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Nichts geht über Bärenmacke. Annelie Sophie Mueller als Hermia. Foto: Stache/dpa

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Benjamin Brittens „Sommernachtstraum“ an der Komischen Oper: Zettels feuchter Traum

Saisonstart an der Komischen Oper mit Benjamin Brittens „Sommernachtstraum“.

Es ist der erste Abend, der sich so richtig nach Herbst anfühlt – und an der Komischen Oper spielen sie den „Sommernachtstraum“. Die 1960 uraufgeführte Musiktheaterversion der Shakespeare- Komödie von Benjamin Britten natürlich. Weil die Musikwelt in diesem Jahr den 100. Geburtstag des britischen Komponisten feiert. Die Inszenierung ist dem lettischen Regisseur Viestur Kairish anvertraut, einem Mann, der sich gerne viel Zeit zum Denken gönnt, bevor er ans Werk geht. Über Kinderträume und das Erwachsenwerden hat er also räsoniert, über den Verlust der Unschuld, Greise und sich schließende Lebenskreise.

Eine fantastische Bühnenlandschaft hat sich Kairish von seiner Ausstatterin Ieva Jurjane gewünscht – und eine herrliche Pappmachékulisse bekommen, huckelig, buckelig, wie handgeknetet, mit steil aufragenden Wänden und so manchen Löchern, durch die man hinein- und hinausschlüpfen kann. Enorm, wie viele suggestiv-märchenhafte Stimmungen Lichtdesigner Diego Leetz dieser Einheitsdekoration abgewinnt.

Britten hat den Text des Theaterstücks halbiert, beginnt direkt im Elfenwald, mit einem zaubrischen Effekt, wenn die Cellisten ihre Bögen glissandierend über die Saiten rutschen lassen. Äußerst raffiniert verwebt der Komponist unterschiedlichste Stile, von frühbarocken Purcell-Reminiszenzen bis zu romantisierenden Naturbeschwörungen, alles ebenso ironisch wie liebevoll behandelt. Kristiina Poska, die junge Kapellmeisterin der Komischen Oper, behält die diversen Handlungsfäden fest in der Hand, die musikimmanenten wie auch die konkreten szenischen. Das gibt den Sängern Sicherheit, um sich auf die Herausforderungen der Regie zu konzentrieren.

Der von Dagmar Fiebach bestens vorbereitete Kinderchor stapft als Truppe grauer Herren durchs Geschehen, muss Teddys beerdigen, um anzuzeigen, dass die Elfen hier längst alle Illusionen verloren haben. Der wahrlich nicht mehr junge Puck von Gundars Abolins dagegen trägt Schuluniform. Die beiden liebenden Paare, leidenschaftlich dargestellt von Annelie Sophie Müller, Adela Zaharia, Tansel Akzeybek und Günter Papendell, springen zwischen Lebensabschnitten hin und her, sind erst Teenager, dann Rentner, bei der finalen Fürstenhochzeit schließlich giggelnde Idötzchen, ebenso wie Theseus (Alexey Antonov) und Hippolyta (Christiane Oertel).

Tief, sehr tief will Regisseur Viestur Kairish psychologisch bohren – und verliert dabei das Wichtigste aus dem Blick: die Sinnlichkeit. Bei aller Bewegtheit wird das heitere Treiben schwerfällig, die turbulente Handlung zieht sich, von mittsommernächtlichem Prickeln fehlt jede Spur. Dankbar nimmt das Premierenpublikum am Sonntag darum selbst einen Ausrutscher in die Brachialerotik auf: Stefan Sevenich ist als verzauberter Esel kein Schlappohr, sondern ein Langschwanz, dessen Gemächt sich zu Titanias beschwörenden Flötenklängen wie eine Klapperschlange mannshoch gen Himmel windet. Zettels feuchter Traum. Frederik Hanssen

Wieder am 21. und 29. September.

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