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Arzt und Patient in einem isoliertem Intensivbett-Zimmer.

© dpa / Peter Kneffel

Aufregung über Reinhardt und Gassen: Die Angst der Ärzte vor der Corona-Panik

Mit Aussagen zu Masken und zur Corona-Politik gerieten kurz hintereinander die wichtigsten deutschen Ärzte-Funktionäre ins Kreuzfeuer. Was dahinter steckt.

Nun auch noch die Astronauten: Nachdem der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sich in der vergangenen Woche ins Zentrum eines „Maskenkrieges“ manövrierte, ging nun auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an die Öffentlichkeit, um den Nutzen von Atemschutzmasken in der Corona-Pandemie zu betonen.

Alltagsmasken, teilte das DLR am vergangenen Montag mit, leisteten einen „positiven Beitrag zum Schutz vor Infektionen“ und seien damit eine „wichtige Komponente in der Bekämpfung der Corona-Pandemie“.

Klaus Reinhardt wurde in der Presseerklärung zwar nicht explizit erwähnt, war aber sicher mitgemeint: Schließlich waren es seine Statements in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ gewesen, die ihn vergangene Woche in den Ruf brachten, den Nutzen von Schutzmasken in der Pandemie in Frage zu stellen.

Der DLR-Erklärung waren Tage der heftigsten Kritik an Reinhardt vorangegangen, in der von Beschimpfungen bis Rücktrittsforderungen alles zu hören war. Ähnlich ging es zuvor Andreas Gassen, dem Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): Er warnte vor zwei Wochen vor „Alarmismus“ in der Coronakrise und vermochte kein größeres Problem in fünfstelligen SARS-CoV-2-infektionszahlen zu sehen, ganz im Gegensatz zum Robert Koch-Institut. 

Am Mittwoch trat Gassen dann auch erneut vor die Presse, um unterstützt von den Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit ein Papier vorzustellen, in dem ein genereller Strategiewechsel in der Corona-Politik verlangt wird. So fordern die Autoren unter anderem dazu auf, den Rückgang der Fallzahlen "nicht um jeden Preis" erreichen zu wollen. Kurz darauf beschlossen Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten einen Wellenbrecher-Lockdown ab dem 2. November.

Beide Welten werden noch stärker aufeinanderprallen

Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet die beiden Spitzenfunktionäre der deutschen Ärzteschaft, zwei niedergelassene Ärzte, gerade den Unmut weiter Teile der Politik und der Öffentlichkeit auf sich ziehen? Wohl eher nicht. Vielmehr dürfte sich darin ein anderer Interpretationsrahmen niederschlagen, mit dem große Teile der praktizierenden Ärzteschaft auf die Pandemie schauen.

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Dieser stehen sie zwar genauso ohnmächtig gegenüber wie die Gesundheitspolitik. Nur haben beide Systeme – das ärztliche auf der einen und das politische auf der anderen – entgegengesetzte Mechanismen, mit einer unausweichlichen und vorerst untherapierbaren Krankheit umzugehen.

Die einen versuchen die Angst vor der Gefahr zu reduzieren, indem sie sie einordnen. Die anderen, indem sie den Eindruck vermitteln, etwas dagegen unternehmen zu können. Beide Welten drohen in den kommenden Wochen und Monaten noch weiter auseinanderzudriften. Die Eklats, die Gassen und Reinhardt ausgelöst haben, sind ein Vorgeschmack darauf.

Ungewollt im Maskenkrieg

Es gehe ihm darum, den Menschen „nicht in einer Tour Angst zu machen“, sagte Ärztekammer-Präsident Reinhardt vergangene Woche bei Lanz –  und damit wiederholte er in ungefähr das, was er schon zu Beginn der Krise von sich gegeben hatte. In der Talkshow empfahl Reinhardt sogar, die Empfehlungen für das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken partiell auszuweiten: Risikopatienten sollten statt Alltagsmasken FFP-2-Masken tragen, um besser vor Viren geschützt zu sein.

An dieser Stelle entglitt das Interview für Reinhardt jedoch, als er den Nutzen von Alltagsmasken zum Selbst- wie Fremdschutz anzweifelte – aber auch hier sprach er sich letztlich für das Tragen von Masken aus, und zwar in geschlossenen Räumen. Der Ärztepräsident argumentierte lediglich gegen Ideen, die Maskenpflicht auch auf öffentliche Plätze auszuweiten, wie es etwa in Teilen von München und Berlin inzwischen vorgeschrieben ist.

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Reinhardts Bekräftigung, sich nicht in einen „Maskenkrieg“ hineinziehen zu lassen, war in diesem Moment schon konterkariert. Es folgten, kurz nach der Sendung, Rücktrittsforderungen des SPD-Politikers Karl Lauterbach und am Freitag dann auch ein gemeinsames Statement der Bundes- und der Landesärztekammern und anderer ärztlicher Institutionen, in denen der Nutzen von „korrekt getragenen“ Mund-Nasen-Schutzmasken betont wurde.

Reinhardts Versäumnis

Das Statement, das zuoberst von Reinhardt unterschrieben ist, kann getrost als Disziplinierungsmaßnahme gegen den Kammerpräsidenten gewertet werden. Auch weil der Marburger Bund später explizit betonte, diese Erklärung zu unterstützen.

Jene Klinikärzte-Organisation also, die seit den frühen 70ern mit kurzer Unterbrechung die Spitze der Bundesärztekammer besetzte und im vergangenen Jahr mit der von ihr unterstützten Kandidatin Martina Wenker gegen den Hartmannbund-Chef Reinhardt unterlegen war. Bei Kenntnis der ärztlichen Standespolitik zu glauben, Politik würde im Streit um die Äußerungen des Ärztepräsidenten keine Rolle spielen, wäre weltfremd. 

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer.
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer.

© dpa/Wolfgang Kumm

Unabhängig davon bleibt der Eindruck, dass Klaus Reinhardt in der inzwischen hochpolitischen Frage des Maskentragens jenen zumindest in die Hände spielt, die sich aus ideologischen oder egoistischen Gründen gegen das Tragen von Masken aussprechen und damit der Eindämmung der Pandemie gegenarbeiten – selbst wenn der Ärztepräsident dies ausdrücklich als zu verurteilendes Fehlverhalten ansprach.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), nimmt an einer Pressekonferenz zur Corona-Lage in Deutschland teil.
Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), nimmt an einer Pressekonferenz zur Corona-Lage in Deutschland teil.

© dpa/Tobias Schwarz

Das ist zweifelsohne Reinhardts Versäumnis, der als oberster Ärzte-Vertreter um die Wucht seiner Worte hätten wissen müssen. Trotzdem bleibt eine Erkenntnis aus Reinhardts und eben auch aus Andreas Gassens Wortmeldungen, die im Furor, die ihnen folgten, nun unterzugehen drohen: Dass sich dahinter eine Haltung aus dem Versorgungsalltag der Medizin verbirgt, die von der Politik nicht einfach wegzuschieben ist.

Angst erhöht nicht die Therapietreue

Es ist wenig überraschend, dass die heftigste Kritik an Reinhardt von Karl Lauterbach kam. Der SPD-Politiker hat sich in der Coronakrise als Wortführer einer harten Linie bei der Pandemiebekämpfung etabliert, und meist gingen seine Forderungen über das hinaus, was von der Politik beschlossen wurde. Lauterbach ist Gesundheitsökonom und Epidemiologe, als Arzt hingegen war er nie tätig.

Vor allem aber hat Lauterbach ein geradezu ekstatisches Verhältnis zum Verzicht: Dass er den Konsum von Salz, Fleisch, Zucker und allem anderen, was nach seiner Überzeugung einem langen Leben entgegensteht, ablehnt, ist weithin bekannt. Lauterbach betonte diesen Präventionsgedanken auch in der Coronakrise. Etwa als er im Juli sagte, dass ein normaler Schulunterricht vor 2021, vielleicht auch vor 2022 kaum denkbar sei. 

Aus rein epidemiologischer Sicht sind solche Aussagen absolut nachvollziehbar; ärztlichen Impulsen hingegen widersprechen sie komplett.

Denn im Praxiskontext, den etwa der Hausarzt Reinhardt oder auch der Orthopäde Gassen verinnerlicht haben, ist eine möglichst drastische Formulierung der Diagnose immer das falsche Mittel. Die Therapietreue, einer der wichtigsten Parameter in der Arzt-Patienten-Beziehung, würde dadurch nämlich erheblich leiden: Je hoffnungsloser sich die Lage für Patienten darstellt, desto weniger sind sie bereit, an ihrer eigenen Genesung mitzuarbeiten.

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Und so war es auch in der Coronakrise eine der schwersten Herausforderungen für die Ärzteschaft, ihren Patienten die Angst vor dem Virus zu nehmen, vor allem für niedergelassene Ärzte wie Gassen und Reinhardt: Denn nur so konnten sie dem gefährlichen Trend entgegenwirken, dass immer mehr, vor allem ältere und multimorbide Patienten, aus Angst vor Corona-Infektionen auf ärztliche Behandlungen verzichteten.

Die Ärzteschaft musste hier in eine völlig andere Richtung argumentieren als die Politik, die all ihre Bemühungen – bis heute – darauf konzentriert, die Menschen zu möglichst wenigen Kontakten zu animieren. 

Wenn das Mittel zum Zweck wird

Die Ausweitung der Maskenpflicht und die Durchsetzung von Abstands- wie auch Hygieneregeln waren dabei äußerst effektive Instrumente, die heute auch nicht mehr angezweifelt werden – aber eben auch nicht weiter skalierbar sind. Sprich: Die Schutzwirkung von Atemschutzmasken kann ab einem bestimmten Punkt nicht mehr erhöht werden. Und einiges spricht dafür, dass dieser Punkt auf offenen Plätzen in Großstädten erreicht wird, auf denen nun trotzdem eine Maskenpflicht gilt.

Dies war das Unbehagen, das im Zentrum von Reinhardts missglückten Ausführungen stand und das von vielen in der Ärzteschaft geteilt wird: Dass die Politik nämlich mit der Ausweitung von Schutzmaßnahmen – hier fallen einem neben den Maskenpflichten auch die Ausweitung von Sperrstunden oder Beherbergungsverboten ein – den Eindruck zu vermitteln versucht, den steigenden Infektionszahlen etwas entgegensetzen zu können, damit aber nur noch Handlungsfähigkeit simuliert.

Je ohnmächtiger die Politik der Pandemie gegenübersteht, desto stärker ist der Anreiz, immer drastischere Maßnahmen zu verkünden, die vor allem im politischen Raum Wirkung entfalten.

Auch die möglichst heftige Schilderung der Folgen einer außer Kontrolle geratenen Pandemie, etwa ein Lockdown zu Weihnachten, gehören inzwischen zum Repertoire zwar nicht aller, aber einiger maßgeblicher Politiker. Die Bürger, die von diesen Appellen erreicht werden, sind im schlimmsten Falle jene, die erst mal den Praxen fernbleiben. Diesen Zielkonflikt zwischen politischer und medizinischer Kommunikation einzuhegen, dürfte einer der schwierigsten – und wichtigsten – der kommenden Monate werden.

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