zum Hauptinhalt
Überflieger. Gefördert werden sollen die besten Studierenden. Foto: dpa

© dpa

Wissen: „Bei den Unternehmen Klinken putzen“

Berliner Unis fürchten Konkurrenz um Stipendien

300 Euro pro Monat sollen die leistungsstärksten Studierenden in Deutschland bekommen – unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern. Das jedenfalls verspricht das Nationale Stipendienprogramm, das nach langem Hin und Her Ende der vergangenen Woche vom Bundesrat gebilligt wurde. Der Bund hatte zuvor den Ländern zugesichert, die staatlichen Kosten komplett zu übernehmen. Doch ob tatsächlich zum Beginn des kommenden Wintersemesters Studierende gefördert werden, wie ursprünglich angekündigt, ist fraglich. Wahrscheinlich werden frühestens am 1. Januar 2011 die ersten Studierenden Geld bekommen.

Hintergrund sind Details des Gesetzgebungsverfahrens. Erst am Abend vor der entscheidenden Sitzung einigten sich die Unionsländer mit dem Bund, dass der Bund die Staatskosten für das Programm übernimmt (in der Endstufe 300 Millionen Euro). Die Länder sollten ursprünglich die Hälfte zahlen. Das Gesetz konnte aber so kurzfristig nicht aktualisiert werden, weil der Bundestag daran beteiligt werden muss. Die Länderkammer billigte daher die alte Version, die noch die Beteiligung der Länder vorsieht. Jetzt wird das Gesetz umgeschrieben. Die geänderte Passage, wonach die Länder von allen Kosten befreit werden, muss erneut Bundestag und Bundesrat passieren, was Zeit kostet.

Aber auch im Januar werden wohl nur wenige gefördert werden. In der Endstufe sollen acht Prozent der Studierenden (also etwa 160 000) eines der neuen Stipendien bekommen, insgesamt würde der Stipendiatenanteil in der Studentenschaft so auf zehn Prozent angehoben. Bisher sind für 2011 aber nur 10 Millionen Euro für das neue Programm eingeplant. Das reicht nur für 5500 Studierende. „Wie die Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen zeigen, ist ein Start mit der Förderung von 0,3 Prozent der Studierenden realistisch“, sagte eine Sprecherin von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). In NRW läuft seit 2009 ein Vorläuferprogramm. 2012 sind bundesweit 20 Millionen Euro eingeplant, ein Jahr darauf 30 Millionen Euro.

Abhängig ist die Vergabe zudem von privaten Geldgebern. Die Hochschulen müssen für jedes Stipendium einen privaten Sponsor, also Firmen, Alumni oder Stiftungen finden, der einen Teil des Stipendiums in Höhe von 300 Euro im Monat gegenfinanziert. Die Privaten sollen die Hälfte eines jeden Stipendiums tragen, allerdings wird sich ihr Beitrag durch Steuernachlässe in Höhe von 100 Millionen Euro auf ungefähr ein Drittel reduzieren. Sie können gleichwohl mitbestimmen, für welche Fachrichtung das Stipendium ausgelobt werden soll.

Gerade dass das Programm so sehr von dem Geld der Wirtschaft abhängig ist, löst bei vielen Hochschulen Skepsis aus. Das gilt zumal für industrieschwache Regionen wie Berlin. „Sicher werden sich in Berlin viele Hochschulen um dieselben Töpfe bemühen“, sagt TU-Präsident Jörg Steinbach. Da werde es „eine gewisse Konkurrenz“ geben. Steinbach sieht die TU aber in einer guten Position und verweist auf Kooperationen mit großen Unternehmen wie mit der Deutschen Telekom, Siemens oder EADS.

Einen „Standortnachteil“ befürchtet FU-Präsident Peter-André Alt für Berlin. Zwar begrüße er prinzipiell, „dass etwas für die Studierenden getan wird“. In der Endstufe des Programms müsste die FU, an der derzeit 28 000 Studenten eingeschrieben sind, 2240 Stipendien einwerben. Das würde jährlich vier Millionen Euro entsprechen, was in Berlin nicht leicht zu erreichen sei. Er appelliere an die „Einzelverantwortung mittelgroßer Unternehmen“: „Jedes Stipendium hilft.“

Die Fachhochschulen sind noch skeptischer. In Berlin-Brandenburg, „wo jeder wirtschaftlich ums Überleben kämpft“, werde es sehr schwierig, überhaupt Geldgeber zu finden, sagt Reinhard Thümer, Präsident der Beuth-Hochschule. Michael Heine, Präsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft, sagt, in Berlin seien private Partner natürlich schwerer zu finden als in München: „Das wird regionale Disparitäten verschärfen.“ Ein Nachteil für Fachhochschulen könnte sein, dass potenzielle Geldgeber womöglich FU, TU und HU bevorzugten.

Alle Hochschulen fürchten einen hohen Verwaltungsaufwand. Um das Geldeinwerben professionell aufzuziehen, bräuchte man „eine richtige Vertriebsabteilung, die bei der Industrie die Klinken putzt“, sagt Thümer. Er könne aber höchstens eine Verwaltungskraft damit betrauen. Man werde sicher „nicht ohne Bordmittel“ auskommen, sagt FU-Präsident Alt. Er prüfe derzeit, wie viel zusätzliches Personal er brauche.

Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) fordert den Bund auf, „die Weichen für die Umsetzung des Gesetzes zu stellen, etwa wie die Verwaltung erfolgt oder aber, wie die Hochschulen bei der Suche nach kofinanzierenden Unternehmen unterstützt werden können.“

Die Wirtschaft gibt sich indes abwartend. Bei rund 130 000 Studierenden müssten Unternehmen überproportional viele Stipendien zur Verfügung stellen, sagt Udo Marin, Geschäftsführer des Vereins Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI). Doch leider gelte in Berlin die Formel „besonders viele Studierende, besonders schwache Wirtschaft“. Sobald aber der Akademikermangel greife, „werden die Unternehmen gerne Studierende fördern, wenn sie dadurch einen privilegierten Zugang zu leistungsstarken Absolventen bekommen“. Jetzt sei es an den Hochschulen, auf den VBKI zuzukommen.

Vor besonderen Schwierigkeiten sehen sich die Unis in Ostdeutschland. „Gegenüber dem strukturschwachen Sachsen-Anhalt sind industriestarke Standorte eindeutig begünstigt“, sagt Klaus Erich Pollmann, Rektor in Magdeburg. Er werde trotzdem auf Kooperationspartner zugehen, „denn wir wollen ja nicht das Schlusslicht sein“. Anknüpfen könne man an ein Landesstipendienprogramm, bei dem das Geld allein von der Wirtschaft aufgebracht werden muss. Aktuell gefördert werden laut IHK Magdeburg 16 Studierende – von landesweit rund 24 000.

Wer hat überhaupt eine Chance auf ein Stipendium? In NRW gehen derzeit gut 30 Prozent an Ingenieurstudenten, 20 Prozent an Naturwissenschaftler, Juristen sowie Wirtschaftswissenschaftler – und nur gut zehn Prozent an Geisteswissenschaftler. Neben der Leistung sollen laut Bundesbildungsministerium auch gesellschaftliches Engagement oder „besondere persönliche Umstände“ wie ein Migrationshintergrund berücksichtigt werden. Amory Burchard/Tilmann Warnecke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false