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© - Foto: akg-images; Helmholtz-Zentrum

Berliner Museen: Das Rätsel der verschwundenen Karte

In der „Langen Nacht der Museen“ zeigen Wissenschaftler, warum sie Gemälde mit Neutronen beschießen - auf ihre wissenschaftliche Tradition sind die Berliner Museen seit jeher stolz.

Jan Vermeers „Junge Dame mit Perlenhalsband“, aus der Gemäldegalerie Berlin steht seitlich zum Betrachter in einem Zimmer vor einer pastellfarbenen, nackten Wand. Doch nicht von Anfang an. Ursprünglich zierte eine Landkarte diese Wand, Zeichen der weltumspannenden Handelstätigkeit der niederländischen Patrizier und Verweis auf die fremdländische Herkunft der kostbaren Perlen. Vermeer hat die Landkarte übermalt. Warum, wissen wir nicht, aber dass es sie gab, wissen wir dank der Autoradiographie. Dabei wird das Gemälde mit Neutronen bestrahlt. Unterschiedliche Pigmente, die der Maler benutzte, geben diese Strahlung in bestimmten Zeitabschnitten zurück, so dass sie mit speziellem Filmmaterial sichtbar gemacht werden kann. Vermeers Landkarte gab sich durch das zuletzt, nach ein bis sechs Wochen abstrahlende Phosphor in dem aus verkohlten Knochen gewonnenen Pigment „Beinschwarz“ zu erkennen.

Seit jeher sind die Berliner Museen stolz auf ihre wissenschaftliche Tradition. „Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen“, lautet die Formel für ihre Kernaufgaben. Das Sammeln erfordert kunst- oder kulturhistorische Kenntnisse, beim Bewahren und Erforschen indessen treten naturwissenschaftliche Methoden hinzu, ja sie sind mittlerweile unverzichtbar geworden. Im „Wissenschaftsjahr Berlin 2010“ spielt dieser Aspekt auch im Programm der „Langen Nacht der Museen“ am Sonnabend, 30. Januar (18 bis 2 Uhr), eine herausragende Rolle. Unter den Titeln „Kunst als Wissenschaft“, „Der Blick des Künstlers auf die Wissenschaft“ sowie „Kunst und Naturwissenschaft“ stellen Mitarbeiter der Gemäldegalerie in nicht weniger als 21 Vorträgen die verschiedenen Aspekte des Wechselverhältnisses von Kunst und Wissenschaft, von künstlerischer und wissenschaftlicher Erfahrung vor.

„Bildgebende Verfahren sind für uns am interessantesten“, erklärt Bernd Lindemann, Direktor der Gemäldegalerie. Dazu zählen insbesondere die Röntgen- und die Infrarotfotografie, die von Christoph Schmidt in den Werkstätten der Galerie vorgenommen werden, während die Neutronenbestrahlung Sache des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie in Wannsee und Adlershof ist. Diese Verfahren ermöglichen es, sagt Lindemann, „dem Maler beim Malen zuzuschauen“. Das kann der Besucher in der Langen Nacht, wenn die Ergebnisse der Forschungen anhand von Abzügen der Röntgen-, Infrarot- und Neutronenfilme vorgestellt werden.

„Die Forschungsarbeit der Museen ist dem Publikum weitgehend unbekannt“, begründet Lange-Nacht-Koordinator Wolf Kühnelt von der veranstaltenden Kulturprojekte GmbH den diesjährigen Schwerpunkt: „Der Besucher soll erkennen, dass die Museen in Bereichen Fragen beantworten können, an die man nicht in erster Linie denkt.“

Dass ein Gemälde nicht immer das ist, was es an der Oberfläche zu sein scheint, hat das Berliner Publikum am „Mann mit dem Goldhelm“ erfahren müssen. Stilkritisch begründete Zweifel an der Autorschaft Rembrandts wurden mittels Autoradiographie zur Gewissheit erhärtet. Pinselduktus und Farbauftrag entsprachen nicht Rembrandts Malweise. Wer immer der tatsächliche Schöpfer des Gemäldes war, er hatte Kontakt zu Rembrandt oder seiner Werkstatt, ohne doch dessen besondere Malweise zu kennen und anzuwenden. Anhand des Einsatzes der Neutronen-Autoradiographie demonstriert Claudia Laurenze-Landsberg von der Gemäldegalerie in der Langen Nacht „Rembrandts Suche nach der idealen Komposition“ und in einem weiteren Vortrag Erkenntnisse über die Arbeit von Vermeer und Jan Steen.

Ein Lieblingsthema der Kunstgeschichte ist die Untersuchung von Pentimenti, gern auch als „Reuezüge“ bezeichnet: Änderungen, die der Maler durch Übermalungen vorgenommen hat. Oft genug sind solche Pentimenti mit bloßem Auge zu erkennen. Zweifelsfrei jedoch offenbaren sie sich erst in der Röntgenaufnahme. So hat David Teniers d. J. in seinem Familienbildnis eine Rückenfigur verschwinden lassen, und Rembrandt hat an seiner „Hendrikje Stoffels am Fenster“ gleich zwei Handhaltungen erprobt, ehe er sich für die endgültige, dritte entschied, in der Hendrikje die Hand an den Fensterrahmen lehnt.

Von grundlegender Bedeutung sind die Erkenntnisse über den Kompositions- und Malprozess für die Restauratoren. Welcher Zustand eines Gemäldes soll bewahrt oder wiederhergestellt werden, zumal wenn Bilder zu späterer Zeit verändert wurden, weil sich der Zeitgeschmack verändert hatte? Auch solche Eingriffe sind historische Zeugnisse, deren zeitliche Schichtungen mit bildgebenden Verfahren sichtbar werden. „Die Tätigkeit der Restaurierung hat sich sehr weit von dem entfernt, was vor hundert Jahren üblich war“, sagt Bernd Lindemann, der in der Langen Nacht anhand eines „sehr mitgenommenen“ Gemäldes die Frage diskutieren wird, „wie man sogar eine solche Ruine in einen respektablen Zustand bringen kann“.

Doch nicht allein zur Untersuchung von Bildern treten die Naturwissenschaften hinzu. Sie sind zugleich selbst Gegenstand wie auch Mittel der Kunst. Beispielsweise in Francesco Guardis Gemälde vom Ballonaufstieg in Venedig 1784, ein Jahr nach der erstmaligen Ballonfahrt der Brüder Montgolfier: Gezeigt wird die experimentelle Umsetzung einer neuen Erkenntnis, nämlich dass heiße Luft nach oben strömt und dabei sogar Lasten zu tragen vermag. Zugleich ist auch die Vedutenmalerei, wie sie in Venedig in höchster Blüte stand, sei es in der Wiedergabe einzelner Bauten oder in ganzen Stadtansichten, nicht denkbar ohne Zuhilfenahme der Camera obscura, die ihrerseits die praktische Anwendung der optischen Wissenschaft darstellt. Über den Ballonaufstieg spricht Sabine Engel unter dem Titel „Technische Neuerungen in Venedig“.

Es bleiben dennoch Fragen. Verlieren Kunstwerke mit dem Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden ihre Aura? Das weist über die Erkenntnismöglichkeit exakter Verfahren hinaus. Jedenfalls wirft die wissenschaftliche Untersuchung neue Probleme auf: Warum wollte Vermeer in seinem Damenbildnis keine Landkarte mehr dulden? Hatte er doch in seinem Bildnis eines „Geografen“ der zeitgenössischen Vermessung der Welt ein Denkmal gesetzt. Die Erklärung für das, was die Naturwissenschaften sichtbar machen, liegt außerhalb ihrer selbst.

Die Lange Nacht im Internet:
www.lange-nacht-der-museen.de

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