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Berlin: Professor Überall

Günter Stock ist viel mehr als nur Präsident der Berliner Akademie. Er hält auch zum umstrittenen Präsidenten der Humboldt-Universität. Das gefällt manchen nicht.

Würde Günter Stock alle seine Ämter auf einmal niederlegen, in Deutschlands Wissenschaft gäbe es ein gewaltiges Vakuum. Der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist ein Multifunktionär, der seines Gleichen sucht. Leichter, als seine Posten aufzulisten, ist es, diejenigen zu nennen, die er gerade nicht innehat, stichelt ein Angehöriger der scientific community. In über 60 Funktionen wirkt Stock, Professor für Vegetative Physiologie und einst Forschungsvorstand bei Schering (siehe Kasten).

In Berlin gilt Stock als zweiter Wissenschaftssenator. Als Strippenzieher im Schatten, der seit Jahren die Hochschullandschaft mitprägt. So nimmt Stock für sich in Anspruch, in den neunziger Jahren in Gesprächen mit der Politik der Biotechnologie den Weg in die Region geebnet zu haben. Als Mitglied der Berliner Wissenschaftskommission war er unlängst an der Identifikation der entscheidenden Forschungsfelder der Zukunft beteiligt. Auch an Verhandlungen um den Masterplan von Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner hat er teilgenommen. Mit dem Senator ist Stock aus seinen 14 Jahren als Mitglied des Wissenschaftsrats bekannt: „Er gehört zu den wenigen Menschen, die ich aus Wertschätzung duze“, sagt Stock. Als Zöllner nach Berlin kam, empfing der Präsident der Akademie ihn enthusiastisch als „besten deutschen Wissenschaftspolitiker“.

Stock engagiert sich jedoch nicht nur in Berlin. Als Mitglied der Hamburger Dohnanyi-Kommission entwarf er vor fünf Jahren für den Wissenschaftssenator der Hansestadt Jörg Dräger ein neues Hochschulkonzept – das bei den Geisteswissenschaften einen Sturm der Empörung auslöste. Denn geplant war, die Naturwissenschaften massiv auszubauen, um den Preis, 60 Prozent der geisteswissenschaftlichen Studienplätze zu vernichten. „Wir haben uns am Bedarf der Region orientiert“, rechtfertigt Stock die Pläne noch heute. Umstritten war auch der von Stock mitgeschriebene Zukunftsplan für Bayern „Wissenschaftsland 2020“, weil die Kommission zunächst mit der Fusion der Münchener Universitäten sympathisierte.

Auch überregional ist Stock aktiv. So lässt Bundesforschungsministerin Annette Schavan sich von Stock in ihrer prominent besetzten „Forschungsunion“ beraten, etwa bei der mit sechs Milliarden Euro ausgestatteten Hightechstrategie. Allerdings ließ die Ministerin Stock abblitzen, als es um die Gründung einer nationalen Akademie ging. Während Stock Schavan dafür gewinnen wollte, die Berlin-Brandenburgische Akademie zur nationalen Akademie auszurufen, entschied sich die Ministerin lieber für die Leopoldina in Halle – worüber Stock sich in der Presse „außerordentlich überrascht“ zeigte. So wurde auch aus dem von Stock als zweitbeste Lösung gewünschten Dach für die regionalen Akademien mit Sitz auf dem Schlossplatz in Berlin nichts. Als neuer Präsident der in der Union vereinigten sieben gekränkten Länderakademien muss er sich nun darum bemühen, deren Potenzial so gut es geht an die Leopoldina heranzutragen.

Ein „Tausendsassa“ ist Stock, sagt ein renommierter Berliner Wissenschaftler bewundernd. „Er kennt sich aus und hört zu.“ Stocks Persönlichkeit wurde nicht von der Einsamkeit im Labor geprägt, sondern von seiner langjährigen Arbeit für das global agierende Pharmaunternehmen Schering. So wird er als geschliffener, ja charmanter Gesprächspartner geschätzt und gerne als idealer Vermittler zwischen den zwei Welten Wissenschaft und Wirtschaft um seine Expertise gebeten. Als Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ihm im vergangenen Herbst den Verdienstorden des Landes überreichte, beschrieb er Stock als „ideenreichen, kontaktfreudigen, vernetzt denkenden und zielstrebigen Mann“.

Allerdings erntet Stock für seine Aktivitäten nicht nur Sympathie. Kritiker sehen darin eine unbefugte Einmischung. Ein seit Jahren mit Stock bekannter Professor sagt, der Akademie-Präsident gestalte zwar gerne wissenschaftliche Strukturen, wie man an der Fülle seiner Ämter unschwer erkennen könne. Umsetzungsverantwortung habe er aber noch mit keinem Amt übernommen.

An der Akademie haben Mitarbeiter den Eindruck, der Präsident widme seine Kraft und Zeit nicht nur seiner Einrichtung. Kaum weniger und vielleicht noch leidenschaftlicher befasse er sich mit anderen Ämtern und Initiativen wie „Gesundheitsstadt Berlin“ – gemeinsam mit dem ihm schon als IHK-Sprecher bekannten Verwaltungsleiter der Akademie, Winnetou Sosa, dessen Leitungsstil von manchen als für eine öffentliche Forschungseinrichtung unpassend und schroff empfunden wird. Stock selbst sieht keine Konflikte zwischen seinen vielen Aufgaben: „Die Akademie profitiert davon, es macht sie stärker“, sagt er.

Stock taktiere gerne, halte sich in brenzligen Fragen lange bedeckt, ist oft zu hören. So fordert Stock zwar mehr Freiheit für die Genforschung und Studiengebühren in Berlin oder exponiert sich schon mal mit einem gewagten und später weithin kritisierten „Manifest der Geisteswissenschaften“. Doch in Berlin ist Stocks Schweigsamkeit in Sachen „Superuni“ aufgefallen.

Die Humboldt-Universität gehört nicht zu der Phalanx, die die Freie Universität und die TU gegen die Pläne von Wissenschaftssenator Zöllner gebildet haben. Stock, Kuratoriumsvorsitzender der HU, und HU-Präsident Markschies waren bislang lieber in eigener Sache unterwegs – vielleicht in der Hoffnung, so etwas stärker von den Masterplan-Millionen des Senators profitieren zu können.

Mehr Geld braucht die HU dringend, weil die renommierte Traditionshochschule unerwartet durch den Elitewettbewerb fiel. Während der sonst nicht medienscheue Stock nach der Niederlage öffentlich schwieg, stärkte er dem Präsidenten hinter den Kulissen den Rücken. Das Kuratorium, der Aufsichtsrat der Uni, empfahl der HU, das gescheiterte Zukunftskonzept trotzdem umzusetzen – wohl wissend, dass die Basis der Universität den geplanten großen Umwälzungen in der Organisation der Forschung und der Verwaltung immer skeptisch gegenüberstand.

Stock hält nicht viel von der Mitbestimmung der Gremien und dem Kollegialprinzip im Präsidium, wie die Verfassung der HU sie festschreiben, sagen seine Kritiker. „Das Präsidium ist kein Debattierclub“, hat Stock einmal klargestellt. Nachdem der Vizepräsident für Haushalt, Frank Eveslage, im Dezember universitätsöffentlich Zweifel an der Finanzierbarkeit des Zukunftskonzepts geäußert hatte, machte Stock Druck. In einem an Markschies gerichteten Fax auf dem Briefpapier der Akademie stellte er klar, Eveslage sei als Teil des Präsidiums an den Kuratoriumsbeschluss gebunden und habe beim Auftreiben von Geld „best efforts zu machen“.

Stocks Solidarität mit dem bislang unglücklich agierenden Markschies ist nicht verwunderlich. Denn Stock selbst hat Markschies in das Amt gebracht. Nach dem Wechsel des HU-Präsidenten Mlynek zur Helmholtz-Gemeinschaft leitete Stock als Mitglied des HU-Kuratoriums die Findungskommission der Uni. Das quälend lange Verfahren wurde später in einem der Presse zugespielten Schreiben vom damaligen Dekan der Philosophischen Fakultät der HU als „unprofessionell“ und „unfair“ charakterisiert. Potenzielle Kandidaten seien bis zum Schluss hingehalten und „ohne jede Not“ beschädigt worden. Doch wenig später rückte Stock auf den Vorsitz des HU-Kuratoriums vor. Seit 2007 leitet er die Präsidentenfindungskommission der Max-Planck-Gesellschaft und seit diesem Jahr betätigt er sich als headhunter für den Verwaltungsrat des European Institutes of Innovation and Technology (EIT).

Welches Amt strebt Stock als Nächstes an? In der Wissenschaft traut man ihm jeden hohen Posten zu. Schon wird er als Kandidat für die Spitze des European Research Councils (ERC) oder als Leiter von Zöllners Superuni gehandelt. Stock selbst winkt ab: Er wolle lieber weniger als mehr machen, sagt der 64-Jährige. Doch werde er sich auch in Zukunft um die Integration von Wissenschaft und Wirtschaft bemühen: „Und dazu müssen Sie eben bestimmte Funktionen haben.“

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