tätig waren, seit 1970 ununterbrochen.

Um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen, halten sich Archäologen, Museumsbetreiber und zuständige Politiker im Westen weitgehend bedeckt. Westliche Medien drehen hingegen bereits an der Empörungsorgel: „Kraftmeierei“ nannte die „FAZ“ das türkische Vorgehen, „Newsweek“ erkannte „archäologische Erpressung“ und der sonst eher bedächtige „Economist“ sah gar einen „Kulturkrieg“ herannahen. Völlig unrecht haben sie alle nicht. Doch greift die einseitige Kritik an den türkischen Behörden zu kurz. In westlichen Museen lagern zehntausende Objekte aus der Türkei. Ein großer Teil davon wurde vor Jahrzehnten erworben – damals ohne lückenlose Dokumentation der Herkunft, wie sie heute gefordert wird. Zwar hatte das Osmanische Reich schon 1884 ein Gesetz erlassen, das die Ausfuhr von Antiken untersagte. Es wurde jedoch über viele Jahre nur sehr lax gehandhabt. Inzwischen vertritt die Regierung den Standpunkt, es handle sich bei jedem Objekt, das ohne konkrete Ausfuhrerlaubnis außer Landes geschafft wurde, aber auch bei jedem antiken Stück aus der Türkei, dessen ordnungsgemäßer Erwerb nicht lückenlos dokumentiert werden kann, um Raubgut. Sicherlich eine umstrittene Auslegung, doch Länder wie Italien oder Griechenland konnten in den letzten Jahren mit ähnlich kompromisslosen Haltungen beachtliche Erfolge im Gerangel um Restitutionen erzielen.

Warum die Türkei sich ausgerechnet jetzt derart intensiv und unbeirrbar für die Durchsetzung ihrer Rückgabeforderungen einsetzt, ist nicht ganz klar. Man will, das scheint klar, Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, wiedergutmachen. Doch zwei andere Überlegungen dürften bestimmender sein. Zum einen will die Regierung in Ankara möglichst viele Objekte für den geplanten riesigen Neubau des Museums Anatolischer Kulturen in der Hauptstadt zusammenbringen, der 2023, zum 100. Jubiläum der Republikgründung eröffnet werden soll. Zum anderen aber – und da haben die westlichen Kritiker durchaus recht – lässt die politisch und wirtschaftlich immer bedeutendere Regionalmacht Türkei ihre Muskeln nun auch in kulturellem Bereich spielen. So bekommen die Rückgabeforderungen eine unerfreuliche nationalistische Dimension.

Immerhin ging Minister Günay noch nicht so weit, den Pergamonaltar offiziell zurückzuverlangen. Griechenland, das freilich momentan andere Sorgen hat, beharrt hingegen schon seit vielen Jahren auf der Erstattung eines der Publikumsmagneten des British Museums. Die als „Elgin Marbels“ bekannten Skulpturen und Reliefs von der Athener Akropolis wurden 1801 von Thomas Bruce, dem siebten Earl of Elgin, illegal nach England verschifft. Über Jahrzehnte ignorierten die Briten jegliche Rückgabeersuchen seitens griechischer Behörden. Inzwischen wird immerhin verhandelt.

Doch es sind nicht Mittelmeerländer allein, die auf Restitution tatsächlich oder vermeintlich geraubten Kulturguts drängen. Deutschland etwa erwartet – wenn auch ohne besonderen Nachdruck – von Russland die Rückgabe des am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Moskau geschafften „Schatz des Priamos“. Diesen Goldschatz hatte einst Heinrich Schliemann im heute türkischen Troja gefunden – und zweifelsfrei illegal außer Landes gebracht.

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