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Hoersaal

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Bachelor und Master: Acht Semester für alle

Die Hochschulen sollten sich bundesweit auf einen längeren Bachelor einigen – und so neue Spielräume gewinnen.

Von Niklas Luhmann stammt die Feststellung, dass Superlative und Pathosformeln in Theorien meist Probleme bei der grundsätzlichen Bestimmung von Zielen kaschieren sollen. Diese Beobachtung lässt sich auf die aktuelle Debatte über die Studienreform übertragen. Wenn jetzt im Zeichen des studentischen Bildungsstreiks, der keine Gegner, sondern nur Unterstützer kennt, der Ruf nach mehr Freiheit ertönt, muss definiert werden, was gemeint ist. Individualisierung sollte ein Element der Reform sein, die das dichte Geflecht der Bachelorstudiengänge durchleuchtet und entwirrt. Aber es wäre falsch, jede Option zuzulassen. Was nottut, ist eine konzertierte Aktion der Länder, die auf eine Bündelung von Reformanstrengungen zulaufen sollte. Wenn jede Universität eigene Lösungen realisiert, ist das Chaos vorprogrammiert. Mehr Versäulung, mehr Immobilität wären die Folge – und gerade nicht Zugewinn an Wahlfreiheit und akademischer Beweglichkeit.

Eine aus der jetzigen Misere ableitbare pragmatische Forderung könnte lauten, dass der Bachelor bundesweit auf künftig acht Semester zu verlängern wäre. Das schafft die erwünschten Spielräume für nachhaltigeres Fachstudium, das Kennenlernen anderer disziplinärer Kulturen und den immer wichtiger werdenden Auslandsaufenthalt. Der achtsemestrige Bachelor ermöglicht die Rückkehr zu einer gründlicheren Propädeutik, wie sie Natur- und Sozialwissenschaften in den alten Diplomstudiengängen zu verankern suchten. Er bietet Raum für die Verbindung von Theorie und Praxis, die nicht unter Zeitdruck, sondern nur in intensiver Projekt- und Kursarbeit geleistet werden kann. Geboten ist er auch deshalb, weil künftige Jahrgänge nach nur zwölfjähriger Schulausbildung ihr Studium mit geringeren Grundkenntnissen beginnen; erforderlich könnte dann eine Orientierungsphase werden, für die hinreichender Raum zur Verfügung stehen sollte.

Selbst wer aus der Perspektive der Politik auf Studienzeit und Absolventenzahlen achtet, wird die Vorteile eines achtsemestrigen Bachelor erkennen müssen. Im Rahmen eines fachlich freieren Programms dürften mehr Studierende dazu in der Lage sein, ihren Abschluss innerhalb der Regelzeit zu erreichen, als das im sechssemestrigen Typ der Fall ist. Die Universitäten, die von einer auf quantitative Parameter setzenden Hochschulpolitik abhängig sind, sollten in diesem Sinne argumentieren, um eine qualitativ wirklich überzeugende Reform durchzusetzen. Vor allem müssen Alleingänge vermieden werden; nur auf der Grundlage länderübergreifender synchronisierter Prozesse kann ein Wandel gelingen.

Am Modell des in seinem Ablauf regelhaft vorstrukturierten Studienverlaufs, dem wesentlichen Bologna-Element, wäre im neuen Rahmen durchaus festzuhalten. Es trägt gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften zur Absicherung von Minimalstandards bei, die im alten System oft genug verfehlt wurden, weil die absolute Freiheit der Themenwahl es möglich machte, jenseits der Kernbereiche eines Fachs zu studieren. Wer lange genug im Rahmen der früheren Magisterordnungen geprüft hat, weiß, wovon die Rede ist: Absolventen, die nach 16 Semestern Studium nicht einmal einfachste Formen bibliografischer Recherche und Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens kannten; Literaturwissenschaftler, die ohne Grundbegriffe der Erzähltheorie ins Examen gingen; Historiker, die niemals Ranke, Philosophen, die keinen Platon gelesen hatten, Soziologen, deren Wissen erst bei Texten nach 1970 einsetzte, Politologen ohne Hobbes, Erziehungswissenschaftler ohne Pestalozzi. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren, und sie galten für alle deutschen Universitäten.

Dass umgekehrt die Notwendigkeit, Standards zu schaffen und curriculare Zusammenhänge zu erzeugen, vielfach zu Überplanung, Partiallösungen und Immobilität führte, scheint inzwischen unumstritten. Man muss daher das System an einem seiner grundständigen Prinzipien ändern. Die Bezugsgröße des „Workload“ – der für eine Lehrveranstaltung investierten Vor- und Nachbereitungszeit – ist fragwürdig, weil sie individuelle Lernunterschiede ebenso ignoriert wie unterschiedliche pädagogische Konzeptionen. In diesem Zusammenhang sollte man das verbreitete Vorurteil verabschieden, es sei allein professoraler Fachegoismus gewesen, der die Bachelor-Curricula überfüllte und die Universitäten zu Lehrmaschinen degradierte. Zu bedenken ist, dass die Konstrukteure der neuen Studiengänge durch die Normen des Bologna-Prozesses gezwungen waren, Programme über rein quantitative Bezugsgrößen zu definieren.

Die Rahmenvorgabe von 300 Kreditpunkten mit entsprechendem „Workload“ ließ sich nicht hintergehen. Wer sich ihr entzog, indem er eine zu geringe Zahl an Leistungskontrollen im Curriculum verankerte, riskierte das Scheitern bei der Akkreditierung. Wer Wahlfreiheit an mehreren Punkten zuließ, stieß auf Widerstand schon im Vorfeld der von politischer Seite verlangten Rechtsprüfung. Mit diesen Zwangsmechanismen muss Schluss sein, sonst misslingt die Reform der Reform. Eine Verlängerung der Semesterzahl, wie sie hier vorgeschlagen wird, darf nicht zur Erhöhung der zu erbringenden Kreditpunktzahl führen, weil derart ein Circulus vitiosus entstünde, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Dem achtsemestrigen Bachelor sollte ein zweisemestriger Forschungsmaster folgen. Sein Ziel wäre die Vorbereitung auf die Promotion im Rahmen von Unterrichtsprogrammen, die bereits die selbstständige Projektarbeit unterstützen. Parallel dazu ist ein gleichfalls zweisemestriger Lehramtsmaster vorzusehen, der sich auf Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften zu konzentrieren hätte. Mit einem Schlag ließe sich hier ein schwerwiegendes Problem lösen, das für die aktuelle Lehrerausbildung im neuen modularisierten System typisch ist: Das Dilemma einer zu knapp geschnittenen sechssemestrigen Fachausbildung für angehende Lehrer, das Studierende wie Professoren gleichermaßen beklagen, wäre im achtsemestrigen Bachelor behoben.

Gleichzeitig bieten die zweisemestrigen Lehramtsmaster genügend Raum für eine konzentrierte Beschäftigung mit fachdidaktischen Fragen – jedoch als sinnvolle Ergänzung des disziplinären Wissens, nicht als dessen Ersatz. Dass vom Forschungsmaster wiederum ein gleitender Übergang in die neuen strukturierten Promotionsprogramme möglich wäre, bedeutet einen weiteren Vorteil dieses Modells.

Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner kündigte vor einigen Tagen in einem Interview an, er habe ein Interesse daran, „jedem, der möchte, einen Platz im Master anzubieten“. Ob dieser Wunsch auf der Basis der bisherigen Studienplatzfinanzierung länderübergreifend realisierbar bleibt, steht noch dahin. Womöglich entspannt sich aber die Öffnungsfrage erheblich, nachdem ein regelhaft achtsemestriger Bachelor eingeführt worden ist. Er wäre ein vollwertiger Abschluss, der auch auf dem Arbeitsmarkt rasch Erfolg hätte und nicht zuletzt international jene Akzeptanz zu gewinnen verspricht, die den sechssemestrigen Studiengängen fehlt.

Man darf prognostizieren, dass sich die Bewerberzahlen für die neuen zweisemestrigen Master nach dem Durchlauf eines entsprechend verbesserten – flexibilisierten und verlängerten – Bachelorprogramms auf einem Niveau ansiedeln werden, das die Hochschulen bewältigen können. Eine umfassende Reform auf der Ebene der Bachelorstudiendauer wäre daher ein Ziel, für das sich der Berliner Senat und seine Hochschulen mit Vehemenz einsetzen sollten.

„Diejenigen, die Regelstudienzeiten durchgesetzt haben, haben einen Einsparungseffekt erzielen wollen; sie wollten die Produktivität von Forschung, Lehre und Studium erhöhen. Wir hatten nicht begriffen, dass ein kürzeres Studium, das sich stärker an der Praxis der Berufsfelder orientiert, mehr Betreuung verlangt als der bisherige dreizehnsemestrige Betrieb.“ Das könnten Sätze aus der aktuellen Debatte sein – Einsichten eines Studienreformers nach dem Kontakt mit der akademischen Wirklichkeit. Tatsächlich sind sie 32 Jahre alt; sie stammen von Peter Glotz, einem der klügsten Bildungspolitiker, den diese Republik hatte. Sie zeigen, dass die Probleme von heute so neu nicht sind, wie manche glauben. Auch das sollte ein Ansporn sein, das System zu ändern und nicht nur seine Teilfunktionen.

Der Autor ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Direktor der dortigen Dahlem Research School.

Peter-André Alt

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