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Meteorit von Tscheljabinsk

© Nasa, M. Ahmetvaleev

Bedrohung durch Asteroiden: Steine im Weltall

Manche Asterioden kommen der Erde gefährlich nahe. Um nicht von ihnen überrascht zu werden, suchen Astronomen den Himmel ab. Und hoffen, die Bahn der Geschosse im Ernstfall abzulenken.

Der 15. Februar 2013 ist ein grauer Wintertag. Detlef Koschny kämpft noch mit der Müdigkeit, als er im Hotelzimmer die neuesten Meldungen auf Facebook liest. Plötzlich ist der Weltraumexperte hellwach. Ein Asteroid soll über Russland niedergegangen sein? Wenig später bestätigen seine russischen Kollegen die Nachricht. Über der Provinzhauptstadt Tscheljabinsk war in den frühen Morgenstunden ein Asteroid von rund 20 Metern Durchmesser in die Erdatmosphäre eingetreten und dabei detoniert. Durch die Druckwelle gingen vor allem Fensterscheiben zu Bruch, es gab rund 1500 Verletzte durch herumfliegende Glassplitter. Direkt getroffen von dem kosmischen Gesteinsbrocken wurde niemand; einzelne Teile gingen über weitgehend unbewohntem Terrain nieder.

Koschny leitet die Abteilung für erdnahe Objekte (NEOs/Near Earth Objects) des Programms für Weltraumlageerfassung der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Genau wie er sind etliche Forscher und Delegierte von Raumfahrorganisationen an diesem Tag in den Wiener Amtssitz der Vereinten Nationen eingeladen. Dort tagt der wissenschaftlich-technische Unterausschuss des Komitees für die friedliche Nutzung des Weltraums. Er soll eine Empfehlung in Sachen erdnahe Asteroiden abgeben.

Unter den Wissenschaftlern machen die Ereignisse in Tscheljabinsk am Frühstückstisch des Hotels die Runde. Dass der ungebetene Gast aus dem All ausgerechnet hereinplatzt, als sich das Gremium mit seinesgleichen befasst, mutet wie Ironie des Schicksals an. Wollte die Natur etwa noch ein Wörtchen mitreden? Das hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungen, gibt Koschny zu verstehen. „Die Experten waren sich vorher einig.“ Zwei Gruppen sollen auf technischer und logistischer Ebene Strategien entwickeln, um gewappnet zu sein, falls ein Felsbrocken aus dem All Kurs auf die Erde nimmt und zur Bedrohung wird.

Auch kleinere Geschosse können einen relativ großen Schaden anrichten

Als NEOs gelten sämtliche Asteroiden oder Kometen, die auf ihrem Orbit der Erdbahn näher als 45 Millionen Kilometer (oder 0,3 Astronomische Einheiten) kommen können. Als potenziell für die Erde gefährlich stufen die Forscher in der Regel solche Objekte ein, deren Orbit sich der Erdbahn um weniger als 7,5 Millionen Kilometer annähert. Welche Zerstörungen ein solches Geschoss aus dem All auf der Erde letztlich verursachen kann, hängt vor allem von seiner Größe und seiner Zusammensetzung ab. Ist es von eher poröser Konsistenz, wird es wie im Fall von Tscheljabinsk bei ähnlicher Größe in der Atmosphäre zerbersten. „Dass kleinere Objekte Schaden anrichten können, wissen wir aber seit dem Meteoritenfall von Carancas in Peru 2007“, sagt Koschny. „Das war ein Meteorit üblicher Dichte von etwa eineinhalb Metern Durchmesser. Aufgrund seines flachen Eintrittswinkels in die Atmosphäre ist er bis zum Erdboden durchgedrungen und hat einen Krater geschlagen.“

In den meisten Fällen bietet die irdische Lufthülle selbst für größere Klumpen bis etwa zehn Meter einen guten Schutz. Solche Objekte zerplatzen und verglühen größtenteils beim Eintritt in die Atmosphäre und sind als Feuerkugeln sichtbar (siehe Grafik). Wenn es doch einmal ein Meteorit bis auf die Erde schafft, ist es äußerst unwahrscheinlich, davon getroffen zu werden. Schließlich sind nur drei Prozent der Erdoberfläche besiedelt.

Die Initiatoren des "Asteroid Day" spielen selbst ein wenig Hollywood

Die beiden Expertengruppen begannen Anfang 2014 mit ihrer Arbeit, die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte grünes Licht gegeben. Die Space Mission Planning Advisory Group soll unter anderem das vorhandene Wissen zur Abwehr eines potenziellen Asteroideneinschlags zusammentragen sowie Möglichkeiten für eine gemeinsame Mission vorschlagen. Das International Asteroid Warning Network koordiniert die Suche nach erdnahen Objekten. Zudem tauscht sich das Netzwerk mit Regierungsbehörden sowie Katastrophenschützern aus, um im Ernstfall rechtzeitig zu warnen und Gegenmaßnahmen zu empfehlen.

Kein leises Wimmern, sondern ein mächtiger Knall

Dass ein Asteroideneinschlag verheerende Folgen haben könnte, bezweifeln Experten nicht. So bedrohlich wie die kürzlich aus der Taufe gehobene Kampagne „Asteroid Day“ es vermitteln mag, ist die Lage aber nicht. Hinter der Aktion stehen bekannte Persönlichkeiten; Brian May etwa, der Gitarrist der Rockband Queen und promovierter Astrophysiker, die Astrophysiker Sir Martin Rees oder Kip Thorne sowie Raumfahrer. Am 30. Juni planen sie Veranstaltungen in Metropolen wie London, San Francisco, Berlin und Athen. „Wir wollen die Allgemeinheit auf die Thematik Planetary Defence aufmerksam machen“, sagt Russell Schweickart, Astronaut der Apollo-9- Mission und Mitinitiator der Aktion. Sie spielen dabei selbst ein bisschen Hollywood. Auf ihrer Webseite ist der Trailer zu einem eigens produzierten Actionstreifen zu sehen. Darunter steht: „Es begann mit der Idee zu einem Film und mit der Einsicht, dass die Welt nicht mit einem leisen Wimmern, sondern mit einem mächtigen Knall enden wird. Das führte zur Produktion eines Films und dem Start einer globalen Initiative, die von den hellsten Köpfen dieser Welt unterstützt wird.“

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Gewiss ist das einprägsamer als graue Statistik. Die Nasa sucht seit Ende der 1990er Jahre gezielt nach erdnahen Asteroiden. 1998 gab der US-Kongress an die Raumfahrtbehörde die Direktive aus, gemeinsam mit anderen Raumfahrtagenturen innerhalb von zehn Jahren 90 Prozent aller erdnahen Objekte mit einem Durchmesser von mindestens einem Kilometer zu finden. Derzeit kennen wir etwas weniger als 1000 solcher Objekte, nach aktuellen Schätzungen sind dies 95 Prozent. Die beruhigende Nachricht: Kein Asteroid dieses Kalibers hat es auf die Erde abgesehen. In der Größenklasse ab 300 Meter aufwärts gibt es schätzungsweise 8500 Objekte, von denen die Hälfte bekannt ist. Auch sie nehmen nicht Kurs auf die Erde. Für noch kleinere Brocken steigt die Anzahl rapide an, allerdings kennen wir davon nur einen kleinen Bruchteil. Bisher. „Die größeren Durchmusterungen brauchen rund einen Monat, um den gesamten Himmel abzuscannen“, sagt Koschny. „Es ist schwierig, damit ein lichtschwaches Objekt, das nur eine Nacht im Gesichtsfeld eines solchen Teleskops zu sehen ist, zu finden.“

Abwehrtechnologien entwickeln Forscher vor allem für mittelgroße Objekte

Im Moment haben die Nasa oder Esa mit ihren Suchkampagnen vor allem Objekte ab einem Durchmesser von 140 Metern und mehr im Fokus. Dabei gehen ihnen regelmäßig auch kleinere Asteroiden ins Netz. Für gezielte Durchmusterungen, mit denen sich Objekte ab 30 Meter Durchmesser aufspüren lassen, erforschen sowohl Nasa als auch Esa neue Technologien. Für das Projekt „Atlas“ der Nasa wurde kürzlich das erste Teleskop ausgeliefert. Die Esa startete Ende 2014 das „Fly-Eye“-Projekt, bei dem mehrere Teleskope mit einem großen Gesichtsfeld den ganzen Himmel in einer Nacht absuchen können. Weitere Projekte sind geplant. Auch die private Stiftung B612 denkt etwa über ein Infrarot-Weltraumobservatorium namens Sentinel nach. Hinter dieser Stiftung und der Initiative „Asteroid Day“ stehen teils dieselben Leute.

Bei welcher Größe reicht es, das Gebiet zu evakuieren?

Abwehrtechnologien entwickeln Forscher vor allem für Objekte der Mittelklasse, also der Größenordnung von einigen hundert Metern. Mit gutem Grund. Von ihnen gibt es viele. Und auch wenn wir derzeit keinen kennen, der die Erde in naher Zukunft treffen könnte, kann jederzeit ein noch nicht bekanntes Objekt auftauchen. Solche Brocken würden zwar nicht die Menschheit auslöschen. Sie können aber in einer Stadt oder einer Region verheerenden Schaden anrichten. Da man solche Asteroiden in der Regel entdecken kann, wenn sie noch sehr weit von der Erde entfernt sind, stehen die Chancen gut, dass sich eine Abwehrmission rechtzeitig vorbereiten lässt.

„Am weitesten fortgeschritten ist der kinetische Impaktor“, sagt Alan Harris, Koordinator des EU-Forschungsverbundes „Neoshield“ und Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. „Dabei würden wir einen Asteroiden mit einer Sonde anschießen und so kontrolliert auf eine andere Bahn lenken.“ Dies sei die bevorzugte Methode. Je größer ein Asteroid ist, desto einfacher ist es auch, ihn anzusteuern und optimal zu treffen. „Für Objekte mit einem Durchmesser ab 200 Meter aufwärts ist die Genauigkeit der Leit- und Navigationsystemkontrolle kein Problem“, sagt Harris. Im Moment konzentrieren sich die Neoshield-Wissenschaftler darauf, diese Methode für kleinere Objekte zu präzisieren. „75 Meter wären für die heutige Technologie noch problematisch.“ Bis zu einer Größe von 75, unter Umständen maximal 100 Metern würde man wohl nur die betroffene Region evakuieren, meint Harris.

Ein Satellit soll Asteroiden allein mit seiner Schwerkraft ablenken

Die Forscher denken außerdem darüber nach, einen Asteroiden mit einem Satelliten allein durch dessen Schwerkraft abzulenken. Ein größeres Exemplar durch eine teilweise Sprengung von seiner Bahn abzubringen oder gar in kleinere Teile zu zerlegen, diskutieren sie ebenfalls. Da der Schaden, den ein Asteroid auf der Erde verursachen kann, unter anderem von seiner Zusammensetzung abhängt, charakterisieren die Wissenschaftler von Neoshield zudem diese Objekte. Esa und Nasa planen gemeinsam die Mission „Aida“ (Asteroid Impact and Deflection Mission). Sie wollen einen Asteroiden gezielt anfliegen und ein Ablenkungsmanöver testen. „In kleineren Studien werden mögliche Abwehrszenarien durchgespielt“, sagt Koschny. Zum Beispiel untersuchen zwei seiner Studenten die Möglichkeit, einen Satelliten in einem Orbit um den Mond zu parken, von wo aus er auf einen Asteroiden losgeschickt werden könnte. Im Ernstfall entfielen dann die zeitraubenden Vorbereitungen für den Start von der Erde aus.

Beim „Asteroid Day“ werden sowohl die Esa als auch Neoshield über ihre Projekte informieren – ganz ohne Hollywood. „Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit mehr von dem mitbekommt, was wir machen“, sagt Koschny. Und zwar nicht erst seit Tscheljabinsk, was selbst für die Fachleute überraschend kam. Alan Harris, der ebenfalls in Wien dabei war, erinnert sich: „Das war zweifellos einer der aufregendsten Tage meiner Karriere.“

Felicitas Mokler

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