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Die Narbe unter den Rippen: Thomas war ein kritischer Geist. Dass ein am Kreuz Gestorbener auferstehen kann, wollte er nicht glauben.

© Abbildung: Museo del Prado/Matthias Stomer

Auferstehung und Wissenschaft: Hatte Jesus eine Narkose?

War das Grab Jesu leer, weil er die Kreuzigung überlebt hat? Ein Historiker führt medizinische Argumente an, weshalb das so gewesen sein könnte.

Ärzte sollten nüchterne Diagnosen stellen. Ohne Ansehen der Person. Aber möglichst, nachdem sie sich die Person auch wirklich selber angesehen haben. Dass der Innsbrucker Internist Maximilian Ledochowski und sein Kollege, der Biochemiker Dietmar Fuchs, sich ausgerechnet an eine historische Ferndiagnose für den gekreuzigten Jesus wagen, ist dann schon ein starkes Stück. Die beiden meinen, Jesus von Nazareth sei nicht gestorben, sondern in eine CO2-Narkose gefallen. Nur vermeintlich tot sei er vom Kreuz abgenommen worden.

Vor dem Tod bewahrte den leblos Wirkenden ihrer Ansicht nach ausgerechnet der Lanzenstich, mit dem ein römischer Soldat auf Nummer sicher hatte gehen wollen. "Unwissentlich" habe er damit "die ideale Therapie eingeleitet", indem er die Lunge des Gekreuzigten entlastete. "Die Auferstehung wäre dementsprechend ein Erwachen aus tiefer Bewusstlosigkeit gewesen."

Ein neues Buch greift die These auf

Diese Hypothese stellten die beiden Österreicher schon im April 2014 in der Fachzeitschrift "Biologie in unserer Zeit" auf. Damals fand sie weder in medizinischen noch in theologischen Fachkreisen wirklich Beachtung, und schon gar nicht in einer größeren Öffentlichkeit. Nun könnte sich das ändern. Denn der Historiker Johannes Fried, emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Frankfurt am Main und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, hat im C.H. Beck Verlag das Buch "Kein Tod auf Golgatha – Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus" veröffentlicht. Es baut auf der These vom rettenden Lanzenstich auf, von der der Historiker mehr zufällig hörte – und die ihn nachhaltig beeindruckt hat.

Was der Mittelalter-Experte jetzt vorgelegt hat, bezeichnet er selbst bescheiden als ein "Schriftchen". Doch es dürfte für Wirbel sorgen. "Es ist ohne Zweifel Glatteis, auf das ich mich mit dieser Frage begebe", gesteht er ein, "denn kaum ein Thema ist in der Christenheit häufiger, ausgiebiger und eindringlicher erörtert worden als das Leben Jesu, als Christi Kreuzigung und sein Tod."

Dass dieser Tod erst Jahrzehnte nach der Kreuzigung und weit von Jerusalem entfernt eingetreten sein könnte, wurde schon im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder behauptet. Erich von Däniken gehörte zu den Vertretern dieser These, und auch Holger Kersten mit seinem esoterisch angehauchten Roman "Jesus lebte in Indien". "Zweifel an Jesu leiblicher Auferstehung hatten schon viele", resümiert Fried. Und gesteht: "Als geborener Christ kann man Fragen danach nur mit stärksten Skrupeln aufwerfen und nur mit größter Scheu erörtern."

Hatte Jesus eine CO2-Narkose?

Sehr nüchtern und ohne erkennbare Skrupel rekonstruieren dagegen der Mediziner und der Biochemiker in ihrem Fachartikel, auf dem Frieds Buch basiert, den möglichen Ablauf am Karfreitag in Jerusalem. Sie sehen die Vorgänge rund um die Kreuzigung von Jesus als Sonderfall: Durch die brutale Geißelung könnte sich Jesus Rippenbrüche und eine Verletzung des Rippenfells zugezogen haben. Aufgrund dieser Verletzungen hätte sich dann Wundwasser gebildet und zusammen mit Blut aus verletzten Gefäßen in den Bereich des Brustfells ergossen, das beide Lungen umhüllt.

Das Brustfell – im Fachdeutsch Pleura – besteht aus zwei Blättern, die durch einen hauchdünnen Flüssigkeitsfilm voneinander getrennt sind, was die Beweglichkeit der Lunge beim Ein- und Ausatmen ermöglicht. Kommt es in diesem schmalen Spalt zur vermehrten Flüssigkeitsansammlung, spricht man von einem Pleuraerguss. Je ausgeprägter er ist, desto stärker ist die Entfaltung der Lunge behindert und der Gasaustausch eingeschränkt. Ist neben Wasser auch Blut im Spiel, was besonders nach Unfällen vorkommt, liegt ein "hämorrhagischer Pleuraerguss" vor. Oft drücken dann mehrere Liter Flüssigkeit einen oder beide Lungenflügel zusammen. Atemnot ist die Folge. Für einen solchen Ablauf spreche im Fall Jesu, dass der noch recht junge, kräftige Mann laut Bibel nicht in der Lage gewesen sei, den rund 50 Kilogramm schweren Kreuzesbalken zur Richtstätte zu tragen.

Aufgrund des Pleuraergusses sei es dann wahrscheinlich schnell zu einem Sauerstoffmangel und einem starken Anstieg von CO2 im Blut gekommen. Eine solche "Hyperkapnie" kann zu einer CO2-Narkose führen. Durch die Umverteilung von beträchtlichen Mengen Flüssigkeit innerhalb des Körpers sei schließlich auch der Durst zu erklären, über den Jesus klagte. Die Essigsäure habe möglicherweise die Übersäuerung, die durch die verminderte Atmung schon eingetreten sei, noch verstärkt, und damit auch den Atemantrieb. Deshalb habe Jesus wahrscheinlich auch während der Bewusstlosigkeit flach und kaum wahrnehmbar weitergeatmet. "Ob das zutrifft oder nicht, ist natürlich Spekulation", heißt es in der Veröffentlichung.

Der Lanzenstich als rettende Therapie

Und wenn sie schon dabei sind, spekulieren die Autoren gleich weiter: Da Jesus auf seine Umgebung tot wirkte, habe man es nicht für nötig gehalten, ihm die Beine zu brechen. Mit dieser Maßnahme sei üblicherweise der qualvolle Sterbeprozess der Gekreuzigten beschleunigt worden, weil den Muskelgruppen, die die Atmung unterstützen, dann jedes Widerlager fehle. Stattdessen wollten sich die Bewacher bei Jesus mit einem Lanzenstich in die rechte Seite vergewissern, dass er tot war. Dass Blut und Wasser aus der Wunde floss, bestätigte dies aus ihrer Sicht. "Für einen Mediziner aus unserer Zeit ist damit aber lediglich klar, dass Jesus Christus einen hämorrhagischen Pleuraerguss gehabt haben muss."

So gesehen, könnte die Verletzung mit der Lanze die rettende Therapie gewesen sein: zwar recht brachial, doch wirksam wie eine Kanüle. Da die Flüssigkeit wie bei einer modernen Punktion abgelassen wurde, konnte die Lunge sich wieder entfalten, die Atmung kam in Gang. Es dauere danach erfahrungsgemäß aber einige Zeit, bis das Gehirn von den erhöhten CO2-Mengen befreit sei und der Patient das Bewusstsein wiedererlange, betonen Ledochowski und Fuchs. Die Angehörigen hätten also Zeit gehabt, bei den Autoritäten wegen des bevorstehenden Sabbats die vorzeitige Abnahme des Leichnams vom Kreuze zu beantragen. Ob sie schon da bemerkt haben könnten, dass Jesus noch lebte, lassen die Autoren dahingestellt.

Den Rest der Geschichte präsentieren Ledochowski und Fuchs ohne Konjunktiv: "Fest steht, dass Christus vorzeitig vom Kreuz abgenommen wurde und damit eine weitere Ausnahme zur üblichen Kreuzigungsprozedur erfolgte, was sein Überleben begünstigt haben kann." Joseph von Arimathäa und Nikodemus hätten den Leib Jesu nach der Abnahme vom Kreuz dann zudem mit Aloe und Myrrhe behandelt. Das seien Substanzen, "welche starke pharmakologische Wirkungen auf die Gefäße und die Blutstillung ausübten". Die kühle Grabkammer sei "eine optimale Umgebung gewesen, um einen Genesungsprozess zu beschleunigen".

Kritiker nennen Frieds Thesen spekulativ

Das Innsbrucker Autorenteam stützt sich für seine medizinische Rekonstruktion auf die Darstellung der Karfreitags-Ereignisse im Johannes-Evangelium. "Johannes' physiologische Hinweise bieten einzigartige, von keiner biblischen Überlieferung vorgeformte und deshalb eminent aussagekräftige Details", argumentiert auch der Historiker Fried, der dieser Darstellung in allen Details folgt. Der katholische Theologe und Neutestamentler Thomas Söding von der Universität Bochum dagegen kritisiert im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur, Fried stütze sich selektiv auf diese eine Quelle, um eine "spekulative Indizienkette" herzustellen.

Tatsächlich enthält nur das Johannes-Evangelium den Bericht von der Lanze. Der überwältigende Teil der theologischen Forschung gehe jedoch davon aus, dass die Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus deutlich bessere historische Quellen seien, betont Söding. Letztlich ließen sich Frieds Spekulationen nicht beweisen oder widerlegen. "Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse, keine Protokolle historischer Fakten."

Für Fried war die Lektüre des Beitrags aus "Biologie in unserer Zeit" jedenfalls ein Aha-Erlebnis. Er ist sich sicher, dass Jesus "ohne übernatürliche Eingriffe" aus einer Narkose erwacht sein kann. "Er hatte Kreuz und Grab lebend überstanden!" Nachdem er sich einigen Getreuen gezeigt habe, habe er allerdings dringend untertauchen müssen, um nicht der römischen Justiz oder seinen einheimischen Feinden in die Hände zu fallen. "Die Behauptung seiner Himmelfahrt verbarg den Zufluchtsort." Sicher wissen kann all das aber auch der Historiker Fried und die, die das alles plausibel finden, nicht. Ganz ohne Glauben kommt man also auch hier nicht aus.

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