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Klare Sicht. Das Observatorium auf dem Wendelstein hat eine Top-Lage. Weil der Fels so steil ist, gibt es kaum Luftturbulenzen, die die Beobachtungen stören. Vorausgesetzt der Himmel ist frei.

© imago/CHROMORANGE

Astronomie auf dem Wendelstein: Gekämmtes Sternenlicht

Mit der Frequenzkamm-Technik wollen Münchener Astronomen besonders kleine, erdähnliche Exoplaneten aufspüren.

In den Tälern des Mangfallgebirges hängt noch Nebel, darüber strahlt ein klarer Herbstmorgen. Für die Astronomen der Universitätssternwarte München (USM) ist es ein besonderer Tag: Ihr Observatorium auf dem Wendelstein soll heute einen Frequenzkamm bekommen. Mit diesem „optischen Lineal“ versehen wird der dortige Spektrograf bald einer der genauesten der Welt sein. Die Forscher wollen damit besonders kleine – und damit potenziell erdähnliche – Exoplaneten aufspüren.

Gegen acht Uhr treffen sich Hanna Kellermann und einige ihrer Kollegen an der Seilbahnstation in Bayrischzell-Osterhofen. Kellermann ist dafür verantwortlich, den Frequenzkamm am Observatorium einzubauen. Mit der Gondel geht es dem 1838 Meter hohen Gipfel entgegen. Der Berg ist steil, das kommt den Astronomen gelegen: „Anders als flaches Land oder sanfter ansteigende Hänge kann sich so eine Felsformation tagsüber nicht aufheizen. Dadurch entstehen auch keine Luftturbulenzen, die aufsteigen und die Beobachtungen stören“, erläutert der USM-Astronom Arno Riffeser. Tests mit Geräten der Europäischen Südsternwarte (Eso) haben gezeigt, dass das „Seeing“, so nennen die Astronomen die Sichtbedingungen, auf dem Wendelstein beinahe so gut ist wie im chilenischen La Silla. „Allerdings ist der Himmel hier seltener wolkenfrei als in Chile“, gibt Riffeser zu.

Auf der Suche nach Dunkler Materie

Die Seilbahnfahrt endet 100 Meter unterhalb des Gipfels. Von dort aus führt ein Aufzug durch den Fels direkt in das Observatoriumsgebäude. Einige Astronomen wählen die Bergsteigervariante bis ganz nach oben. Die Aussicht spricht für sich, doch die Arbeit wartet nicht.

So werden Exoplaneten aufgespürt.
So werden Exoplaneten aufgespürt.

© Tagesspiegel/ESO/Bartel

Das modernste Teleskop auf dem Berg ist das Zwei-Meter-Spiegelteleskop, benannt nach dem Münchener Optiker und Physiker Joseph Fraunhofer. Riffeser und seine Kollegen suchen damit nach Dunkler Materie in der Andromedagalaxie. Ein gewisser Anteil dieser so schwer fassbaren Materie, die rund 85 Prozent der Gesamtmasse des Universums ausmacht und allein über die Schwerkraft mit gewöhnlicher Materie wechselwirkt, könnte aus Relikten der allerersten Generation von Sternen in Galaxien bestehen. Diese sind längst erloschen und fristen ihr Dasein vermutlich als Schwarze Löcher, Neutronensterne oder Weiße Zwerge. „Zieht eines dieser kompakten Objekte vor einem gewöhnlichen Stern vorüber, lenkt es durch seine Schwerkraft dessen Licht um und bündelt es, so dass der Stern kurzfristig bis zu 1000-mal heller aufblitzt, als er sonst leuchtet“, sagt Riffeser. In der Milchstraße ist dieser „Microlensing-Effekt“ schon mehrfach nachgewiesen worden.

Das Sternenlicht wird aufgespalten

Gegen Mittag ist plötzlich das Knattern eines Hubschraubers zu hören: Ein Helikopter nimmt vom Tal her Kurs auf das Observatorium. An einem Seil hängt eine Holzkiste, in der gut verpackt die Frequenzkamm-Optik reist. Kurz vor der Teleskopkuppel kommt der Hubschrauber in der Luft zum Stehen. Mithilfe eines Einweisers setzt der Pilot die Kiste präzise auf einer nur wenige Quadratmeter großen Plattform ab. Kellermann und ihre Kollegen nehmen die wertvolle Fracht in Empfang. Es braucht mehrere Flüge, um alle Komponenten auf den Berg zu schaffen. Nach zwei Stunden ist alles angekommen und im Unterbau des Observatoriums verstaut. Dort befindet sich bereits der Spektrograf, den die Wissenschaftler der USM gebaut haben.

Mit ihm lässt sich das Sternenlicht in seine Farben aufspalten. Anhand der Position der Spektrallinien im Spektrum kann etwa dank des Dopplereffekts die Relativgeschwindigkeit des Sterns gegenüber der Erde bestimmt werden (siehe Grafik). Als Referenzmaßstab dienen üblicherweise die Spektrallinien einer Gasentladungslampe. Doch deren Genauigkeit ist begrenzt, beispielsweise durch Temperatur- und Druckschwankungen.

Ein Hubschrauber bringt die Geräte hinauf zum Observatorium.
Ein Hubschrauber bringt die Geräte hinauf zum Observatorium.

© Riffeser

Ein Frequenzkamm hingegen liefert eine viel genauere und über lange Zeit stabile Referenzquelle. Mit einem speziellen Lasersystem werden künstliche Spektrallinien erzeugt, die wie die Zinken eines Kamms alle denselben Abstand zueinander haben. So lassen sie sich wie ein Lineal an das Sternspektrum anlegen und die Forscher können dieses präzise vermessen. Die Frequenzkamm-Technik wurde maßgeblich vom Münchener Physiker Theodor Hänsch und dem US-Forscher John Hall entwickelt, die dafür 2005 den Nobelpreis für Physik erhielten.

In den nächsten Wochen wird Hanna Kellermann die Lichtführung zwischen Teleskop und Spektrograf herstellen und diesen mit dem Frequenzkamm verbinden. Dabei werden ihr die Kollegen vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik und der Firma Menlo Systems zur Seite stehen, die den Frequenzkamm konzipiert und gebaut haben. „Im Januar wollen wir die ersten Sternspektren aufnehmen können“, sagt die Forscherin.

Das Licht wird ein kleines bisschen dunkler

Dann wollen die Münchener Astronomen nach extrasolaren Planeten suchen – vor allem bei solchen Sternen, bei denen das Weltraumteleskop „Kepler“ bereits jupiterähnliche Gasriesen aufgespürt hat. Denn wo ein Planet ist, sollten noch mehrere sein, so die Annahme der Wissenschaftler. Solche massereichen Exoplaneten, die ihren Stern sehr eng umkreisen, lassen sich relativ einfach finden: Von der Erde aus gesehen verdunkeln sie während der Passage in regelmäßigen Abständen ihren Mutterstern. Sehr viel kleinere Planeten, die den Stern zudem in größerer Entfernung umlaufen, können Kepler jedoch rasch entgehen. „Es kann sein, dass die kleinen Begleiter ihren Stern so wenig verdunkeln, wenn sie vor diesem vorüberziehen, dass selbst das Weltraumteleskop sie übersieht“, sagt Riffeser. „Oder ihre Umlaufdauer ist so lang, dass ein Transit gar nicht erst in die Beobachtungszeit des Satelliten fallen konnte.“

Diese kleinen Planeten sollten sich anderweitig bemerkbar machen. Aufgrund ihrer Masse lassen sie den Stern ein wenig hin- und hertaumeln. Verläuft diese Bewegung auch nur teilweise in Richtung des Beobachters, verschieben sich die Spektrallinien im Sternspektrum abwechselnd ins Rote und ins Blaue. Auf diese Weise wurde kürzlich mit dem Eso-Teleskop im chilenischen La Silla der Exoplanet „Proxima b“ bei unserem Nachbarstern Proxima Centauri entdeckt.

In dieser Röhre - völlig abgedunkelt und luftleer - wird das Licht ferner Sterne analysiert.
In dieser Röhre - völlig abgedunkelt und luftleer - wird das Licht ferner Sterne analysiert.

© Riffeser

Die Geschwindigkeit der Taumelbewegung von Proxima Centauri entspricht ungefähr der eines Spaziergängers. Das ist gerade an der Grenze dessen, was herkömmliche Spektrografen messen können. Für ein System wie Sonne und Erde fiele dieses Wackeln schwächer aus, da hier der Stern massereicher ist und der Planet weiter von ihm entfernt.

Die USM-Forscher hoffen, mit dem Frequenzkamm viele masseärmere und damit erdähnliche Exoplaneten zu finden. Doch sie sind nicht als einzige auf Exoplanetenjagd. Weltweit suchen Astronomen mit ihren Teleskopen nach erdähnlichen Himmelskörpern. Dank ihres Standorts auf der Nordhalbkugel können sie aber ein anderes Himmelsareal absuchen als etwa ihre Kollegen bei der Eso, die bereits einen baugleichen Frequenzkamm testen.

Mehr Beobachtungszeit erhöht die Chance, etwas zu finden

Neben der neuen Technik, die nach und nach auch bei anderen Observatorien Einzug hält, haben die Astronomen der USM aber noch einen Vorteil: Sie müssen die verfügbare Beobachtungszeit nicht, wie bei den meisten Teleskopen üblich, mit anderen Interessenten teilen. Sie können einen Stern über einen längeren Zeitraum beobachten und so auch Planeten mit langen Umlaufbahnen wie einem Jahr oder länger finden.

„Das wird jedoch eine rein statistische Suche“, sagt Riffeser. „Anhand solcher Messungen können wir sagen, ob und wie viele weitere Planeten um diese Sterne kreisen.“ Langfristig wollen die Forscher die Planetenorbits so genau bestimmen, dass sie die Transits vorhersagen können – also den Moment, in dem sich der Planet zwischen seinen Mutterstern und die Erde schiebt. „Dann kann man mit großen Teleskopen der nächsten Generation wie dem European Extremely Large Telescope zum richtigen Zeitpunkt hinschauen“, blickt Riffeser in die Zukunft. „Diese werden erkennen können, ob ein solcher Planet von einer Atmosphäre umgeben ist und wie sich diese zusammensetzt.“ Und das wiederum gibt Hinweise darauf, ob der ferne Himmelskörper möglicherweise Voraussetzungen für Leben bietet.

Felicitas Mokler

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