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Studium in Freiheit. Am 23. April 1948 protestierten vor und im Hotel Esplanade rund 2000 Studenten gegen die Exmatrikulation von drei Kommilitonen der Lindenuniversität. Otto Stolz (recht) und Otto Hess (links unten) forderten eine neue freie Universität.

© FU

Berliner Universitäten: "Humboldt stand drauf, das Gegenteil war drin"

In der DDR war die HU eine kommunistische Universität. Darum kann sie sich nicht allein in die Tradition der 1810 gegründeten Berliner Universität stellen

Welche Universität darf für sich in Anspruch nehmen, die wahre Erbin der vor 200 Jahren gegründeten Berliner Universität zu sein? Die Humboldt-Universität? Die Freie Universität? Beide? Nur die HU kann in diesem Jahr Jubiläum feiern, hat an dieser Stelle am 11. Mai der emeritierte FU-Historiker Reimer Hansen erklärt. Heute widerspricht ihm der „Malteser Kreis“ der FU..

Herr Hansen verbietet der Freien Universität das Feiern zum Zweihundertsten! Grund: Die HU und nicht die FU steht in der Tradition der Friedrich-Wilhelms-Universität. Beweis: Aussage von zwei Abteilungsleitern der Verwaltung für Volksbildung.

Nun wird die HU noch nicht zur „Traditionsnachfolgerin der ehemaligen Berliner Universität“, bloß weil das zwei Abteilungsleiter vereinbart haben. Überhaupt taugt Geschichtsschreibung, die sich kritiklos ausschließlich der Stellungnahmen offizieller Amtsträger bedient, kaum, der Realität gerecht zu werden. War etwa die DDR ein demokratischer Staat, weil Offizielle ihr den Namen gegeben hatten? Wer von der „Humboldt“-Universität und der Gründung der Freien Universität schreiben will, darf von Terror und Verhaftungen nicht schweigen, wer von Humboldt’scher Tradition spricht, darf das Ende der „Freiheit von Forschung und Lehre“ an der HU nicht unerwähnt lassen.

„Die Freie Universität“, so Herr Hansen, „… war … eine Antwort auf die wachsende Sowjetisierung der alten Universität im Ostsektor.“ – „Sowjetisierung“. In der Tat! Aber was „Sowjetisierung“ bedeutete, sagt Herr Hansen nicht.

Hätten die Sowjets vorgehabt, die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität im Humboldt’schen Sinne wieder zu eröffnen, dann hätten sie die Viermächtekontrolle zulassen können, und die Freie Universität hätte nicht gegründet zu werden brauchen. Die Sowjets brauchten für ihre Ziele jedoch eine neue Universität. Und deren Neueröffnung machte die Gründung einer neuen, Freien Universität im Geiste Humboldts notwendig!

Wichtigstes Ziel der sowjetischen Militäradministration war der Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft. Diesem Ziel hatte sich auch und vor allem die Hochschulpolitik unterzuordnen, das heißt, Ziel der Universität war nicht die Suche nach Wahrheit, sondern die Heranbildung loyaler Kader, die problemlos funktionieren und stets der Partei ergeben sein sollten. Polizei und Militär sollten unmittelbaren Zugang zur Universität haben und kontrollieren, ob die Vorgaben der Partei eingehalten würden.

Im Gegensatz zu der Humboldt’schen Universität, die sich der Freiheit der Wissenschaften in Forschung und Lehre, der öffentlichen Diskussion ihrer Ergebnisse, der Verantwortung der Wissenschaft und der Offenheit für Opposition und Kritik verpflichtet fühlt, war die sowjetische „Humboldt“-Universität die Universität des Staates und der Partei. Das bedeutete verbindliche Lehrpläne, ein Kurssystem mit Pflichtvorlesungen, politische Kontrollen, klare Unterordnung der Forschung und Lehre unter die Erfordernisse des Klassenkampfes, totale Indienststellung für die deutschen und die sowjetischen Kommunisten. Die Humboldt’schen Ideale wurden als reaktionär verworfen und durch die Verpflichtung der Universität zur politischen Umgestaltung der Gesellschaft unter der Führung der Partei ersetzt.

Angesichts dieser Entwicklung merkte bald auch der letzte kooperationswillige Professor, dass die Kommunisten nicht über die ehrwürdigen Traditionen der deutschen Universität zu diskutieren gedachten, sondern rigoros die Macht übernahmen. Wissenschaft wurde auf den autoritären und dogmatischen Marxismus-Leninismus ausgerichtet.

„Als ich vor zwei Jahren eine kleine Lehrtätigkeit an der hiesigen Universität wieder aufnahm, geschah das in der Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander marxistischer und nichtmarxistischer Richtungen in den Geisteswissenschaften. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die jetzigen Absichten der Pädagogischen Fakultät zeigen, wohin die Lehrtätigkeit der Universität gelenkt werden soll. Meine wissenschaftlichen Grundüberzeugungen verbieten es mir, an dieser Entwicklung auch nur als passives Mitglied des Lehrkörpers teilzunehmen.“ So Friedrich Meinecke, der spätere erste Rektor der Freien Universität, im Oktober 1948 in einem Brief an die Deutsche Verwaltung für Volksbildung.

Die Erfahrung, dass bei der Zulassung zum Studium politisches Wissen höher bewertet wurde als Fachkenntnisse („Wann wurde Stalin geboren?“), dass qualifizierte Bewerber oft weniger qualifizierten den Studienplatz überlassen mussten, nur weil diese in der Partei waren, produzierte, so Georg Kotowski, eine „Demoralisierung der Studentenschaft“, die für ihr Studium politischen Organisationen beitreten musste, deren Ziele sie ablehnte und verabscheute. Dazu kamen Maßnahmen des verdeckten und des offenen Terrors: Einschüchterungen durch das Kommissariat 5 (K 5) und den NKWD häuften sich, Studenten und Dozenten wurden bespitzelt, Oppositionelle, die am Prinzip der Freiheit festhielten, wurden verschleppt (in den Semesterferien, versteht sich) und ohne Verfahren zu bis zu 25 Jahren Zwangsarbeit in sowjetischen Bergwerken verurteilt – oder hingerichtet. Sie wurden als „Faschisten“ oder „Feinde des Volkes“ diffamiert und galten damit nicht mehr als Mitglieder der Universität. Nachfragen der Kommilitonen waren nicht erlaubt. Die Professoren und Dozenten enthielten sich bald jeglicher Opposition.

Anders die oppositionellen Studenten, die tagtäglich das Gegenteil von Humboldt erfuhren: In aktivem Widerstand gegen den kommunistischen Terror erhoben sie sich und gründeten mithilfe vor allem amerikanischer und deutscher Stellen und einzelner Personen die Freie Universität als Möglichkeit freier wissenschaftlicher Arbeit. Die Studenten retteten die Ideale Humboldts in den Westen der Stadt hinüber, während die Berliner Universität nach der NS-Diktatur zum zweiten Mal ihre ureigenste Aufgabe verriet: die Verteidigung der Freiheit von Forschung und Lehre. Die SED kontrollierte das politische Verhalten und das Bewusstsein der Studenten. Die Professoren führten Dossiers über sie, die Überwachung durch die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit korrespondierte mit der zunehmenden Militarisierung in der Kampfgruppe der Universität.

Vor diesem Hintergrund hat die „Humboldt“-Universität den Namen Humboldts immer besonders herausgestellt. Das musste sie aus kompensatorischen Gründen, weil in ihren Mauern das Gegenteil von dem geschah, was Humboldt für die Universität gefordert hatte. Es stand „Humboldt“ drauf, das Gegenteil war drin. Der der Berliner Universität 1949 verliehene Name Humboldt-Universität sollte nur noch den Anschein wahren: Einer der größten Etikettenschwindel der deutschen Universitätsgeschichte!

Allerdings schien den Verantwortlichen bei der Datierung der Umbenennung in Humboldt-Universität niemals ganz wohl gewesen zu sein. 1959/60 setzte eine Suche nach legitimierenden Unterlagen für die Namensverleihung ein, die jedoch ergebnislos blieb. In den Rektoratsakten des Universitätsarchivs findet sich der Hinweis, dass Paul Wandel im Jahre 1961 gebeten wurde zu entscheiden, ob es möglich sei, der Universität nachträglich eine Urkunde zur Umbenennung auszustellen, da es bisher keinen formalen Nachweis darüber gebe. Die Fälschung eines solchen Dokuments blieb allerdings aus.

40 Jahre DDR-Diktatur und kommunistische Universität werden von Herrn Hansen in einem einzigen Satz erledigt: „Nach sukzessiver Sowjetisierung sollte ihr nun der lange Weg durch vier Jahrzehnte sowjetkommunistischer Diktatur bevorstehen.“ Da ist sie wieder, die Opferrolle! So als hätte die Humboldt-Universität all die Jahre gegen diese Diktatur und gegen die Vergewaltigung Humboldts gekämpft! Nein! Sie war nicht Opfer, sondern Teil dieses Staates, dieser Diktatur und ihrer Unterdrückungsmechanismen. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben ihre Mitglieder Andersdenkende hinausgedrängt oder gar der Stasi ausgeliefert. Statt sich selbst zu bedauern sollte die HU endlich die Namen der damals politisch Verfolgten bekannt machen und sie rehabilitieren!

Nur die Weiterführung der Friedrich-Wilhelms-Universität im Humboldt’schen Geiste an der FU konnte die Fortführung der freien wissenschaftlichen Tradition garantieren. Nach dem Fall der Mauer überließ die FU ihrer Schwester im Ostteil der Stadt beim Wiederaufbau sogar ganze Abteilungen (Klinikum Virchow, Zahnmedizin, Kinderklinik), obwohl an der HU noch die alten kommunistischen Kader weiter wirkten, etwa der Rektor Heinrich Fink, alias IM Heiner. Und so erfüllte sich doch noch die Hoffnung Meineckes: „Nicht Kampf gegeneinander, sondern Wetteifer miteinander sei unsere Losung!“

Beide Universitäten sollen ihre Geburtstage feiern, die HU ihren 64. und die FU ihren 62. Und zusammen begehen wir den 200. Geburtstag unserer gemeinsamen Mutter, der altehrwürdigen Friedrich-Wilhelms-Universität, und das in friedlichem Wettstreit, wie Friedrich Meinecke es 1948 erhoffte.

Eine Diskussion über Edwin Redslob, den Mitgründer der FU und des Tagesspiegels, veranstaltet die FU am 2. Juni. Der Redslob-Biograf Christian Welzbacher spricht mit dem Gründungsstudenten Karol Kubicki (18.00 Uhr, Silberlaube, Habelschwerdter Allee 45, Raum KL 24/ 122 d).

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