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Ruinen eines Mythos. Im 19. Jahrhundert schon hatte Heinrich Schliemann mit der Suche nach der Stadt aus Homers „Ilias“ begonnen. Nach der Meinung heutiger Forscher haben bereits in der Bronzezeit mehrere tausend Menschen an dem Ort gelebt. 

© dpa

Auf den Spuren von Homer: Deutsche Archäologen verlassen Troja

Nach jahrzehntelangen Grabungen verlassen deutsche Archäologen Troja, die sagenumworbene Stadt aus der Ilias von Homer. Das Geld fehlt - und es gibt Reibereien mit der Türkei. Die setzt vor Ort lieber auf Tourismus.

Fast unbemerkt, still und leise endet dieses Jahr eine Ära der deutschen Altertumskunde. Die Archäologen der Eberhard-Karls-Universität Tübingen verlassen Troja, einen der bedeutendsten Erinnerungsorte der archäologischen Feldforschung. Heinrich Schliemann hatte in den 1870er Jahren als Erster in Troja gegraben, über Jahrzehnte bemühten sich hier deutsche Archäologen immer wieder, den Mythen Homers ein wissenschaftliches Fundament zu verleihen. Seit 1988 schließlich gruben und forschten die Tübinger nach den Ruinen der sagenumwobenen Stadt. Sieben Jahre lang war Ernst Pernicka der Leiter dieser Ausgrabungen. Doch für das Jahr 2013 hat Pernicka erstmals keinen Antrag auf eine Grabungslizenz gestellt.

„Wir haben einfach kein Geld mehr“, sagt der Tübinger Archäometallurg. Die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft lief aus, weitere Anträge wurden nicht entgegengenommen. Restmittel der deutschen Troja-Stiftung ermöglichten zwar noch die Kampagne im vergangenen Jahr, nun aber ist das Budget der Archäologen definitiv aufgebraucht. Doch das allein führte noch nicht zum Aus in Troja. Die Arbeitsbedingungen in der Türkei seien mit den Jahren nicht einfacher geworden, sagt Pernicka. Ein Grund dafür: Die türkische Antikenverwaltung möchte die zahlreichen Stätten im Land hauptsächlich touristisch nutzen. „Das verträgt sich jedoch meist nicht mit der Forschung vor Ort“, klagt Pernicka. Zudem verschlinge die fremdenverkehrsgerechte Präsentation und Rekonstruktion antiker und prähistorischer Bauwerke ungeheure Mittel.

Der Ende Januar neu ins Amt berufene Minister für Kultur und Tourismus, Ömer Çelik, sähe es wohl wie seine Vorgänger am liebsten, wenn Troja ein derart imposanter Fremdenverkehrsort würde wie das rund 250 Kilometer Luftlinie weiter südlich gelegene Ephesos, wo seit 1895 Forscher des Österreichischen Archäologischen Instituts arbeiten. Die antike Stadt verzeichnet jährlich rund zwei Millionen Besucher aus aller Welt. Damit ist sie nach Istanbul der zweitgrößte Touristenmagnet in der Türkei. Allerdings erwartet die Reisenden mit Ephesos eine Metropole des Römischen Reichs, in Troja hingegen geht es den Forschern hauptsächlich um jene bronzezeitliche Stadt – Troja VI und VII –, in der sie die Stadt aus Homers Ilias erkannt zu haben glauben. „Um zu den bronzezeitlichen Schichten zu gelangen, mussten wir uns durch die griechischen und römischen durchgraben, die uns nur am Rande interessieren“, sagt Pernicka.

Auch wenn die deutschen Forscher nun nicht mehr die Ausgrabungen leiten, bleibt eine Verbindung zu Tübingen bestehen. Die Nachfolge Pernickas wird höchstwahrscheinlich der türkische Vor- und Frühgeschichtler Rüstem Aslan antreten, der 2006 in Tübingen promoviert wurde und zudem seit Jahren an den Arbeiten in Troja beteiligt ist. Auch in seinem projektierten Team von bis zu 100 Mitarbeitern aus acht Ländern werden voraussichtlich einige Tübinger Platz finden.

Noch aber hat Aslan die Grabungslizenz nicht in der Tasche. Doch aus dem Kulturministerium kommen positive Signale, nachdem der Archäologe von der Universität Çanakkale seine Eingabe den Wünschen des türkischen Antikendiensts angepasst hatte. Demnach will Aslan in Zukunft der Präsentation und Rekonstruktion der antiken Fundstücke in Troja mehr Aufmerksamkeit widmen – und die Arbeiten „beschleunigt fortsetzen“.

Beschleunigung scheint gefragt zu sein im Troja des Jahres 2013. So verwies auch der Rektor der Universität Çanakkale, Sedat Laçiner, auf die vermeintlich mangelnde Effizienz der deutschen Archäologen: „Seit 150 Jahren graben Ausländer in Troja. Was zutage gefördert wurde, steht in keinem Verhältnis zu der Dauer der Arbeiten.“

Ernst Pernicka will sich zu diesem Vorwurf nicht äußern. Die von türkischer Seite wenig gewürdigten Forschungsergebnisse, die er und sein Vorgänger Manfred Korfmann in minutiöser Kleinarbeit zusammengetragen haben, wollen Pernicka und sein Team in sechs Bänden veröffentlichen. Drei werden den vorgeschichtlichen Ort behandeln, drei den griechisch-römischen. Die jeweils ersten Bände sollen noch im Laufe dieses Jahres erscheinen.

Der 2005 verstorbene Korfmann stand auch im Mittelpunkt eines von etlichen Althistorikern kurz nach der Jahrtausendwende erbittert geführten Streits um Troja. Dabei ging es um die Frage nach der tatsächlichen Größe und Macht der bronzezeitlichen Stadt. Vor allem der ebenfalls in Tübingen lehrende Althistoriker Frank Kolb warf Korfmann vor, unredlich zu arbeiten und die Bedeutung Trojas aufzubauschen.

Pernicka ist sich indes sicher, die Thesen seines Vorgängers zu Troja beweisen zu können: „Die Unterstadt, die außerhalb der eigentlichen Burgmauern lag, hatte schon vor rund 3300 Jahren in der Bronzezeit einige tausend Einwohner.“ Darauf lasse ihre Ausdehnung schließen, womit auch ein eindeutiger Hinweis vorliege, dass die Stadt damals ein regionales Zentrum war.

Allerdings gelang es den Forschern bisher nicht, den Nekropole genannten Friedhof der Stadt zu finden. Dieser wäre aber ein wichtiger Beweis für die tatsächliche Bevölkerungsdichte vor über drei Jahrtausenden. Schließlich werden, wo viele Menschen leben, auch viele bestattet. Der designierte neue Ausgrabungsleiter Rüstem Aslan dürfte bestrebt sein, die Suche zu beschleunigen.

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