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Eine Grafik zeigt den Verlauf eines Glasfaserkabels vor der kalifornischen Küste.

© Abbildung: Lindsey et al.

Beben und Wellen mit Glasfasern messen: Tiefseekabel-Hacking für die Geoforschung

Mit Glasfaser-Leitungen, die eigentlich Daten übertragen, lassen sich auch Daten gewinnen, etwa über Erdbeben und Tsunamis.

Die Gelegenheit war günstig: Im Unterwasser-Observatorium MARS in der kalifornischen Monterey Bay südlich von San Francisco stand eine viertägige Routine-Wartung an. Während dieser Zeit entfremdeten Nathaniel Lindsey und Jonathan Ajo-Franklin vom Lawrence Berkeley National Laboratory (LBNL) in Berkeley die Nutzung des 52 Kilometer langen Glasfaserkabels komplett.

Normalerweise überträgt es Daten des Observatoriums zum Festland. Nun zeigte sich, dass es sich auch eignet, um den Meeresgrund geophysikalisch zu untersuchen. Sie berichten darüber jetzt in der Zeitschrift „Science“. Philippe Jousset vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum (GFZ) in Potsdam kommentiert die Ergebnisse enthusiastisch: „Für die Meeresforschung ist diese Untersuchung ein Meilenstein.“

Bisher untersuchen Wissenschaftler den Untergrund oft mit Hilfe von Erdbebenwellen oder erheblich schwächeren Wellen im Boden, die von einem Netzwerk von Seismometern aufgezeichnet werden. „Dieses Netz sollte möglichst engmaschig geknüpft sein“, schreibt Jousset in einem Kommentar, der ebenfalls in „Science“ erscheint. Oberirdisch gibt es solche Netze oft auch. Aber am Grund der Meere sind die Systeme extrem aufwändig und deshalb kaum je vorhanden.

Doch dort gibt es nicht nur viele Erdbeben, die auch etwa Tsunamis auslösen können, sondern auch 80 Prozent der aktiven Vulkane sind unterseeisch und ließen sich ebenfalls über Wellen, die sich über den Untergrund ausbreiten, überwachen. An entscheidender Stelle klafft also eine Lücke im technischen Netz, das die Vorgänge bei solchen möglicherweise katastrophalen Ereignissen untersucht. „Glasfaserkabel aber könnten diese Lücke schließen“, sagt Philippe Jousset.

Ein Laser schickt Lichtimpulse durch die Glasfaser

Wie das funktioniert, hat der GFZ-Forscher gemeinsam mit seinen Kollegen auf Island an Land untersucht. Von einem weiteren Experiment an den Hängen des Ätna-Vulkans auf Sizilien werten die GFZ-Forscher gerade die Daten aus. Bei solchen Untersuchungen schickt ein Laser kurze Lichtpulse durch die Glasfaser. In diesem Lichtleiter gibt es winzige Unregelmäßigkeiten, die zwar weder beim Telefonieren noch beim Übertragen von Daten stören, an denen aber ein kleiner Teil des Laserblitzes reflektiert wird. Dieses zurückkehrende Licht registriert ein Empfänger und berechnet aus der Zeit für Hin- und Rückweg die Entfernung der winzigen Unregelmäßigkeit. Erschüttert ein kleines Erdbeben den Untergrund, dehnt oder staucht diese Bewegung die Glasfaser und die Entfernung ändert sich um wenige Millionstel Millimeter. Der nächste Lichtpuls des Lasers braucht daher einen winzigen Moment länger oder kürzer hin und zurück. Aus diesem Zeitunterschied lässt sich ermitteln, wo genau die Erde sich bewegt hat.

Die Laserblitze der LBNL-Forscher stießen im Glasfaserkabel auf extrem viele Störstellen, die ihnen ein Netzwerk von etwa 10 000 Messstellen lieferten. Bei einem Mini-Erdbeben konnten die Forscher auf diese Weise bereits bekannte Verwerfungen vermessen, entdeckten aber auch einige bisher unbekannte Störungen im Untergrund. Genau an diesen Verwerfungen aber kann sich das Gestein aneinander vorbeibewegen und können so unter Umständen minimale oder auch größere Beben entstehen.

Den Wasserdruck unter dem Wellenberg messen

Solche Erschütterungen gibt es auch, wenn sich im Untergrund extrem zähflüssiges Magma-Gestein bewegt. Daher haben GFZ-Forscher Philippe Jousset und seine Kollegen im Sommer 2019 am Ätna-Vulkan in Sizilien solche Bewegungen mit dieser DAS (Distributed Acoustic Sensing oder ortsverteilte akustische Messung) genannten Laserblitz-Glasfaser-Methode gemessen. Auch wenn die Forscher ihre Daten noch auswerten müssen, sind sie sich sicher, dass man so die Vorgänge unter einem Vulkan viel genauer als bisher beobachten kann, die unter Umständen zu einem Ausbruch führen können.

Und im Meer lassen sich auf diesem Weg nicht nur Unterwasser-Vulkane untersuchen, sondern auch Wellen beobachten. Grund dafür ist, dass unter einem Wellenberg ein höherer Wasserdruck auf den Untergrund lastet als im Wellental. Die LBNL-Forscher konnten dies vermutlich ebenfalls in der Monterey Bay messen. Um hier sicher zu sein, hätten sie allerdings erheblich länger als nur vier Tage Daten sammeln müssen. „Glasfaserkabel könnten“, nimmt Jousset an, durchaus „auch für Tsunami-Frühwarnsysteme eingesetzt werden“, weil sie die entstehenden Wellen wohl registrieren würden.

Der große Vorteil der Technik ist, dass ein bedeutender Teil der Messungen mithilfe vorhandener Leitungen möglich wäre. „Dort sind ja normalerweise mehrere Glasfasern gebündelt, von denen nicht alle für die Übertragung von Daten genutzt werden“, erklärt Philippe Jousset. Für die Laserblitze der DAS-Methode aber genügt bereits ein freier Lichtleiter, und selbst zur Datenübertragung genutzte Leiter könnten zusätzlich Messaufgaben erfüllen. In der Ozeanforschung könnten Glasfaserkabel daher bald eine zentrale Rolle übernehmen.

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