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© dpa

Bakterien: Probiotika: Nicht nur gut

Bakterien, die den Darm schützen sollen, können auch gefährlich werden

Nicht alle Bakterien machen krank und müssen mit Antibiotika behandelt werden. „Probiotika“, so werden die „guten“, nützlichen Bakterienstämme genannt, die in immer mehr Lebensmitteln zu finden sind. Seit der russische Mikrobiologe Elie Metchnikoff vom Pariser Institut Pasteur zu Beginn des 20. Jahrhunderts Joghurt als Elixier der Langlebigkeit pries, gelten zum Beispiel Milchsäurebakterien als besonders gesund. Inzwischen werden Laktobazillen, Bifidobakterien und Hefepilze auch in konzentrierter Form zum Einnehmen angeboten. „Tausende von Präparaten sind auf dem Markt – allerdings als Nahrungsergänzungsmittel, die keinen strengen Kontrollen unterliegen“, kritisierte jetzt Reinhold Stockbrügger von der Universitätsklinik Maastricht auf einem Fachkongress in Wien.

Nicht alle "guten" Bakterien sind wirklich gesund

Dass die „natürlichen“ Nahrungsergänzungsmittel nicht immer positiv wirken, hat vor kurzem eine Studie gezeigt, deren Ausgang die Fachwelt schockierte. Mediziner um Hein Gooszen von der Universität Utrecht behandelten Patienten aus 15 Krankenhäusern des Landes, die an einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse (medizinisch: Pankreas) litten, mit einem Mix aus sechs Bakterienstämmen. Das erhoffte Ziel bestand darin, die „Guten“ zu nutzen, um eine nachfolgende Infektion durch schädliche Bakterien zu verhindern, die eine Pankreatitis lebensgefährlich machen kann. Da vorangegangene Laborversuche und eine Studie mit Ratten gute Ergebnisse gebracht hatten, glaubten die Forscher an die neue Therapie. 152 Patienten erhielten zu Beginn der akuten Beschwerden zusätzlich zur normalen Sondennahrung die Probiotika-Präparate, 144 Erkrankte bekamen nur die Sondennahrung.

Für die Studie wurden nur Patienten ausgewählt, die ein besonders großes Risiko für die Entwicklung einer schweren Form der Pankreatitis trugen. Ein solcher schwerer Verlauf, bei dem Gewebe der Bauchspeicheldrüse zerstört wird und zudem das Versagen anderer Organe droht, entwickelt sich bei etwa 15 Prozent der Betroffenen. Das Ergebnis der Studie widersprach allen Erwartungen: In der Probiotika-Gruppe gab es 24, in der Kontrollgruppe dagegen nur neun Todesfälle, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Science“ (Band 319, Seite 557).

Klar ist, dass es sich bei dieser Untersuchung um besonders schwer Erkrankte gehandelt hat, die alle ein großes Risiko für Komplikationen trugen. Die Mitglieder der Dutch Acute Pancreatitis Study Group, die die Behandlung mit Bakterien initiiert hatte, tappen aber nach wie vor im Dunkeln, was die Ursache der höheren Todesrate betrifft.

Mehr Zweitinfektionen hatten die Patienten, die Probiotika genommen hatten, jedenfalls nicht, berichtete Hein Gooszen. Bei neun der Verstorbenen aus der Probiotika-Gruppe stellten die Mediziner jedoch eine Durchblutungsstörung des Dünndarms fest, die von einer Unterversorgung mit Sauerstoff hervorgerufen wurde. In der Gruppe, die keine Probiotika bekommen hatte, gab es keinen solchen Fall. 

Darmbakterien brauchen Sauerstoff

Eine denkbare Erklärung für die Rolle der Probiotika im verhängnisvollen Geschehen: Die zusätzlich zugeführten Milliarden von Bakterien könnten selbst so viel Sauerstoff gebraucht haben, dass die Blutgefäße der vorgeschädigten Darmwand nicht mehr ausreichend versorgt werden konnten. „Möglicherweise muss die Darmwand weitgehend intakt und die bakterielle Besiedelung dort weitgehend normal sein, damit die Probiotika eine segensreiche Wirkung entfalten können“, sagte der Magen-Darm-Experte Stockbrügger.

Noch ist nicht abschließend geklärt, auf welche Weise die verschiedenen Probiotika überhaupt wirken. Eine ihrer wesentlichen Wirkungen liegt wahrscheinlich darin, dass sie die Darmflora verändern. Zugleich scheinen sie auch das Immunsystem zu stimulieren, was ihre Wirkung bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen erklären würde. Drittens werden ihnen positive Einflüsse auf den Stoffwechsel nachgesagt, etwa auf den Cholesterinspiegel.

Dass einzelne Bakterienstämme mehr als nur gefühlte Helfer sind, sondern nachweislich positiv wirken, haben in den vergangenen Jahren mehrere Studien zu bestimmten Durchfallerkrankungen, zum Reizdarmsyndrom und der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa gezeigt. „Weniger klar sind die Wirkungen bei der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn, bei Laktoseunverträglichkeit und bei Verstopfung“, sagte Stockbrügger.

Er forderte weitere methodisch saubere Studien, um auch in diesen Fällen gesicherte Aussagen machen zu können. Die Untersuchung der Kollegen aus Utrecht hätte gezeigt, dass die Bakterienpräparate mitunter gefährlich sein können. Stockbrügger: „Auch wenn sie nur als Nahrungsergänzung eingestuft sind – sie sollten ebenso streng getestet werden wie Medikamente.“

Adelheid Müller-Lissner

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