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Astronaut Alexander Gerst: Langer Weg nach oben

Alexander Gerst soll der elfte Deutsche im All werden. Bis es soweit ist, muss er aber noch eine Weile warten.

Wie ein Obelisk ragt die Sojus-Rakete in die Nacht über dem Kosmodrom Baikonur. Die Haltearme sind soeben zurückgeklappt worden, nun schießen Feuer und Dampf unter dem Starttisch hervor, langsam steigt die Sojus nach oben. Fasziniert blickt der Astronaut Alexander Gerst auf den Bildschirm. Das offene Lächeln ist zur abwesenden Fassade geworden, kaum sichtbar nickt er mit dem Kopf. Irgendwann wird er in der Spitze der Rakete hocken!

Aber noch ist es nicht soweit. Noch steht Gerst auf der kleinen Bühne im Foyer des europäischen Astronautenzentrums (EAC) in Köln und soll gemeinsam mit dem niederländischen Raumfahrer André Kuipers die Besucher unterhalten. Die Lautsprecher, die bis vor wenigen Minuten jene Jean-Michel-Jarre-artige Musik spielten, die bei fast jeder Raumfahrtschau läuft, scheppern jetzt gewaltig. Die Tonspur aus Baikonur ist randvoll mit Brüllen und Fauchen. Andächtig verfolgen die Zuschauer, wie der Italiener Paolo Nespoli und zwei weitere Astronauten mit der Sojus in Richtung Internationale Raumstation (ISS) verschwinden.

„Angst habe ich keine, aber Respekt“, sagt Gerst nach dem Start. „Wer Angst hat reagiert unkontrolliert, das kann im Notfall verheerende Folgen haben.“ Offensichtlich hat der 34-Jährige tatsächlich keine Furcht, oder zumindest weniger als andere. Denn die europäische Raumfahrtorganisation Esa hatte ihn und fünf weitere für die Ausbildung zum Astronauten ausgewählt. Im November haben sie ihre Grundausbildung abgeschlossen und wurden offiziell ins europäische Astronautenkorps aufgenommen.

„Ich kann es kaum erwarten, endlich im All zu sein und von dort aus auf die Erde zu blicken“, sagt Gerst. „Viele andere Astronauten haben berichtet, dass das ein unbeschreiblicher Moment sein soll, der einen nachhaltig verändert.“ Doch das wird noch dauern, mindestens bis 2014. Schließlich gibt es insgesamt 14 aktive Raumfahrer in Europa und den Nachwuchsfliegern fehlen noch Spezialausbildungen, etwa für die Arbeit mit dem ISS-Roboterarm oder für das Andocken von Frachtraumschiffen.

Die Wartezeit nimmt Gerst in Kauf. Es ist ja ohnehin ein großes Glück, dass er es überhaupt bis hierher geschafft hat. Aufgewachsen ist er in Baden-Württemberg und wollte, wie viele andere Kinder, auch mal Astronaut werden. Die Chancen waren gering, das wusste er und studierte deshalb Geophysik. „Ich wollte wissen, wie unsere Erde funktioniert, warum es Stürme, Erdbeben und Vulkanismus gibt“, sagt er. Vor allem die feuerspeienden Berge haben ihn fasziniert. Forschungsexpeditionen führten ihn nach Neuseeland und in die Antarktis. Als die Esa 2008 wieder Kandidaten suchte, schickte Gerst seine Unterlagen hin. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, war sehr gering. Aber für mich steht fest: Wenn man einen Traum hat, sollte man ihm mindestens einmal eine Chance geben.“

Die Auswahlkriterien sind sehr verschieden. „Wir setzen hier keinen Kandidaten auf den Drehstuhl und schauen, ob er das verträgt“, räumt Jules Grandsire vom EAC mit einer überkommenen Vorstellung von Eignungstests auf. „Wir prüfen beispielsweise Grundfunktionen wie Hand-Auge-Koordination oder Erinnerungsvermögen.“ Zudem gab es psychologische Tests, um herauszufinden, wie die Kandidaten mit Stress umgehen, wie sie sich in eine Gruppe einfügen. Auch wenn es offiziell abgestritten wird, dürfte nicht zuletzt die Höhe der Esa-Beitragszahlungen der einzelnen Länder die Chancen „ihrer“ Kandidaten beeinflussen.

Gerst hat es geschafft, das Training konnte beginnen. Einen Crashkurs in Raumfahrttechnik gab es, psychologische Trainings für bessere Kommunikation und weniger Hektik, Survivalkurse in Sizilien und Russland. Wie baut man aus dem Landefallschirm der Sojuskapsel ein Zelt, wenn die Rückreise an einem unvorhergesehenen Ort endet? Wie fängt man ein Tier? Was ist zu tun, wenn die Kapsel auf dem Wasser landet?

Etwa die Hälfte der Zeit verbrachten die angehenden Raumfahrer im Trainingszentrum in Köln. In einer großen Halle stehen dort gleich zwei Nachbauten des europäischen Forschungsmoduls „Columbus“, wie es seit fast drei Jahren um die Erde fliegt. Dort üben Astronauten, die Experimentierschränke zu bedienen. Nebenan im zehn Meter tiefen Tauchbecken trainieren sie Außeneinsätze. Das Schweben im Wasser ist ein bisschen wie Schwerelosigkeit. Hier ist volle Konzentration gefragt. Der Raumanzug ist so konstruiert, dass man die Werkzeuge am Gürtel nicht sehen kann. Die Astronauten müssen genau wissen, in welcher Schlaufe welches Werkzeug steckt. Ohne Wissen der Auszubildenden wird gern mal eine Zange vertauscht, um zu sehen, wie sie reagieren. „Das war kein Problem, man nimmt das als übliches Spielchen hin“, erinnert sich Gerst. Anders verhielt es sich, als seine Kollegin Samantha Cristoforetti eine Ohnmacht vortäuschte. Alle wussten Bescheid, außer Gerst. „Ich habe bald gemerkt, dass es nur eine Simulation ist, aber trotzdem stand ich ganz schön unter Stress, sie binnen 20 Minuten zurück zur Luftschleuse zu bringen.“ Gerade in diesen Momenten ist Besonnenheit gefragt, müssen alle Sicherheitsleinen und Haken richtig benutzt werden. Jeder Fehler könnte tödliche Folgen haben.

Ist er wirklich bereit, das Risiko eines Raumflugs einzugehen? Das große Geld lässt sich damit jedenfalls nicht verdienen, Astronauten starten mit einem Monatsgehalt um die 5000 Euro. „Mir ist schon klar: Wenn ich mit dem Linienbus zum Büro fahre ist die Wahrscheinlichkeit, dass mir etwas passiert, geringer“, sagt er. Doch im Verhältnis zu anderen Jobs sei der Nutzen der Raumfahrt immens. „Wir machen im All Experimente, die beispielsweise Menschen nach einem Schlaganfall helfen, wenn sie ihr Gehirn neu trainieren müssen. Oder wir untersuchen, wie Brennkammern in Kraftwerken optimiert werden können, um Treibstoff zu sparen und damit den Kohlendioxidausstoß zu senken. Nicht zuletzt geht es darum, neue Welten zu entdecken.“ Für ihn sei entscheidend, ob der Nutzen das Risiko aufwiegt. Das war schon bei der Arbeit an Vulkanen so. „Wenn das Verhältnis für mich akzeptabel erscheint, gehe ich es ein“, sagt Gerst.

Seine Familie, die er ansonsten lieber raushalten will aus dem Rummel um seine Person, habe ihn immer unterstützt: Als er Wissenschaftler werden wollte, als er ferne Erdteile bereisen wollte und auch jetzt, wo er ins Weltall fliegen will. „Ich habe früh gespürt, dass ich das Vertrauen, das mir entgegen gebracht wird, nicht enttäuschen will“, sagt er.

Auch das wird ein Grund dafür sein, warum er sich bei der Esa so ins Zeug legt. Alle Standardfragen nach dem Sinn der teuren bemannten Raumfahrt oder Missionen zu fernen Planeten beantwortet Gerst gewandt und mit Begeisterung für die Sache. Während der Ausbildung hatten die neuen Astronauten zwar ein Medientraining erhalten. In dieser Hinsicht seien sie aber von Anfang an sehr gut gewesen, hatte Grandsire erwähnt.

Etwas weniger routiniert, dafür persönlicher wirkt Gerst, als es um die Isolation geht, die auf einer langen Reise herrschen wird. „Am meisten werde ich Grün vermissen, Pflanzen – und meine Freunde“, sagt er. So sei es jedenfalls in der Antarktis gewesen. Zweimal hatte er mit einer Expedition für je sechs Wochen auf dem Vulkan Mount Erebus kampiert und Messgeräte betreut. Nur Dosenfutter und ein enges Zelt. „Als ich dann zur amerikanischen McMurdo-Station zurückkam, bin ich in den kleinen Gewächshaus-Container gegangen“, erzählt er. Eine Hängematte gibt es dort, zwischen Alufolie, UV-Lampen und ein paar Pflanzen. „Ich habe mir ein Blatt Basilikum genommen und auf die Zunge gelegt – unbeschreiblich!“ Und beim Rückflug nach Neuseeland habe er schon auf der Betonpiste von Christchurch den Wald riechen können. „So ähnlich wird es sein, wenn man aus dem Weltraum zurückkommt“, vermutet Gerst.

Sein Kollege André Kuipers würde ihm wohl recht geben. Er hatte berichtet, dass die Gerüche auf der ISS ziemlich gewöhnungsbedürftig seien. „Es riecht wie im Maschinenraum eines Schiffs, etwas nach Öl.“ Einfach ein Fenster aufzumachen, sei schließlich nicht möglich.

Bis Gerst den Duft der Raumstation einatmen wird, stehen noch einige Übungen für ihn an. Jetzt macht er erst mal den Flugschein, dann geht es zum Außenbordtraining nach Houston, wo ein kompletter Nachbau der ISS in einem riesigen Bassin versenkt wurde. Zudem ist er an einem Forschungsprojekt beteiligt, das extreme Orte auf der Erde finden soll, an denen Landemodule für Mond und Mars getestet werden könnten. Und dann will er noch den Artikel für eine Fachzeitschrift fertigstellen, mit den Ergebnissen seiner Doktorarbeit am Mount Erebus.

Langweilig wird ihm die Wartezeit auf den ersten Raumflug vorerst nicht.

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