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„Blöde Situation“. Die Humboldt-Universität darf bei ihrer Entscheidung Präzendenzfalle nicht ignorieren. Die undankbare Aufgabe, über Holms Zukunft an der HU zu entscheiden, hat Präsidentin Sabine Kunst.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Staatssekretär mit Stasi-Vergangenheit: Humboldts Nöte mit Holm

Die Humboldt-Universität muss entscheiden, ob der Staatssekretär und Stadtsoziologe Andrej Holm wegen falscher Angaben seine Stelle verliert. "Wir sind in einer blöden Situation", heißt es aus der Uni.

Was kommt auf Bau-Staatssekretär Andrej Holm zu? Verliert er am Ende seine unbefristete Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stadtsoziologie der Humboldt-Universität und dann wohl auch sein Amt als Staatssekretär? Die Humboldt-Universität (HU) hat, wie berichtet, inzwischen die von ihr gewünschten Auskünfte von der Stasiunterlagenbehörde erhalten. Bis zum 9. Januar hat Holm Zeit, dazu seine Stellungnahme einzureichen. An der HU wünschen ihm viele, dass er zu seiner Verteidigung sehr gute Ideen entwickelt, um seine Entlassung abzuwenden. Denn Holm wird als brillanter Forscher und sehr engagierter akademischer Lehrer geschätzt. Doch es ist fraglich, ob die HU ihm die Falschangaben zu seiner Stasi-Tätigkeit durchgehen lassen kann. „Wir sind in einer blöden Situation“, heißt es aus der HU.

„Wie streng Bundesländer oder Institutionen mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern umgegangen sind, war unterschiedlich“, sagt ein Mitarbeiter der HU, der namentlich nicht genannt werden will. „Die HU war aber eher rigide.“ Doch in der nun anstehenden Bewertung geht es weniger um die Bewertung von Holms nur kurzer Stasi-Tätigkeit als junger Mensch, sondern vor allem um seine Falschaussagen auf dem Fragebogen bei seiner Einstellung im Jahr 2005. Zwar hat die HU Spielräume bei der Entscheidung. Aber: „Wegen Täuschung wurde auch in anderen Fällen gekündigt“, sagt der Mitarbeiter: „Hätte er doch bloß die Wahrheit angekreuzt!“ Weil Holm nicht so schwer belastet war, hätte er den Job an der HU damals wohl trotzdem bekommen.

Auch Wolfgang Kaschuba, Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung an der HU, glaubt, dass es für Holm „relativ risikolos“ gewesen wäre, 2005 richtige Angaben zu seiner Stasi-Vergangenheit zu machen. „Es war eine andere Situation als 1995, als HU-Mitarbeiter mit ähnlichen jugendlichen Verpflichtungen nicht weiterbeschäftigt wurden“, sagt er. Kaschuba wurde 1992 Professur für Europäische Ethnologie an der HU und kennt Holm aus der Zusammenarbeit mit dessen früherem Förderer, dem Stadtsoziologen Hartmut Häussermann. Doch wie soll die Uni damit umgehen, dass Holm falsche Angaben gemacht hat? Die HU müsse ohne Rücksicht auf sein politisches Amt urteilen, anhand früherer Fälle, sagt Kaschuba. Eine „Lex Holm“ dürfe es nicht geben.

Die Entscheidung liegt in den Händen von HU-Präsidentin Kunst

Die Entscheidung darüber, ob Holm an der HU gekündigt wird, liegt in den Händen von Sabine Kunst, die als Präsidentin der HU die oberste Dienstherrin ist. Kunst hat eine schnelle Entscheidung zugesagt, sobald Holms Stellungnahme eingetroffen ist. Bis zum 9. Januar hat er dafür Zeit. In weniger prominenten Fällen ist für das wissenschaftliche Personal (außer für Professoren) die Abteilungsleitung der Personalabteilung zuständig.

Dass ein Mitarbeiter wegen einer Falschangabe gekündigt wurde, „ist seit Jahren nicht mehr vorgekommen“, sagt Rainer Hansel, der Vorsitzende des Personalrats der HU. Selbst aus den turbulenten Nachwendejahren, in denen Hansel schon im Personalrat saß, seien ihm nur Fälle in Erinnerung, in denen Mitarbeiter wegen Falschangaben in Verbindung mit einem Vorgang – also einer substantiellen Einlassung mit der Stasi – entlassen wurden. Schon in der Wendezeit seien unter den rund 1000 gekündigten Beschäftigten nur wenige wegen Tätigkeiten bei der Stasi entlassen worden. Vielmehr hätten die meisten gehen müssen, weil man für sie „keinen Bedarf“ mehr sah.

Aufsehen erregte damals der Fall des Theologen und ersten Nachwende-Rektors Heinrich Fink. Bald nach seiner Amtsübernahme 1990 verdichteten sich Indizien, dass er als „IM Heiner“ über zwanzig Jahre Zuträger der Stasi gewesen war. 1992 wurde er deswegen fristlos entlassen. Fink klagte dagegen, und scheiterte 1997 vor dem Bundesverfassungsgericht. 600 Blätter seiner Stasi-Akte, die in der Wendezeit teilweise zerrissen worden waren, wurden vor gut zehn Jahren rekonstruiert. Aus ihnen ging hervor, dass Fink Kollegen bespitzelt und Studierende denunziert hatte, die Stasi ihm mit Geldprämien und Dienstmedaillen gedankt hatte. Der inzwischen 81-Jährige hält gleichwohl bis heute an seiner Darstellung fest, er sei von der Stasi unwissentlich abgeschöpft worden.

Ganz selten räumen Bewerber an der HU noch eine Stasimitarbeit ein

Hansel sagt, seit Mitte der neunziger Jahre sei es um Auseinandersetzungen über Stasi-Belastungen an der HU ruhiger geworden. Die Überprüfungen seien abgeschlossen, die Konsequenzen gezogen worden. Nur ganz selten komme es noch vor, dass sich jemand bewirbt, der eine Stasimitarbeit einräumt. „Es ist vielleicht einer von 5000, die wir in den letzten zehn Jahren eingestellt haben“, sagt Hansel. Schon immer sei aber der Einzelfall geprüft worden.

Bei dem einzigen Fall in der jüngeren Zeit, bei dem ein Mitarbeiter falsche Angaben auf dem Zusatzbogen gemacht hat, beendete die HU das Beschäftigungsverhältnis, wie sie auf Nachfrage mitteilt. Auch an der FU gab es in der Vergangenheit Personen, die bei ihren Angaben zur Stasi-Vergangenheit logen, teilt die Uni mit. Als das im Nachhinein aufflog, habe die FU „disziplinarrechtliche Schritte bis hin zur Kündigung“ vollzogen.

Noch in den neunziger Jahren wäre Holms Stasitätigkeit der HU sowieso bekannt geworden. Denn bei jeder Einstellung wurde ein Anfrage an die Stasiunterlagenbehörde gestellt. Inzwischen ist dies nur noch bei der Besetzung von Leitungspositionen im öffentlichen Dienst der Fall. Generell füllen aber alle, die sich an der HU (oder an einer anderen Behörde) bewerben, den Zusatzfragebogen zum Personalbogen aus, auf dem sie nach einer Tätigkeit für die Stasi gefragt werden. Kreuzt jemand an, für die Stasi tätig gewesen zu sein, von ihr Zuwendungen erhalten zu haben oder eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben zu haben, prüft die Personalabteilung der HU den Einzelfall, gegebenenfalls werden dazu Auskünfte von der Stasiunterlagenbehörde angefordert.

Holm spricht von "seinem damaligen Wissensstand"

Nach allem, was bekannt ist, hat Holm auf dem Zusatzfragebogen lediglich einen Wehrdienst im Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ berichtet, seine hauptamtliche Stasitätigkeit jedoch verschwiegen. Zu seiner Rechtfertigung erklärte er im Dezember, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass seine militärische Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment schon als „hauptamtliche Tätigkeit“ bei der Stasi gegolten habe. Seine falschen Angaben wollte er nicht als Lüge einordnen, dies sei „sein damaliger Wissenstand“ gewesen, sagte Holm.

Konnte Holm, Sohn eines leitenden Stasi-Mitarbeiters, tatsächlich geglaubt haben, dass er bloß Wehrdienst beim Stasi-Wachregiment ableistete? Tatsächlich war er Offiziersschüler des Ministeriums für Staatssicherheit und hatte am 1. September 1989 eine vierseitige handschriftliche Verpflichtungserklärung abgegeben, „alle meine Kräfte und Fähigkeiten einzusetzen, um die ehrenvollen Pflichten und Aufgaben eines Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit zu erfüllen“. Trotzdem kreuzte Holm im Jahr 2005 auf dem Fragebogen an, keine Verpflichtungserklärung abgegeben zu haben. Außerdem müsste Holm sich daran erinnert haben, als Offiziersschüler mehr Geld als ein Wehrdienstleistender bekommen zu haben. Aber auch die Frage danach, ob er finanzielle Zuwendungen vom Ministerium für Staatssicherheit erhalten habe, verneinte er – obwohl er vom Ministerium sein Gehalt bekam.

Allerdings berichtete Holm in einem Interview mit der „taz“ im Jahr 2007 korrekt über seine Stasitätigkeit. Ob die HU ihm dies als mildernde Umstände anrechnet, wird sich zeigen. „Wenn man das Interview nicht gelesen hat, konnte man es nicht wissen“, sagt jedoch ein Lehrender, der nicht namentlich genannt werden will. So habe die Nachricht, dass Holm bei der Stasi war, das Kollegium ebenso wie die HU-Leitung im Dezember überrascht. Holm sei also bis vor kurzem keineswegs offen mit seiner Vergangenheit umgegangen. Gleichwohl zeigt Holms Institutskollege Verständnis: „Die Stasi-Ausbildung war eine Jugendgeschichte, in die er hineingeraten ist.“ Es sei nachvollziehbar, dass Holm damit nicht seine Anstellung an der HU gefährden wollte. Am Institut sei man sich jedenfalls einig, „dass Holm fachlich und methodisch sehr versiert und als Lehrender überaus beliebt ist“.

Senatorin Lompscher delegiert das politische Schicksal Holms an die HU

Die Linke hat unter dem Druck der Koalitionspartner im Senat als Kompromiss durchgesetzt, die Entscheidung über den Staatssekretär von der Entscheidung der HU über ihren Wissenschaftlichen Mitarbeiter abhängig zu machen. Dabei dürfte die HU nicht über mehr Informationen verfügen als Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), die sich ihrerseits bei der Stasiunterlagenbehörde informiert hat und so gut wie die HU weiß, dass Holm den Fragebogen falsch ausgefüllt hat. Statt eine eigene Entscheidung über den Staatssekretär zu treffen, delegiert Lompscher das politische Schicksal Holms aber lieber an die HU-Präsidentin.

An der HU stößt dieses Vorgehen der Linken denn auch auf Kritik. „Verfehlt“ sei es, sagt Holms Institutskollege. Die HU habe schließlich lediglich zu prüfen, „ob Holm als Dozent in der Stadtsoziologie noch geeignet ist oder nicht“.

Eindeutig positioniert haben sich dazu bereits jene 350 Kolleginnen und Kollegen Holms, die einen offenen Brief gegen die vermeintliche „Diskreditierungskampagne“ gegen ihn unterschrieben haben. Stadtpolitische und Mieter-Initiativen haben zudem eine Online-Petition mit ähnlicher Botschaft gestartet, die bereits gut 14 000 Unterstützer unterschrieben haben. Und die Studierendenvertreter im Refrat der Humboldt-Universität und in der Fachschaft Sozialwissenschaften werfen der Unileitung mangelnde Solidarität mit Holm vor. Holm müsse seine Stelle behalten.

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