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Pioniere. Die Studierenden Miri Saadon (Israel) und Mohamed Aly (Ägypten) mit Dekan Mena Mark Hanna im Treppenhaus der Akademie.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Barenboim-Said Akademie: Ein neues Leben

37 junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten lernen an der neuen Barenboim-Said Akademie in Berlin. Ein Gespräch mit Dekan Mena Mark Hanna und zwei Studierenden.

„Wir sind zuerst Freunde, bevor wir etwas anderes sind“, sagt Miri Saadon aus Israel, die ein Jahr lang an einem Pilotprojekt der Barenboim-Said Akademie (BSA) in Berlin teilgenommen hat und sich nun mit 36 anderen Studierenden auf den Unterricht an der BSA freut. Das wiederum freut Mena Mark Hanna, den Dekan der kleinen, aber feinen Hochschule, an der zum Wintersemester 37 junge Musiker aus Israel, Palästina, Syrien, Jordanien, dem Iran, Ägypten und der Türkei ihr Studium aufgenommen haben.

In einem vorbereitenden Workshop wurden die Kandidaten gefragt: Was seid ihr? „Und alle haben geantwortet: ,Wir sind Musiker’“, berichtet Hanna. Der junge Musikwissenschaftler und Komponist mit ägyptischen Wurzeln hat in Oxford promoviert. „Kein Student denkt hier jeden Augenblick an Politik“, sagt er. „Die Akademie ermöglicht die Begegnung mit anderen Musikern, und zufällig stammen die aus einem anderen Land.“ Miri Saadon erzählt, dass sie jetzt Kontakt zu einem Musikerkollegen im palästinensischen Ramallah habe; das sei vorher unmöglich gewesen.

„Dieses Jahr in Berlin hat mich verändert, ich kann mich anders präsentieren“, sagt Mohamed Aly aus Ägypten, der hier seinen Bachelor in Musik machen will. „In Ägypten habe ich die Geisteswissenschaften vermisst. Hier geht es um Meinungsaustausch, Musiker müssen Musik verstehen.“ Mit seinen Bedürfnissen sei er genau richtig an der Akademie.

Vorspiele in Ramallah, Jerusalem, Kairo, Beirut und Amman

Beide sind sehr glücklich, dass sie aufgenommen wurden. Miri Saadon hörte von der BSA bei der Sommertournee des West-Eastern Divan Orchestra in Buenos Aires, Mohamed Aly berichteten Freunden davon. Dekan Hanna reiste im Frühjahr 2015 nach Ramallah, Jerusalem, Kairo, Beirut und Amman, um die Bewerber anzuhören.

In einer zweiten Auswahlrunde schickten die Studenten Videos und Motivationsschreiben ein. Fünf Musiker aus Syrien absolvieren derzeit ein besonderes Unterrichtsjahr, damit sie sich 2017 zur Aufnahmeprüfung anmelden können. „Offenheit ist wichtiger als Allgemeinwissen. Wir erwarten große Neugier und großes Talent“, sagt Hanna.

Jeder Studierende konzentriert sich auf ein Instrument, Miri Saadon etwa auf Klarinette, Mohamed Aly auf Posaune. Außerdem müssen alle lernen, Piano zu spielen. „Wenn Mohamed Posaune spielen will, so spielt er sich die Melodie auf dem Piano vor, um sie besser zu verstehen. Das Piano ist eine Art kleines Orchester. In der Musiktheorie hängt viel von ihm ab; man versteht damit die Harmonie besser.“

Ein Fokus des Studiums liegt auf der Kammermusik – so müssen die Studierenden permanent mit anderen Musikern proben. Sie nehmen außerdem an Workshops der Staatsoper unter Daniel Barenboim teil und erfahren, wie ein professionelles Ensemble spielt und wie der Maestro mit den Musikern arbeitet. 

Natürlich hat die Barenboim-Said Akademie den Anspruch, wunderbare, talentierte Musiker auszubilden. Doch es wird eben nicht nur Musik unterrichtet. „Wir wollen die Studierenden zum Nachdenken provozieren“, sagt der Dekan. Daher stehen auch die Geisteswissenschaften auf dem Lehrplan – ungewöhnlich für eine Musikhochschule. Die Humanities, wie es im Akademiesprachgebrauch heißt, sind eines der Alleinstellungsmerkmale der neuen Einrichtung. „Die Musiker haben in den vier Jahren nicht viel Zeit, sie müssen sich selber ausbeuten – sie sollen nicht nur Beethoven spielen können, sondern ihn auch verstehen. Daher müssen sie die Welt der Ideen und der Philosophie kennenlernen, Literatur und Geschichte, denn die Musik ist nur ein Teil eines Mosaiks“, erklärt Hanna das Curriculum.

Musik kombiniert mit Wissen über eine Epoche

Genau das ist es, was Miri Saadon in ihrer Heimat vermisst hat: „Das Studium ist schon sehr strikt und verlangt viel. Es bleibt wenig Zeit für anderes“, erzählt sie. „Ich habe gemerkt, dass die Musik nicht alles ist; hier wird sie mit Intellektuellem kombiniert. Wenn mein Wissen über eine bestimmte Epoche wächst, dann wächst auch mein Verständnis für die Musik.“ Musiker und Komponisten seien schließlich auch Intellektuelle, die sich aufeinander beziehen und gegenseitig beeinflussen. Sie bedauert, dass „viele Leute heute sehr engstirnig und von Angst und Ignoranz bestimmt sind“. Das Jahr an der Akademie habe ihr Leben verändert, bekennt Miri Saadon. „Ich denke anders, ich lese Kant und Nietzsche, ich lerne zu diskutieren und zuzuhören – und das alles, obwohl Englisch nicht unsere Muttersprache ist.“

"Wir wollen die Studierenden zum Nachdenken provozieren", sagt der Dekan Mena Mark Hanna (Mitte).
"Wir wollen die Studierenden zum Nachdenken provozieren", sagt der Dekan Mena Mark Hanna (Mitte).

© Doris Spiekermann-Klaas

Im Zentrum der Humanities an der BSA steht die Philosophie – die Spanne reicht von den Griechen über die Aufklärung bis zur Existenzphilosophie. In Geschichte fokussiert man sich auf Europa ab 1789; in späteren Kursen können einzelne Bereiche vertieft werden. Zum Angebot gehören auch Seminare zu Kunstgeschichte, Sozialwissenschaften sowie interdisziplinäre Kurse zu allgemeinen globalen Fragen. In der Literatur wird man sich mit westlichen und nicht-westlichen Texten auseinandersetzen. Im fortgeschrittenen Studium rückt der Modernismus in der Short Story in den Mittelpunkt, Autoren wie Kafka und Auden stehen auf dem Programm.

„Die Studierenden werden so parallel zur Musikgeschichte die Strömungen in der Literatur und der Philosophie kennenlernen. Die Welt der Texte hilft ihnen, die Welt der Musik besser zu verstehen. Das ist einzigartig“, sagt Dekan Hanna zu diesem umfassenden Ansatz, der zurückgeht auf einen besonderen Wunsch Daniel Barenboims. In den letzten zwei Jahren ihres achtsemestrigen Studiums haben die jungen Musiker Wahlmöglichkeiten und können ihre Kenntnisse vertiefen.

Derzeit baut die Akademie einen eigenen Lehrkörper auf. Direktorin der Humanities ist die Rechtsphilosophin Roni Mann. Es gibt Professoren für Musiktheorie und Musikgeschichte, Piano, Cello, Violine, Komposition sowie Philosophie. Darüber hinaus existiert ein flexibles Programm für Fellowships und Lehraufträge. „Viele Musiklehrer kommen von der Staatskapelle und den Berliner Philharmonikern. Berlin ist eben die Hauptstadt für klassische Musik“, sagt Hanna.

"Wir kochen zusammen und diskutieren viel"

Für Miri und Mohamed ist die Akademie aber mehr als eine ausgezeichnete Ausbildungsstätte. Die Bachelor-Studierenden haben für drei Jahre eine garantierte Unterkunft in Kreuzberg, die Studierenden für ein Artists Diploma für ein Jahr. „Wir kochen oft zusammen und diskutieren viel – zum Beispiel über Hummus, ob der nun aus Israel oder Ägypten stammt“, erzählt Miri mit einem Lachen.

Miri und Mohamed schätzen an ihren Dozenten, dass sie immer ein offenes Ohr für sie haben.
Miri und Mohamed schätzen an ihren Dozenten, dass sie immer ein offenes Ohr für sie haben.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mohamed berichtet, er habe in Berlin einen Israeli als Freund gewonnen, das Verhältnis hier sei viel besser als in Ägypten. Und auch die Palästinenser würden sich in Berlin besser kennenlernen, da sie aus Israel, den besetzten Gebieten und aus der Diaspora kämen. „Die hätten sich ohne die Akademie nie treffen können“, sagt Miri.

„Wenn ich Probleme habe, haben die Dozenten der Akademie immer ein offenes Ohr, sie sind für mich wie eine Familie“, erzählt Mohamed. Und Miri betont, dass sie auch mit Verbesserungsvorschlägen Gehör fänden. „Unser Wochenplan sah zunächst fünf Tage Studium vor, da hätten wir aber keine Zeit zum Üben gehabt. Durch unsere Eingabe werden jetzt Blöcke gebildet, sodass wir den Freitag zum Üben haben“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Engagement lohnt sich eben.

Und beide freuen sich schon darauf, wenn sie ab dem kommenden Sommer auch im Pierre Boulez Saal spielen können – vielleicht sogar einmal vor Publikum.

Der Artikel ist erstmals in der Beilage des Tagesspiegels zur Eröffnung der Barenboim-Said-Akademie erschienen.

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