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Arbeitsplatz mit Ausblick. Zu den architektonischen Höhepunkten in der Berliner Leselandschaft gehören Scharouns Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße und der Foster-Bau der Freien Universität. Fotos: Thilo Rückeis; FU Berlin/Bernd Wannenmacher

© FU Berlin

Bibliotheken: Fleißarbeit auf der Leseterrasse

Zwischen iBib und Think Tank: Was die Berliner Bibliotheken Studierenden und Wissenschaftlern zu bieten haben. Eine Bestandsaufnahme.

Bibliotheken sind mythische Orte. Sie sind nie nur pragmatischer Bau, in dem Bücher geparkt werden, sondern heilige Hallen des Wissens, Verkörperung von Fleiß und Geisteskraft. In ihnen herrscht beredte Stille, denn die Bücher sprechen, aber ihre Leser schweigen – idealerweise. Früher waren Bibliotheken, zumal an der Universität, romantische Orte: Jedes Institut versammelte eine Handvoll Schreibtische, einen Zettelkasten und das Best Of der Literatur des eigenen Fachbereichs. Eine gute, gar preiswürdige Bibliothek von heute dagegen ist vor allem eines – groß. Denn sie versammelt die Bücher mehrerer Institute an einem Ort.

Die Gründe hierfür sind pragmatischer und finanzieller Natur. „Der Trend geht in Richtung 24-Stunden-Bibliothek und eine optimale Bücherversorgung für die Studierenden“, sagt Ulrich Naumann, Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. So ist es nicht nur im Sinne interdisziplinären Arbeitens sinnvoller, sondern auch praktischer, wenn die Studienausgabe vom Werk Immanuel Kants in der Nähe der Lessing-Bände steht, statt dass zwischen ihnen ein Fußmarsch und ein weiteres Schließfach für die Jacke liegt.

Die Bücher einzelner Fachbereiche zusammenzulegen bringe verbesserte Nutzungsbedingungen, mache die Büchersuche unkomplizierter und weniger zeitaufwendig, sagt Naumann. Nicht zuletzt versprechen Großbibliotheken – wie das Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität oder die Philologische Bibliothek der FU – auch Einsparungsmöglichkeiten: „Wir können nicht für jede kleine Bibliothek einen teuren Buchscanner kaufen, und natürlich sparen wir auf diese Weise auch Personal“, erklärt Naumann. 2014 soll die neueste „Großmaßnahme“ eröffnet werden: ein Bibliotheksbau, der die Erziehungs- und Naturwissenschaften sowie alle kleineren Fächer vereint.

Eine große Dienstleisterin erhielt jetzt den mit 30 000 Euro dotierten Preis des Deutschen Bibliotheksverbands: „Bibliothek des Jahres“ ist die Universitätsbibliothek von Konstanz. Die Ehrung gilt vor allem der guten Serviceleistung; seit 2001 ist das Haus unter der Woche 24-stündig geöffnet.

Die Bibliothek von heute ist ein Hybrid aus altmodischer Bücherburg, pragmatischem Büro, Café und digitaler Welt. W-Lan, digitalisierte Zeitschriften, automatische Bücherausleihe, Gruppenarbeitsräume und Schulungen gehören größtenteils zum Standardangebot. Häufig ist sie darüber hinaus ein architektonisches Meisterwerk und überschreitet umwelttechnische und ästhetische Grenzen. Von ihrem mythischen Potenzial hat die moderne Großbibliothek, allen Modernisierungsmaßnahmen zum Trotz, nichts eingebüßt. So ist sie nicht nur Ort der stillen Fleißarbeit, sondern bietet auch Identifikation für den eigenen Studientyp: Zeige mir die Berliner Bibliothek, in der du arbeitest, und ich sage dir, wer du bist.

Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum

Seit der Eröffnung der Bibliothek vor einem Jahr wurde viel geklagt ob der Mängel des Baus, der die Bestände der Geistes- und Kultur- sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Humboldt-Uni beherbergt. Zu wenig Schließfächer, keine behindertengerechten Zugänge und überfüllte Leseräume stehen auf der negativen Seite. Die rund zwei Millionen systematisch aufgestellten Bände im Freihandmagazin, ein Eltern-Kind-Arbeitsbereich, Einzel- und Gruppenarbeitsräume, gemütliche Sessel in der Leselounge und eine passable Cafeteria sind als Plus zu verzeichnen. Die Atmosphäre auf den Leseterrassen ist ruhig und konzentriert, die Stühle bequem, und die Einzellampen auf den Tischen und das viele Holz verströmen Behaglichkeit. Auch die Öffnungszeiten können sich sehen lassen: 8 bis 24 Uhr in der Woche, 9 bis 18 Uhr am Wochenende. Die zentrale Lage in Mitte, gläserne Wände und die offenen Leseterrassen sorgen für die ultimative (Selbst-)Inszenierung studentischen Fleißes. Motto: Sehen und gesehen werden.

Philologische Bibliothek der FU

Das Pendant zum Grimm-Zentrum aus dem Jahre 2005 hört auf den Spitznamen „The Berlin Brain“ und versammelt rund 700 000 Bände aus den ehemaligen Philologischen Teilbibliotheken der FU. W-Lan, ein digitales Druck- und Scansystem und an den Tischen installierte Sicherungsbügel für Laptopschlösser gehören, wie auch im Grimm-Zentrum, zur Standardausstattung. Beliebt sind die „Doktorandenwagen“, in denen für einen Zeitraum von vier Wochen die entliehenen Bücher über Nacht verschlossen werden können. Die geschwungenen Balustraden und das Weiß des Interieurs verströmen den Geist intellektueller Nüchternheit, eine gemütliche Rückzugsecke ward nicht gesehen. Auch die um die Ecke gelegene Universitätsbibliothek der FU mit ihren zwei Millionen ausleihbaren Bänden trumpft auf mit in den Dienst der Strebsamkeit gestellter Pragmatik: Seit kurzem gibt es den Bibliothekskatalog in einer speziell für Smartphones angepassten Version unter http://opac.fu-berlin.de/mobil. Motto: die iBib.

Volkswagen-Universitätsbibliothek

Die Bücher-Allianz der Technischen Universität und Universität der Künste in Charlottenburg bietet knapp drei Millionen Medien und 715 Arbeitsplätze. Eine Brücke zwischen Technik und Kunst soll sie schaffen – und so gehen nüchterne Betonpfeiler und technokratisches Grau Hand in Hand mit kleinen Sonderausstellungen und Kunstobjekten, die sich insbesondere auf der vierten Etage finden. Dort gibt es auch einen großzügigen Sonderbereich für audiovisuelle Medien. Allein oder in Gruppen bis zu 16 Personen können hier Filme angeschaut und CDs gehört werden. Manko: Die Bibliothek hat mit Lärm zu kämpfen, der durch die großen Lichthöfe hallt. Ihre Lage in der Fasanenstraße Nähe Ku’damm macht sie zu einer Enklave für TU- und UdK-Studierende. Motto: Think Tank.

Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz

Die Staatsbibliothek Berlin – im Berliner Fachjargon kurz „Stabi“ – ist die größte wissenschaftliche Universalbibliothek Deutschlands. 10,7 Millionen Bände nennt sie ihr eigen, darunter alte Handschriften, Musikautografe, Nachlässe und historische Zeitungen. Die Bücherbestände teilen sich auf in zwei Stammhäuser: Unter den Linden findet sich der Altbestand bis 1945, die Lesesäle sind bestückt mit Wörterbüchern und Gesamtausgaben, sie profiliert sich als „historische Forschungsbibliothek“. Das Haus Potsdamer Straße ist Teil des Berliner Kulturforums und befindet sich damit in unmittelbarer Nachbarschaft zu Philharmonie und Neuer Nationalgalerie. Als „Forschungsbibliothek der Moderne“ versammelt sie Literatur ab 1946 und beherbergt unter anderem regionalspezifische Sonderabteilungen für Literatur und Materialien aus Osteuropa, Ostasien und dem Orient sowie das Ibero-Amerikanische Institut.

Zurzeit ist das Haus in der Potsdamer Straße wegen asbestbedingter Renovierungsmaßnahmen leider nur eingeschränkt nutzbar, der Stabi-Mythos ist angekratzt. Wer jedoch hier seine Examens- oder Doktorarbeit geschrieben hat, schwärmt noch Jahre später vom Geist der von Hans Scharoun geschaffenen Leselandschaft, und ganze wissenschaftliche Netzwerke sollen sich gemeinsamen Stabi-Jahren verdanken. Hör- und sichtbar arbeitet man in beiden Häusern an neuen Lesewundern: Unter den Linden soll im Herbst 2011 ein neuer zentraler Lesesaal entstehen – ein gläserner Kubus von HG Merz. Motto: Wir sind die Stabi.

Noch mehr Lesehallen
Das Erwin-Schrödinger-Zentrum auf dem Campus Adlershof versammelt die zusammengelegten Zweigbibliotheken aller Naturwissenschaften der HU. Hier finden sich 400 000 Bände und 600 laufende Zeitschriften. Der Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlins (VOEBB) trägt mit insgesamt 2,7 Millionen Titeln ebenfalls zum Bücherparadies Berlin bei. Die Stadtteilbibliotheken versorgen ihre Leser insbesondere mit belletristischer Literatur sowie aktuellen Zeitungen und Zeitschriften. Überfüllte Leseplätze sind in diesen lauschigeren Bibliotheken selten. Die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz in Kreuzberg kann neben dem üblichen Service mit 50 000 Filmen auf VHS und DVD aufwarten. Eine Besonderheit ist die Artothek: Falls das studentische Budget nicht für echte Kunst reicht, können hier Originale und Kunstdrucke entliehen werden.

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