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Bibliothek

© Kitty Kleist-Heinrich

Bibliotheken: Wohnzimmer der Stadt

Viele öffentliche Bibliotheken sind gefährdet – eine gesetzliche Grundlage könnte helfen.

Bibliotheken „sind als Orte des freien Zugangs zu Wissen, Lernen und Forschen unersetzliche Bildungseinrichtungen.“ So steht es in dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestages „Kultur in Deutschland“. Dennoch verschwinden Jahr für Jahr etliche dieser Orte aus der bundesdeutschen Bibliothekslandschaft. In Deutschland gab es im Jahr 2005 rund 8900 Bibliotheken mit etwa 11 000 Standorten. Sechs Jahre vorher, 1999, waren es noch 11 332 Bibliotheken.

Die deutsche Hauptstadt stellt dabei einen unrühmlichen Rekord: Allein in Berlin wurden von 1999 bis heute 30 öffentliche Bibliotheken geschlossen. Von einst etwa 270 größeren und kleineren Bibliotheken in Berlin sind gerade 82 übrig geblieben. Dem Landesrechnungshof sind auch das noch zu viele. Er empfiehlt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Büchern und anderen Medien auch mit der Hälfte der jetzigen Bibliotheken zu bewältigen sei.

Die Bibliothekare halten dagegen: Wenn die Berliner Bezirke den Anregungen des Rechnungshofes folgten, könnte eine flächendeckende Versorgung der Menschen in dieser Stadt nicht mehr gewährleistet werden, erklärte der Leiter der Stadtbibliothek Tempelhof/Schöneberg, Engelbrecht Boese, unlängst bei einer Podiumsdiskussion in der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB). Eigentlich sollte die öffentliche Bibliothek das Wohnzimmer der Stadt sein, betonte die Generaldirektorin der ZLB, Claudia Lux. Die Bibliothek solle ein Ort sein, an dem man sich wohlfühlt, an dem man allein oder gemeinsam mit anderen lesen und arbeiten könne. Die Menschen bräuchten öffentliche Räume, die kostenlos für jedermann zugänglich seien. Das sollten endlich auch die Landes- und Bezirkspolitiker in Berlin erkennen.

In anderen europäischen Ländern wie Schweden, Finnland und Dänemark ist dieses Prinzip längst verwirklicht worden. Dort sieht es der Staat als seine Pflicht an, allen Bürgern einen kostenlosen Zugang zu den Bibliotheken zu ermöglichen. Das berichtete Siegmund Ehrmann, Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied der Enquete-Kommission. Er wies darauf hin, dass Bibliotheken auch Bildungspartner für Kindertagesstätten, Schulen und Volkshochschulen sein sollten: „So kommen die Bibliotheken aus dem Legitimationsdruck heraus.“

Als wichtigstes Instrument für die Sicherung und Weiterentwicklung der Bibliotheken wird die Verabschiedung eines Bibliotheksgesetzes gesehen. Deutschland ist hier ein Nachzügler: 25 der 27 EU-Länder verfügen bereits über Gesetze, die die Einrichtung und Finanzierung von öffentlichen Bibliotheken zur staatlichen Aufgabe machen. Die Forderungen nach Bibliotheksgesetzen in Deutschland sind nicht neu. Bereits seit über 40 Jahren weisen Bibliothekare auf die Notwendigkeit hin, Büchereien auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

Klar ist allerdings auch, dass mit einem Bibliotheksgesetz nicht alle finanziellen Sorgen der Bibliotheken beseitigt sind. Denn den Bibliotheken drohen auch weiterhin bei allgemeinen Sparauflagen in Ländern und Kommunen Etatkürzungen. Wenn jedoch eine Kommune so hoch verschuldet ist, dass der Haushalt extern überwacht wird, müssen alle Ausgaben, die nicht zu den staatlichen Pflichtaufgaben gehören, gestoppt werden. Da öffentliche Bibliotheken aber freiwillige Einrichtungen der Gemeinden sind, erhalten sie unter solchen Voraussetzungen überhaupt kein Geld mehr. Das kann nur verhindert werden, wenn die Pflege öffentlicher Bibliotheken wie Schulen eine Pflichtaufgabe des Staates würde.

Ein Bibliotheksgesetz des Bundes ist allerdings wegen der föderalen Struktur in Deutschland nicht möglich. Die Enquete-Kommission empfiehlt daher allen Landesregierungen, Bibliotheksgesetze zu schaffen. Gleichzeitig wird empfohlen, die Einrichtung einer Bibliotheksentwicklungsagentur zu prüfen. Diese Agentur könne dazu beitragen, strategische, innovative und qualitätssichernde Ziele umzusetzen.

Ausdrücklich gelobt wurden von der Enquete-Kommission bereits bestehende regionale und überregionale Kooperationen. Dabei wurde die „Deutsche Internetbibliothek“ besonders hervorgehoben. Sie wird von mehr als 90 öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken betrieben und versteht sich als Alternative zu den kommerziellen Suchmaschinen. Von den Mitarbeitern der beteiligten Bibliotheken werden empfehlenswerte Webseiten zu unterschiedlichen Themen zusammengestellt. Außerdem werden Nutzeranfragen individuell beantwortet. Die Existenz der Internetbibliothek ist allerdings gefährdet, da die Anschubfinanzierung durch die Bertelsmann Stiftung ausgelaufen ist.

Wie Claudia Lux gegenüber dem Tagesspiegel erklärte, werde die Internetbibliothek derzeit von den 90 Teilnehmern aus den laufenden Bibliotheksetats mitfinanziert, allerdings in eingeschränktem Maße. Denn die etwa 160 000 Euro, die für die Fortführung jährlich benötigt werden, könnten so nicht aufgebracht werden.

Eine Förderung mit öffentlichen Mitteln ist außerordentlich schwierig, da die Internetbibliothek durch alle Raster fällt: Sie ist keine kommunale Einrichtung, daher sind die Gemeinden nicht für ihre Finanzierung zuständig. Die einzelnen Länder sehen sich aber auch nicht in der Pflicht, da die Internetbibliothek länderübergreifend arbeitet. Der Bund darf nicht einspringen, weil Kultur und Bildung Ländersache sind. Eine gesicherte Finanzierung wäre nur erreichbar, wenn sich die Länder in der Kultusministerkonferenz auf einen entsprechenden Vertrag einigten.

Deutsche Internetbibliothek online:

www.internetbibliothek.de

Anne Strodtmann

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