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Schüler sitzen bei einer Abiturklausur an Einzeltischen.

© picture alliance/dpa/Jens Wolf

Aus für das Turboabitur: In Bayern kommt das G9 zurück – mit Überholspur

Bayerns Rückkehr zur längeren Schulzeit auf dem Gymnasium wird länger überdacht als zunächst geplant. Auch für andere Schularten soll es Reformen geben.

Bayern kehrt zum Abitur in der 13. Klasse zurück, will die Abkehr vom „G9“ aber in ein „großes Schulpaket“ einbetten. Das zeichnete sich am Dienstag in München ab. Der Plan von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren schon am heutigen Mittwoch in einer Fraktionssitzung zu beschließen, sei verworfen worden, hieß es. Zuvor müssten Kostenfragen und die Ansprüche auch anderer Schulformen auf Reformen geklärt werden.

Auf die "Überholspur" sollen bis zu 30 Prozent der Abiturienten

Konsens sei aber, dass ab dem Schuljahr 2018/19 die 5. und 6. Klassen „umgestellt“ werden sollen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, am Dienstag dem Tagesspiegel. Besonders begabte Schüler sollten auf einer „Überholspur“ weiterhin die Schulzeit verkürzen können. Dabei werde es nicht um das individuelle Überspringen einzelner Klassen gehen, sondern um ganze Gruppen, die die 10. oder 11. Klasse auslassen und direkt in die Oberstufe einsteigen. Seehofers Zielmarke dafür liege bei 20 bis 30 Prozent eines Jahrgangs.

Die auf acht Jahre verkürzte Schulzeit war in Bayern 2010/11 eingeführt worden. Damit hatte sich das G8 nahezu bundesweit durchgesetzt – begleitet allerdings von Protesten gegen das „Turboabitur“ vor allem in den westdeutschen Flächenländern. Doch trotz der von vielen Eltern und auch von Lehrerverbänden geäußerten Kritik am Zeit- und Leistungsdruck für die Schüler und an verknappten Inhalten, scheiterte 2014 in Bayern ein Volksbegehren für eine Wahlfreiheit zwischen G8 und G9.

Seehofer macht den Streit zur Chefsache, entmachtet den Kultusminister

Niedersachsen kehrte 2015 als erstes Land komplett zu G9 zurück. In Bayern wurde – nach hessischem Vorbild – 2016 die Wahlfreiheit probeweise eingeführt: An 47 Pilotschulen konnten Eltern wählen, ob ihre Kinder ein Jahr länger in der Mittelstufe lernen. Zwei Drittel entschieden sich dafür. Die Landesregierung sah das jetzt als Signal, die einst von Edmund Stoiber eingeführte Verkürzung der Schulzeit landesweit zurückzunehmen.

Ministerpräsident Horst Seehofer erklärte die Gymnasialfrage vor wenigen Wochen zur Chefsache und trieb an Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) vorbei eine schnelle Entscheidung voran. So soll der Gymnasialstreit aus dem Landtagswahlkampf 2018 herausgehalten werden. Für Anfang März beraumte der Landeschef drei Konferenzen an – mit Lehrer-Gewerkschaften und Eltern- und Schülerverbänden, mit Landkreisen und Kommunen und mit den politischen Entscheidern im Landtag. Doch obwohl die Abkehr vom G8 selbst mit der Opposition Konsens ist, gibt es doch eine Reihe von Problemen, die einen schnellen Beschluss unwahrscheinlich machen.

Andere Schularten befürchten, zu kurz zu kommen

So würden allein die 1000 zusätzlich benötigten Stellen für Lehrkräfte am Gymnasium 60 Millionen Euro pro Jahr kosten. Hinzu käme die Finanzierung neuer Klassenräume und Schulgebäude. Landkreise und Kommunen sollen dafür von der Landesregierung 1,3 Milliarden Euro gefordert haben. Das Finanzministerium schätzt die Kosten dem Vernehmen nach auf bis zu 300 Millionen Euro: Der erforderliche Ausbau der Gymnasien gehe mit einem erheblichen Schülerrückgang einher.

Alarmiert sind aber auch Grundschulen, Realschulen und vor allem Mittelschulen, in denen frühere Hauptschulen aufgehen. Sie fürchten, dass die gymnasialen Lehrerstellen zu ihren Lasten gehen. Wird zudem das Gymnasium durch die Verlängerung auf neun Jahre noch attraktiver, droht vor allem den Mittelschulen eine schwächere Nachfrage.

Deshalb plant Ministerpräsident Seehofer offenbar eine größere Schulreform, die allen Schularten zugute kommt. Die Rede ist von Hilfen für Schulen, die Geflüchtete aus den „Übergangsklassen“ in Regelklassen integrieren, und von Qualitätsverbesserungen auch für die vielfach kritisierten Förderschulen. Allgemein sollten die Schulleitungen durch zusätzliche Verwaltungskräfte entlastet werden.

"Mehr Lehrstoff und mehr Vertiefung"

Reformbedarf sieht Heinz-Peter Meidinger vom Philologenverband vor allem an den Gymnasien: „Eine Rückkehr zum alten G9 darf es nicht geben.“ Die Lehrpläne müssten überarbeitet werden – „hin zu mehr Lehrstoff und zu mehr Vertiefung“. Zudem könnten die abgeschafften Leistungskurse in der Oberstufe zurückkehren, zumindest in einem Fach. Gestärkt werden solle auch die Politische Bildung. Die von der Kultusministerkonferenz vorgegebene Zahl von 265 Jahreswochenstunden bis zum Abitur wolle Bayern künftig überschreiten – um bis zu 19 Stunden.

Lehrerverband warnt vor zu großem Reformtempo

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), Simone Fleischmann, warnt davor, „die Schularten gegeneinander auszuspielen“. Das „große Schulpaket“ dürfe keine Ausrede sein, die Rückkehr zum G9 womöglich doch nicht im Hau-Ruck-Verfahren durchzuziehen. Für eine umfassende Reform brauche man mehr Zeit als bis zum Schuljahr 2018/19, um die Lehrkräfte mitzunehmen. Schon für die Gymnasien griffen die jetzigen Pläne zu kurz, für eine „echte pädagogische Reform“ bräuchten sie weit mehr als 1000 zusätzliche Lehrkräfte und Anbauten.

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